7. November 2010

Terror 70

Kino | »Carlos« von Olivier Assayas (2010)

Waffen als Verlängerung von Körpern. Terror als Verlängerung von Politik. Olivier Assayas schlägt ein monumentales Zeitbild aus dem Granit des age of extremes. Im Zentrum steht ein moderner Mythos, ein unscharfes Bild in der Zeitung, ein Fahndungsblatt an der Wand der Geschichte: Ilich Ramírez Sánchez, der sich den nom de guerre »Carlos« gab – überzeugter Revolutionär, eitler Pfau, Handlungsreisender der Todes, chauvinistischer Schürzenjäger, mediales Phänomen, disziplinloser Soldat, trunksüchtiger Fettsack, Prahlhans, Ikone, Phantom. Der Film stellt die vielfach gebrochene Persönlichkeit seines (Anti-)Helden einerseits mit dokumentarischer Nüchternheit zur Schau, ohne sich andererseits der sinistren Faszination, die von ihr ausgeht, entziehen zu wollen. Mit kalter Ironie wird der Terrorismus als Avantgarde der Globalisierung begriffen: Die Handlung springt wie ein rastloser Knallfrosch von Paris nach Damaskus nach London nach Aden nach Den Haag nach Beirut nach Wien nach Algier nach Budapest nach Tripolis nach Ostberlin nach Bagdad nach Khartoum; es wird französisch gesprochen und arabisch, spanisch und ungarisch, englisch und deutsch. Dutzende von handelnden Personen treten auf (und wieder ab), und fast alle von ihnen finden durch eine akkurate Regie und präzise Darsteller zu individueller Ausdruckskraft. Der Faden der Erzählung(en) verheddert sich zu keinem Zeitpunkt; »Carlos« bleibt (bei fünfeinhalb Stunden Laufzeit wahrlich keine Selbstverständlichkeit) spannend bis zum letzten Augenblick – wohl deshalb, weil der Film, bei aller Faktenfülle, einer klaren Bewegung folgt: einer Spirale, die von der revolutionären Illusion, daß der Kampf auf Leben und (anderer Leute) Tod ein erhabenes Ziel habe – die Freiheit etwa, oder die Wahrheit, oder das Glück –, in immer engeren Windungen hinabführt zur Erkenntnis, daß es letztlich nur um den Rausch der blutigen Tat geht, um die Befriedigung von Eitelkeit und irgendwann lediglich noch um den Kampf selbst, um das Weitermachen bis zum bitteren Ende, einem Ende ohne Sieg, ohne Freunde, ohne Erlösung.