22. Oktober 2014

Spies and ladies

Zwei Fernsehfilme von Alan Bennett (Drehbuch) und John Schlesinger (Regie) 

1983 | »An Englishman Abroad«

Based on a true event … Moskau, Ende der 1950er Jahre. Das ›Shakespeare Memorial Theatre‹ gastiert in der Sowjetunion. In der Pause einer »Hamlet«-Aufführung betritt ein besoffener Gentleman die Garderobe der Schauspielerin Coral Browne, kotzt in ihr Waschbecken und macht sich unter Mitnahme von Seife, Puder, Zigaretten sowie einer Falsche Whisky wieder aus dem Staub. Der ungebetene Gast ist kein anderer als der MI5-Agent, BBC-Journalist und Foreign-Office-Diplomat Guy Burgess, der wenige Jahre zuvor aus England floh, als seine Tätigkeit für den sowjetischen Geheimdienst ruchbar wurde. Trotz des eher unappetitlichen ersten Aufeinandertreffens entwickelt sich eine von Faszination und Sympathie getragene Bekanntschaft. Browne, die Burgess tatsächlich während einer Tournee in Moskau kennenlernte, spielt sich genüßlich selbst, Alan Bates verkörpert mit sensibler Verve den berühmt-berüchtigten Spion, der sich als Student in Cambrigde dem Kommunismus verschwor und als Gefangener seiner Ideale hinter den Eisernen Vorhang verschlagen wurde. Alan Bennett legt die kurze Begegnung als ironisch-melancholisches Konversationsstück an, er zeigt den Verräter nicht als gewissenloses Scheusal sondern als charmanten Weltverbesserer von der traurigen Gestalt, der im kalten, kleingeistigen Moskauer Grau dem Witz, dem Klatsch, dem Chic seiner bewegten Londoner Vergangenheit nachtrauert. Browne, die als Australierin mit distanziertem Blick auf englische Sonderbarkeiten sieht, findet nichts dabei, daß der Exilierte sich von ihr vermessen läßt, damit sie bei seinem alten Schneider in Savile Row einen Anzug für ihn bestellen kann – schließlich gibt es keinen Grund dafür, daß der Neue Mensch so schlecht gekleidet sein muß wie ein Sowjetbürger.

1991 | »A Question of Attribution«

Based on another true event … London, Ende der 1970er Jahre. Seit geraumer Zeit ist dem britischen Geheimdienst bekannt, daß Sir Anthony Blunt, brillanter Kunsthistoriker und Direktor der königlichen Gemäldesammlung, wie sein Cambridger (Studien-)Freund Guy Burgess aus ideologischer Überzeugung für die Sowjets gespitzelt hat. Aufgrund seiner delikaten Position, mithin um einen royalen Skandal zu vermeiden, hatte Blunt die Zusicherung von Straffreiheit erhalten, wenn er gegenüber den zuständigen Organe absolute Offenheit im Hinblick auf seine Tätigkeit und seine Kontakte walten ließe (was er freilich geschickt zu vermeiden versteht). Alan Bennett kontrastiert die Geschichte des so kultivierten wie undurchsichtigen Verräters mit der Restaurierung eines Tizian-Gemäldes, dessen Bearbeitung immer neue, zuvor verborgene Schichten enthüllt. Die bissig-brillante Studie über Täuschung und Geheimnis findet ihren doppelbödigen Höhepunkt in einem zufälligen (?) Zusammentreffen zwischen Blunt (geistreich-blasiert: James Fox) und der Königin (hintergründig-naiv: Prunella Scales) im Buckingham Palace: ›H.M.Q.‹ verwickelt den eloquenten Gelehrten in eine scheinbar harmlose Konversation über Betrug und Fälschung am Beispiel des abgründigen Bildes von Tizian. Blunt hält das Wort »fake« (auch) in diesem Zusammenhang für unzutreffend. »If something is not what it claims to be, what is it?« fragt die Monarchin, halb amüsiert, halb indigniert. »An enigma?« schlägt der Mann mit den (mindesten) zwei Gesichtern vor. (Nicht nur) mit diesem Dialog gibt Bennett der unvoreingenommenen Betrachtung den Vorzug vor der von vornherein feststehenden Zuschreibung.

