18. Dezember 2011

This film will self-destruct in five seconds

Kino | »Mission: Impossible – Ghost Protocol« von Brad Bird (2011)

Zum vierten Mal machen Ethan (Tom) Hunt (Cruise) und die Seinen das Unmögliche möglich. Animationsregisseur Brad Bird wagt sich mit »M:I4« an seinen ersten Realfilm, sofern diese Bezeichnung für einen Actioner des 21. Jahrhunderts zutreffen mag. Die Idee, als Antagonisten des IMF-Teams einen fanatischen Doomsday-Propheten zu positionieren, der mittels eines thermonuklearen Krieges der lahmenden Evolution einheizen will, klingt vielversprechend; leider erweist sich die Ausführung des atomaren Wettlaufs als recht wahlloses Abklappern von pompösen setpieces. Die Akteure bleiben durchweg uncharismatisch, insbesondere der Schurke (Michael Nyqvist) gewinnt kaum dämonische Kontur – so gleicht das Ergebnis (trotz beiläufiger Sprengung des Kremls) eher einer überdimensionierten Serienfolge denn einem vollwertigen Spielfilm.

9. Dezember 2011

In den Augen der Öffentlichkeit

Kino | »The Big Eden« von Peter Dörfler (2011)

Rolf Eden als ›Rolf Eden‹: Playboy und Schwadroneur, Nachteule und Geschäftsmann, Akkordstecher und Kamerajunkie. »Das schöne Leben mit Eden«, das der (inzwischen 80jährige) Protagonist sich und anderen seit Dezennien konsequent vorspielt, beginnt alltags mit der ausführlichen Morgentoilette (viel Haarspray), setzt sich fort mit einem im blütenweißen Flauschfrotteemantel eingenommen Frühstück (Pfennigs-Feinkostsalat aus dem Plastikbecher), wobei Freundin Brigitte (sprich: Brischitt) flunsch­mündig in der Zeitung (»Berliner Morgenpost«) blättert, während die (hoffentlich skandalträchtigen) Pressetermine des Tages durchgesprochen werden; dann folgt die Ausfahrt im frischpolierten Rolls – zum Beispiel um eine eigens zu Dreharbeiten für eine Rolf-Eden-Dokumentation anreisende Exfreundin (»Schnuppi«) vom Flughafen abzuholen … Die beste Idee von Autor und Regisseur Peter Dörfler ist es, gar nicht erst den Versuch zu unternehmen, die von Eden errichtete Selbstkulisse zu durchbrechen; indem sich »The Big Eden« mit großer Konsequenz, insistierender Aufmerk­samkeit und sicherem Formgefühl der Oberfläche des Phänomens widmet, gelingt es dem Film immerhin, das gültige mediale Abbild dieser einmalig öffentlichen Person zu schaffen. Als von vielbeschrieenen Entblößungsformaten wie »Big Brother« noch nicht im Entferntesten die Rede war, hat Eden sein Happy-Terror-Ego der Allgemeinheit schon zugleich rückhaltlos preisgegeben und unerbittlich aufgezwungen; auf diese Weise wurde er – im engen Rahmen von Westberlins bestenfalls provinzieller Weltläufigkeit – zur Spiegelkugel, in der sich Degout und Sehnsucht einer gierig-verklemmten Gesellschaft brachen (und brechen). Selbst Edens sieben Kinder und die dazugehörigen sieben Mütter können nur rätseln, ob sich hinter der (mittlerweile recht zombiesken) Charakter­maske eine reale Person verbirgt. Lediglich die Erzählungen von alten Freunden aus Israel (bzw. Palästina, wo Eden nach der Emigration der Familie 1933 Kindheit und Jugend verbrachte), etwa die Erinnerungen von Kriegskameraden aus der Einheit von Yitzhak Rabin, lassen so etwas wie einen lebenden Menschen erahnen, ein Wesen mit biographischen Brüchen, mit Sinnen, Neigungen, Leidenschaften: Wenn man Rolf Eden stäche, würde er vermutlich bluten.

