25. September 2012

Das Ziel ist der Weg

DVD | »Tiger, Löwe, Panther« von Dominik Graf (1989)

»Gut, daß du so einen schlauen Mann hast. Da kannst du dir einen dämlichen Liebhaber leisten.« Drei Freundinnen irgendwo in ihren zwanziger Jahren: Pat, Nicoletta und Sissy = Tiger, Löwe und Panther; die eine (Natja Brunckhorst) gefällt sich in der elegischen Pose der Gefühlsunfähigkeit, die zweite (Martina Gedeck) verweigert partout die Entscheidung zwischen Gatte und Lover, die dritte (Sabine Kaack) will unbedingt ein Kind und macht am Stichtag einen drauf. Es geht um Liebe(n), um Frustration(en), um Begierde(n) – und um Kerle: den selbstbewußten Pianisten, den treudoofen Tischler, den lieben Koch, den eitlen Fotografen, den gefügigen Lehrer. Dominik Graf (Regie) und Sherry Hormann (Drehbuch) verweben eine kunterbuntes Konglomerat von skurril-melancholischen, von abgehoben-realistischen Beziehungsszenen zu einem federleichten, dabei nicht oberflächlichen, einem künstlichen, dabei nicht lebensfremden, einem zeitgeistigen, dabei nicht modischen Frauen- und Männerversteherfilm. Eigentlich ist Sommer in »Tiger, Löwe, Panther«, dennoch scheint stets eine dichte Wolkendecke über dem Geschehen zu liegen – so entsteht eine subtile Komödie ohne Lacher, ein emotionales Drama ohne Tränen, ein stimmiges Sittenbild ohne Moralismus.

Der Riß oder Es gibt immer ein Morgen

DVD | »Deine besten Jahre« von Dominik Graf (1999)

Vera Kemp (Martina Gedeck) hat alles. Sie hat einen liebevollen Mann und einen tollen Sohn, ein großes Haus und eine angenehme Familie, viel Geld und viel Zeit, um ihrer Leidenschaft zu frönen. Als Kunsthistorikerin beschäftigt sich Vera mit dem Phantastischen in der Darstellung des Paradieses (!) oder mit dem Bild von Kindheit  und Familie (!) in der Malerei. Die Geschicke des mittelständischen Unternehmens, das Vera einst von ihrem Vater erbte, werden von ihrem Gatten und einem Geschäftsführer gelenkt. Vera lebt in einer Blase des Behagens, einer Wolke der Ignoranz, einem Käfig der Unreife. Dann schlägt das Schicksal zu, mehrfach gleich: Eine Frau taucht auf, die behauptet, seit Monaten schon mit Veras Mann zu schlafen; bevor die Angelegenheit geklärt werden kann, sterben Mann und Sohn bei einem Autounfall; der Geschäftsführer will Vera um ihre Firma bringen; dunkle Familiengeheimnisse blubbern hervor wie Sumpfgas aus der Tiefe eines schlammigen Teiches. Veras bislang gelebtes Glück erweist sich als Fiktion, der gläserne Bungalow wird zur Alptraumkulisse, der schmucke Garten zum unheimlichen Leerraum, der angrenzende Wald zum Labyrinth der Zweifel. An diesen scheinbar alltäglichen Orten inszeniert Dominik Graf virtuose Szenen der Schattenhaftigkeit, der Verstörung, der Fremdheit. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch: »Deine besten Jahre« – ein bisweilen tranceartiges Drama aus der schönen Hölle der besitzenden Klasse, eine irritierende Mischung von praller Kolportage und dramaturgischen Brüchen, eine extravagante Kollision von feiner psychologischer Ziselierung und dämonischer Überzeichnung – erzählt nicht nur die Geschichte eines totalen Zusammenbruchs, sondern schildert auch den Prozeß einer schmerzhaften Neugeburt, eines heulenden Erwachens, eines zitternden Auftauchens aus dem lähmenden Eisbad der Gefühle.