20. Oktober 2014

The girl who fell to earth

Kino | »Under the Skin« von Jonathan Glazer (2013)

Sie (Scarlett Johansson) kommt von außerhalb, malt sich die Lippen rot, kurvt in einem Kleinbus durch Schottland, lockt Männer an. Die Männer versinken in einem schwarzwässrigen Urgrund, werden irgendwie zu irgendetwas verarbeitet, hinterlassen ihre leere Hülle. Sie zieht immer weiter, reglos, rastlos, bis sie irgendwann ihre eigene Hülle ablegt und irgendwo in Rauch aufgeht … Science fiction? Vielleicht. Horror? Mag sein. Thriller? Gewissermaßen. Geschlechterforschung? Körperpolitik? Sozialanthropologie? Tja. Hm. Schon. Jonathan Glazer bemüht ähliche Mittel wie ein Jahrzehnt zuvor in »Birth« – irritierende Ellipsen, betonte Retardierungen, enigmatische Figuren, rudimentärer Dialog, minimalistischer Soundtrack, hermetische Erzählweise, (pop-)kulturelle Referenzen –, um mit den Augen eines Aliens auf irdisches Leben und Treiben zu blicken. Viel mehr und viel tiefer als ein (ziemlich stilbewußter) Mensch sieht er allerdings auch nicht.

13. Oktober 2014

Schutt und Asche

Kino | »Phoenix« von Christian Petzold (2014)

»Time is so old and love so brief, / Love is pure gold and time a thief.« Berlin, 1945. Nelly (Nina Hoss) kehrt aus dem Konzentrationslager zurück. Ihr Gesicht ist entstellt. Ihre Seele ist erloschen. Nelly bewegt sich wie eine Marionette durch die Ruinen. Sie sucht sich selbst, sie sucht ihren Mann. Johnny (Ronald Zehrfeld) hat seine jüdische Frau einst vor den Verfolgern versteckt. Vielleicht auch an sie verraten. Nelly und Johnny treffen sich. Er erkennt sie nicht wieder. Johnny will die vermeintlich Fremde in Nelly verwandeln. Er will sich das Vermögen der Totgeglaubten aneignen. Nelly spielt mit. Um bei Johnny zu sein. In der Hoffnung, er begreife die Wahrheit. In der Hoffnung zurückzufinden, zu ihm, zu sich selbst … Im Gegensatz zu J. Lee Thompson, der Hubert Monteilhets Roman »Retour des cendres« 1965 als grotesken Thriller adaptierte, verwandelt Christian Petzold den bizarren Stoff in ein geisterhaftes Melodram über etwas, das gestorben und doch unverwüstlich ist. »Phoenix« ist pure (Kino-)Konstruktion, methodische Figurenaufstellung, klinische Untersuchung von Phänomenen wie Bruch und Dauer, Schuld und Verständnis, Liebe und Zeit. Während Stefan Wills sparsam eingesetzte Musik, die bald noirische Klangschatten wirft, bald melancholisch über ein Thema von Kurt Weill (»Speak Low«) fantasiert, eindringliche Stimmung erzeugt, sind das äußerst reduzierte Szenenbild (das – abgesehen von ein paar dekorativ arrangierten Schutthaufen – weder die konkrete Anschauung einer zerstörten Stadt noch eine Ahnung von den mentalen Verwüstungen des Nachkriegs gibt) sowie die Verkörperung von erschütterten, gezeichneten Menschen durch stets beherrschte, wohlgenährte Darsteller wohl nur im Rahmen einer so extremen Abstraktion zu akzeptieren, wie Petzold sie betreibt. »The curtain descends, / Everything ends too soon, too soon.«

4. Oktober 2014

Eine Welt in der Welt

Kino | »Das große Museum« von Johannes Holzhausen (2014)

»Ein Jahr im Museum« wäre vielleicht der bessere Titel für Johannes Holzhausens Blicke hinter die Kulissen des Wiener Kunsthistorischen Museums. Der Film liefert weniger das gültige Porträt einer traditionsreichen Kulturinstitution als vielmehr mannigfaltige Impressionen aus dem betrieblichen Alltag eines komplexen Gebildes, das gleichermaßen ›wissenschaftliche Anstalt öffentlichen Rechts‹ und glänzendes Aushängeschild der Republik Österreich, labyrinthischer Riesenbau und eine der bedeutendsten Kunstsammlungen der Welt ist. Holzhausen interessiert sich insbesondere für die Menschen, die das Museum durch ihre Arbeit, ihr Naturell, ihre Sachkenntnis, ihr Engagement, ihre Verbissenheit, ihre Ironie, ihren Frust formen und prägen, er folgt den Mitarbeitern des Besucherdienstes (vulgo: Aufsehern), den Restauratoren, den Kuratoren, den Direktoren durch die Säle, Büros, Flure und Keller des Hauses. Schade vielleicht, daß der Autor seine Sympathien dabei filmisch allzu deutlich verteilt – und sonderbar, daß er seine ruhigen Beobachtungen ausgerechnet mit der Hängung von Brueghels »Turmbau zu Babel« beendet: Das Bild von Hybris und Sprachverwirrung – als Schlußpunkt einer (durchaus affirmativen) Dokumentation über eine Stätte, die der historischen Bewußtseinsbildung und dem Dialog verpflichtet ist – läßt den Betrachter einigermaßen ratlos zurück.