3. Dezember 2011

Talk to me!

Kino | »The Artist« von Michel Hazanavicius (2011)

Hollywood, 1927. George Valentin strahlt als blendender Stummfilmstar von der Leinwand. Peppy Miller träumt als attraktive Komparsin von Reichtum und Ruhm. »The Artist« zeigt den langsamen Abstieg des einen und das glitzernde Emporkommen der anderen – bis zum endgültigen Zusammentreffen der Parallelen in der Unendlichkeit der Illusionsmaschine. Dabei sind es nicht nur der Siegeszug des Tons und der Crash der Börse, die den beiden Karrieren ihren gegenläufigen Drive geben – zähnebleckende Eitelkeit und stolze Verbitterung stehen gegen zukunftsfrohe Lebenslust und liebevolle Hilfsbereitschaft. Michel Hazanavicius erzählt seine ergreifend schlichte Rauf-runter-(rauf-)Story – in Schwarzweiß und Academy ratio (!) – mit dem slapstickhaften Witz und der tränenfeuchten Melodramatik des noch nicht ganz klassischen Studiokinos. Der (fast) völlige Verzicht auf Dialoge, das naiv-sensible Spiel mit Geräuschen und Musik, die Verbeugung vor den Matadoren der silver screen – Jean Dujardin spielt eine Mischung aus Douglas Fairbanks und Don Lockwood, Bérénice Bejo erinnert an die junge Joan Crawford – fügen sich zur nostalgischen Eloge an die dynamische Jugendzeit des Kinos; daß ästhetischer Wandel und technische Innovation dennoch nicht dämonisiert werden, macht die große Klasse das Films aus: »Die Dinge müssen sich ändern, um die gleichen zu bleiben.« Diese (bittere) Erkenntnis eines sizilianischen Fürsten könnte auch als (befreiendes) Motto vor »The Artist« stehen.

20. November 2011

Die Herren Analytiker geben sich die Ehre

Kino | »A Dangerous Method« von David Cronenberg (2011)

Ein seelenkundlicher Truffe du Jour aus der guten alten Zeit: Vor 1914 schien immer die Sonne, sanft wogten die Wellen auf dem See, der Rasen war stets frisch gemäht, die Doktoren trugen ordentlich getrimmte Bärte, die Fenster der Nervenkliniken boten herrliche Ausblicke, selbst eine Hysterikerin, die sich im Krampfanfall wand, blieb recht appetitlich anzusehen. Natürlich kannte die hochherrschaftliche Welt von Gestern auch Spannungen: Da war zum Beispiel ein psychiatrischer Vater-Sohn-Konflikt, ausgetragen in (mündlich wie schriftlich) wohlgesetzten Worten, oder auch die unerlaubte Leidenschaft eines Arztes für eine seiner Patientinnen, eine Begierde indes, die – noch wenn zur Lustbefriedigung der Ledergurt geschwungen wurde – stets Formbewußtsein wahrte. »A Dangerous Method«, die episodische Erzählung über diese (und andere) Ereignisse in den Praxen von Dr. Carl Gustav Jung (Zürich) und Dr. Sigmund Freud (Wien), umspannt rund ein Jahrzehnt, ein Zeitraum, der dem Zuschauer (besser gesagt: Zuhörer) von David Cronenberg durch die stilvolle Behäbigkeit der Inszenierung eindringlich erfahrbar gemacht wird. In den schönen, leeren Bildern bleibt viel Raum für eigene Gedanken, Assoziationen, Reminiszenzen. Zum Beispiel die Erinnerung an einen Dialog aus »Manhattan«: »Sie nennen Ihren Psychoanalytiker Donnie?« – »Ja.« – »Ich nenne meinen Doktor Chomsky. Sonst schlägt er mich mit dem Lineal.«