22. Januar 2013

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Kino | »Django Unchained« von Quentin Tarantino (2012)

Rache in Überlänge, wie man sie von Quentin Tarantino erwarten darf. Der Schauplatz diesmal: die amerikanischen Südstaaten kurz vor dem Bürgerkrieg. Das ausladende Gewaltmärchen versucht (natürlich) keine ernstgemeinte Beschreibung der Sklavengesellschaft, und der schwarze Titelheld führt die Seinen nicht zur Revolte (geschweige denn zur Revolution). Django ist kein Spartacus, er ist ein Mann, der seine Frau wiederhaben will, ein Kerl mit Knarre(n) und Zielsicherheit, ein Typ ohne Angst vor Blut – auf seiner Agenda steht Vergeltung, nicht Veränderung. Wo »Inglourious Basterds« nebenbei eine faszinierende Gegengeschichte entwirft, träumt »Django Unchained« vor der Kulisse von Knechtschaft und Rassismus lediglich einen spätpubertären Befreiungs(alp)traum, der in seiner flatterigen Dramaturgie viel Raum (und noch mehr Zeit) bietet für Zitate und Plagiate, für geschliffene Dialoge und endloses Geschwätz, für eine Stoneface-Performance (Jamie Foxx) und ungebremste Schmierendarstellungen (DiCaprio als southern psycho, Jackson als minstrel coon, Waltz als good German), für mörderischen Ulk und rohe Brutalität, für kuriose Situationen und den einen oder anderen emotionalen Moment. Manch einer mag dieser collagenhaften Westploitation-Story ein beglücktes »Auf Wiedersehen« nachrufen, ein anderer sagt vielleicht lieber »goodbye«.

11. Januar 2013

Hallo, hier spricht Atze Brauner

Sechs Bryan-Edgar-Wallace-Filme der CCC

1962 | »Das Geheimnis der schwarzen Koffer« von Werner Klingler

Bevor sie von einem schwirrenden Dolch durchbohrt werden, finden die Opfer des Londoner »Messermörders«, quasi als Vorankündigung der großen Reise, die sie antreten werden, ihre gepackten Koffer. Scotland-Yard-Inspektor Finch (Joachim Hansen) kommt dahinter, daß sämtliche Erstochenen in irgendeiner Form mit der Todesdroge ›Meskadrin‹ (»Die Menschen, die es nehmen, sind rettungslos verloren!«) zu tun hatten … Werner Klingler hat Mühe, dieser lahm um Sucht und Rache kreisenden Bryan-Edgar-Wallace-Adaption Momente von Interesse oder Spannung abzugewinnen: Die Schwarzweißbilder (Richard Angst) entwickeln kaum beunruhigende Atmosphäre, der Humor (Chris Howland als kindischer »Tonjäger«) bleibt so steif wie eine Melone. Allein die jahrmarktsorgelhaft quäkende Musik (Gert Wilden) und Leonard Steckel in einer Doppelrolle als verlotterter Kassenarzt und kultivierter Schloßherr (mit moderner Rauschgiftküche im Kellergewölbe) kitzeln gelegentlich die Nerven. PS: Mit Gusto fürs Absurde wird Jess Franco denselben Stoff acht Jahre später unter dem Titel »Der Todesrächer von Soho« in ein kinematographisches Delirium verwandeln.

1963 | »Der Würger von Schloß Blackmoor« von Harald Reinl

Kurz vor Erhebung in den Adelsstand wird der steinreiche Lucius Clark (Rudolf Fernau) von einem maskierten Unbekannten bedroht: Der Nabob müsse dafür bezahlen, daß er sein Vermögen durch tödlichen Verrat an einem früheren Partner gemacht habe. Alle Versuche Clarks, seinen Edelsteinschatz zu verhökern, werden von dem anonymen Rächer hintertrieben … Zwar schleppt sich die Story ein wenig lustlos durch die vertrauten Schauerkulissen des bundesdeutschen Britenkrimis (Herrensitz, Park, Spelunke, Friedhof, Keller), aber Harald Reinl darf, auf Schloß Blackmoor und im ›Old Scavenger (≈ Aasfresser) Inn‹, ein stimmiges Ensemble fragwürdiger Typen dirigieren: Hans Nielsen als raffgieriger Hehler, Richard Häussler als wendiger Anwalt, Ingmar Zeisberg als zweideutiges Weibsbild und vor allem Dieter Eppler als diamantenfetischistischer Butler. Ein besonders schräges Highlight des Films ist zudem die Elektronenmusik von Oskar Sala, ein am Mixturtrautonium erzeugtes Klanggewebe aus Klirren, Sirren, Scheppern und Blubbern, Gurgeln, Pochen.

