21. September 2015

Können ohne zu kennen

Kino | »Ich und Kaminski« von Wolfgang Becker (2015)

Eine der größten Herausforderungen für einen Autor ist es vielleicht, einen Künstler zu erfinden. Es ist nicht damit getan, eine fiktive Biographie zu ersinnen, nein: ein nicht existierendes Werk muß erschaffen werden. Als Thomas Mann die irdische Laufbahn des Tonsetzers Adrian Leverkühn nachzeichnete, wußte er mit Arnold Schönberg und Theodor Adorno zwei musikalische Kapazitäten an seiner Seite, die der Figur nicht nur Leben sondern schöpferische Tiefe einzuhauchen halfen. Wolfgang Becker, der (nach dem Erfolgsroman von Daniel Kehlmann) mit Manuel Kaminski eine der großen Malerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts imaginiert (Schüler von Matisse, Freund von Picasso, Parteigänger der Pop-Artisten), hat FX-Techniker zur Hand, die Kaminskis Konterfei (bzw. das seiner Darsteller) leidlich geschickt in historisches Film- und Fotomaterial kopieren, dazu einen gewissen Herrn Gruber, der mit pinselschwingender Verve die irgendwie passend erscheinende Kunst beisteuert. Mann und Kehlmann genießen den Vorteil, daß Leverkühns Musik im Text nicht zu hören, Kaminskis Kunst im Buch nicht zu sehen ist; im Film ist das naturgemäß ein klein wenig anderes. Bestimmt liegt es nicht allein an der stupenden Zweitklassigkeit der ausführlich abgefilmten, kunsthistorisch angeblich so bedeutenden Gemälde, daß »Ich und Kaminski« zu einem eher lauen Vergnügen gerinnt: Das Road-Movie um einen jungen, arschlochhaften Journalisten (Daniel Brühl), der sich vampiristisch an einen blinden (?), nahtoten Künstler (Jesper Christensen) hängt, um die Story seines/seines Lebens zu schreiben, wobei die ganz unterschiedlich gelagerte Eitelkeit beider Männer in eine überraschend zärtliche Freundschaft mündet, hat durchaus Reiz – doch die preziös ausgestellte altindische Lebensklugheit (»Ich habe nichts.« – »Dann wirf es weg.«) sowie eine eher konventionelle Senioren-Sentimentalität (»Das ist lange her.«) mindern den Charme dieser (allzu langen) Reise vor allem gegen Ende hin ganz beträchtlich. Zudem geht Beckers gemächlich inszenierter Versuch, mit der Beschreibung von Bizarrerien des Kunst- und Medienbetriebs, nach Art einer Dietl’schen Gesellschaftsfarce, den ganzen Unsinn des allgemeinen Rattenrennens bloßzulegen, in summa nicht auf; die skurrilen Momentaufnahmen bilden eher eine unzusammenhänge Vielzahl denn eine beweiskräftige Darstellung.