6. Mai 2012

Wenn Leute unser Land verlassen

Kino | »Barbara« von Christian Petzold (2012)

Natürlich geht es in »Barbara« auch um die Stasi, um das Leben unter vormundschaftlicher Überwachung, um die Angst vor einem Klingeln in der Nacht, um vorsätzlich-fachgerechte Entwürdigung, Zermürbung, Zersetzung. Im Zentrum aber steht die geduldige, detaillierte, unvoreingenommene (und gerade nicht beschattende, argwöhnische, parteiische) Beobachtung der unter spezifischen (politischen) Umständen langsam wachsenden Beziehung zwischen zwei (verletzten) Menschen – Barbara (Nina Hoss) will weg aus der DDR und wird dafür gedemütigt; André (Ronald Zehrfeld) hat einen Fehler gemacht und muß dafür büßen –, um die (nicht kalt-protokollierende sondern aufmerksam-sensible) Erfassung menschlicher Interaktionen im Spannungsverhältnis von Gleichgültigkeit und Interesse, Annäherung und Abwehr, Skepsis und Vertrauen. Aus der, die kammerspielhafte Erzählung in Gang setzenden (und haltenden), Frage von (im Osten) Bleiben oder (in den Westen) Gehen entwickelt Christian Petzold zudem eine intensive, nicht an Zeit und Ort gebundene, psychologische Studie über Zurückweisen und Einlassen, über Separieren und Akzeptieren. Schade nur, daß Petzold, der ein unglaubliches Ohr für Geräusche und Tonlagen, ein unbestechliches Auge für Situationen und Ausdrücke hat, der sich dankenswerterweise alleserklärender Backstorys ebenso enthält wie allesbeschwatzender Dialoge, nicht auf offenkundige Kolportageelemente (das Fluchtgeld – aus unerfindlichen Gründen erst in die Zone hineingeschmuggelt, dort kompliziert versteckt, dann wieder herausgeschmuggelt –, eine nächtliche Notoperation – angesetzt just auf den Zeitpunkt des geplanten »ungesetzlichen Grenzübertritts«) und schematischen Symbolfiguren (einen jugendlichen Selbstmörder, eine halbwüchsige Ausreißerin) verzichten mag. Jenseits dieser gestalterischen Halbherzig- und Eindeutigkeiten überzeugt »Barbara« jedoch als subtile Reminiszenz an eine brüchige Welt, als unsentimentale Reise durch eine schwierige Gefühlslandschaft. PS: »Was sollen wir mit solchen Leuten? / Ist gut, daß man sie ziehen läßt.« (Oktoberklub, 1988)

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