24. September 2012

Jenseits von Gut und Böse

DVD | »Die Katze« von Dominik Graf (1988)

16. Juni 1987: Banküberfall mit Geiselnahme in Düsseldorf. In der steril-anonymen Glas- und Aluminiumwelt des Japanischen Zentrums an der Immermannstraße läuft ein zeitlich, räumlich und inhaltlich hochverdichtetes Heist- und Psychodrama ab. Regisseur Dominik Graf und Autor Christoph Fromm stürzen die Protagonisten in ein sexuell aufgeladenes Kräftemessen, in einen Nervenkrieg des ungerührten Kalküls, der fies-brutalen Macht- und Doppelspiele: den Profi im Hintergrund (kaltblütig: Götz George), die ausführenden Gangster (affektiv: Heinz Hoenig und Ralf Richter), den Leiter des Spezialeinsatzkommandos (listig: Joachim Kemmer), den farblosen Bankdirektor (nicht so lasch, wie man denkt: Ulrich Gebauer) und seine attraktive Frau (nicht so clever, wie sie denkt: Gudrun Landgrebe). »Die Katze« verbindet präzise Berechnung und aufschäumende Emotion zu einem eisig-triebhaften Thriller, vermißt zudem, mit nüchternem Blick (Kamera: Martin Schäfer), die baulich-ästhetische Tristesse des bundesdeutschen Wohlstands, eine finanzstarke Öde, die nur Transitsphären und Überwachungszonen kennt, keine Freiräume, keine Lebensorte.

20. September 2012

Memories are made of this

TV | »Lawinen der Erinnerung« von Dominik Graf (2012)

Rein »filmisch« gesehen, scheint das alles zunächst einmal nicht so toll: Interviews mit einem alten Mann, diverse Fernsehausschnitte, ein paar Reenactments, erklärende Inserts, ein Off-Kommentar. Andererseits ist der konsequente Verzicht auf eine vordergründig originelle Umsetzung des Themas bestechend, ja geradezu sexy. Es geht um einen großen Erzähler, der sich mit Lust und Qual erinnert, immer wieder erinnert, der eintaucht in seine Jugend im »Dritten Reich«, der besessen zurückschaut auf das Ende des Krieges, auf die Zeit des Neubeginns, auf einen Aufbruch, der ins Altbekannte münden wird, der immer wieder jene prägenden Jahre Revue passieren läßt, die den Generalbaß der (bundes-)deutschen Nachkriegsgeschichte bilden. Ab und zu zeichnet der Erzähler, skizziert Topographien, um seine Erinnerungen zu veranschaulichen, um sie konkret zu verorten: Wo die Fahrräder vor dem Schwimmbad abgestellt wurden; wo die Umkleidekabinen der Frauen waren; wo die Luftwaffenhelferin im roten Badeanzug entlangging; wo die Jungs aus der Clique ihre Arme auf den Beckenrand stützten, um jede Bewegung des begehrten Mädchens zu verfolgen. Oliver Storz, der alte Mann, der erzählt, der sich erinnert, hat Fernsehen gemacht in Deutschland. Er hat zu einer Zeit damit begonnen, als es noch keine Quote gab, keine Marktforschung, keine »Events«. Es war eine Zeit, als noch nicht clevere Zyniker einen angeblichen Bedarf abdeckten, sondern kluge Menschen versuchten, neue Formen für ein neues Medium zu finden, etwa indem sie Theater und Film zu etwas Drittem verschmolzen. (Kurze Passagen aus frühen Fernsehspielen wie »Jeanne oder die Lerche« (nach Jean Anouilh) oder »Unsere kleine Stadt« (nach Thornton Wilder) lassen Lars von Triers szenische Ideen für »Dogville« ganz plötzlich aussehen wie einen ziemlich alten Hut.) Dominik Graf verbindet die Erinnerungen des Erzählers mit dessen Schaffen (das eine beeindruckende Spannweite von Sci-Fi-»Kult« à la »Raumpatrouille« bis hin zu psychologischen Historienbildern wie »Im Schatten der Macht« umfaßt), sucht und findet Parallelen zwischen Erlebtem und Erdachtem, interpretiert, kommentiert. Man könnte kritisieren, daß Graf sich aufdrängt mit seinen schweifenden Reflexionen, daß er das Vater-Sohn-Thema der eigenen Biographie einer anderen überstülpt, man kann aber auch fasziniert bemerken, erkennen, erspüren, wie er sich eingroovt in den Sound einer vergangenen Ära, wie er sich einläßt auf die Gedanken- und Erfahrungswelt des alten Erzählers, der aus seiner Lebensgeschichte, die ein Unterkapitel von Weltgeschichte war (nein: ist), ein originäres Werk schöpfte. »Lawinen der Erinnerung«, Dominik Grafs (eben doch sehr filmische) Annährung an Oliver Storz, ist bestes Fernsehen: persönlich und intensiv, unzeitgemäß und vielleicht gerade darum richtungsweisend.

6. September 2012

Die Geheimnisse von Paris

Kino | »Holy Motors« von Leos Carax (2012)

»Ich hab’ halt einfach nichts zu sagen. Und trotzdem möchte ich etwas sagen.« Sagte Guido Anselmi in Fellinis »8 ½«. Leos Carax dürfte etwas Ähnliches empfunden haben – in »Holy Motors« schwadroniert er jedenfalls feste drauflos, ohne daß seinen Mitteilungen ein eindeutiger Gehalt zu entnehmen wäre. Im Mittelpunkt des episodenhaften Geschehens steht Carax’ altes (und gealtertes) Alter Ego Denis Lavant, der von Edith Scob in einer weißen Stretch-Limousine kreuz und quer durch Paris chauffiert wird, um an verschiedenen Orten in verschiedene Rollen zu schlüpfen: Monsieur Oscar ist mal steinreicher Bankier, mal Vater einer traurigen Tochter, mal Biest, das auf dem Friedhof eine Schöne raubt, mal alter Onkel, der in den Armen einer barmherzigen Nichte stirbt, mal Mörder seiner selbst, mal Bettlerin am Seine-Ufer. Vielleicht ist das alles Surrealismus, vielleicht ist es Unkonzentriertheit, vielleicht ist »Holy Motors« eine anspielungsreiche Etüde über das verdämmernde Kino und die unbekannten Räume, in die es einst vorzustoßen vermochte, vielleicht eine Reihung von Szenen, die aus anderen (besseren?) Drehbüchern gestrichen wurden, vielleicht eine Allegorie auf das Leben selbst, auf seine Inkonsistenz, seine Rätselhaftigkeit. Man kann sich ärgern über assoziative Bedeutungshuberei, man kann sich freuen an einer bilderrauschenden Entdeckungsfahrt durch die Stadt der Städte. Die schönste Sequenz des Films, die (wie ein Feuillade-Serial) Phantastik und dokumentarische Qualität raffiniert-mühelos miteinander verbindet, spielt nachts im ausgeweideten Jugenstil-Kaufhaus »La Samaritaine« (das gerade in ein Luxushotel umgewandelt wird), wo Lavant und die zur Kunstfigur erstarrte Kylie Minogue zwischen toten Schaufensterpuppen (und mit Blick auf den Pont Neuf!) einer verlorenen, unsterblichen Liebe nachtrauern. In einem wachträumerischen Epilog philosophiert einer Großgarage voller Straßenkreuzer vor dem Einschlafen über die Zukunft: Die Maschinen haben ausgedient. Vielleicht meint Carax nicht nur die Motoren der Autos, vielleicht meint er auch die ratternden Projektoren. Vielleicht hat er etwas zu sagen, vielleicht auch nicht. Immerhin hat er etwas zu zeigen.