1963 | »Der Henker von London« von Edwin Zbonek

Täuschend echte Edgar-Wallace-Kopie über ein anonym-klandestines Konsortium, das Kriminelle, die ihrer gerechten (= tödlichen) Strafe entgehen konnten, ebenderselben zuführt. (Nur scheinbar) parallel zu diesem Fall von Schattenjustiz entwickelt sich der Erzählstrang um einen ruchlosen Frauenkiller (Wolfgang Neuss würde sagen: »Was soll’s? Der Mörder ist Dieter Borsche.«), der ständigen Nachschub an Blondinen benötigt, um seine wissenschaftlichen Studien zur Trennung von Geist (= Kopf) und Körper voranzutreiben. Inspektor Hillier von Scotland Yard (engagiert: Hansjörg Felmy), dessen eigene Schwester Opfer des pathologischen Verbrechers wurde, tritt ermittlungstechnisch auf der Stelle, bis er seine (blonde) Verlobte Ann (Maria Perschy), die Tochter des pensionierten Richters Sir Francis Elliott (Rudolf Forster), eines Juristen, der zu Amtszeiten keine Gnade kannte, als Lockvogel ins Rennen schickt … Chris Howlands original-englische Scherzkeks-Auftritte erweisen sich als würdiger Eddi-Arendt-Ersatz; Kameramann Richard Angst trägt seinen Nachnamen völlig zurecht; mit hohem Sinn für makabre Stimmungsmalerei inszeniert Edwin Zbonek einen charmant-obszönen Talmi-Grusler alter Schule.

1964 | »Das Phantom von Soho« von Franz Josef Gottlieb

»He, du, ich zeig dir, wie man küßt, / Solang du noch am Leben bist.« Ein B(ryan-Edgar-Wallace)-Film über das brutale Aufbrechen einer verdrängter Vergangenheit: Im Londoner Rotlichtdistrikt (»Soho ist voll von Liebe und von Lust. / Sir, das haben Sie nicht gewußt?«) geht ein geheimnisvoller Killer um; in der Nachbarschaft der verruchten (von Elisabeth Flickenschildt mit stolzer Diskretion geführten) »Sansibar« werden vorwiegend ältere Herren erstochen und nach ihrem gewaltsamen Ableben jeweils mit einer 100-Pfund-Note bedacht. Zu den Scotland-Yard-Ermittlern Sir Philip und Inspektor Patton (Hans Söhnker und Dieter Borsche – ebenfalls Männer im besten Alter) gesellt sich die forsche Kriminalschriftstellerin Clarinda Smith (Barbara Rütting), die Inspiration für ihr neuestes Werk sucht, das parallel zum Fortschreiten der Mordserie Gestalt annimmt und mit deren Auflösung seinen Abschluß findet … Auch wenn die Handlung längere Zeit auf der Stelle tritt, ist Franz Josef Gottliebs routiniert runterinszenierter, mit einigen hausbackenen Pikanterien gewürzter Genrebeitrag eine, vor allem vom Ende aus betrachtet, reizvolle Variation über das Verhältnis von Leben zu Kunst zu Körper zu Geld zu Tod.

1964 | »Das Ungeheuer von London-City« von Edwin Zbonek

Das Leben imitiert die Kunst, die das Leben imitiert: Der Schauspieler Richard Sand (Hansjörg Felmy in zerzauster Mr.-Hyde-Maske) spielt auf der Bühne den historischen Jack the Ripper, dessen Verbrechen wiederum auf den Straßen Londons Nacht für Nacht kopiert werden; wegen des blutigen Nachahmungseffektes fordern Politiker die Absetzung des Horror-Stücks, während sich der Spielleiter über lebens-, besser gesagt: todesechte Werbung freut … Unter dem Bryan-Edgar-Wallace-Label schustern Regisseur Edwin Zbonek und Autor Robert A. Stemmle (neben seiner Filmarbeit auch Herausgeber des ›Neuen Pitaval‹) eine holprige Schlitzerposse zusammen: Die einigermaßen groteske Figur des regsamen Mörders in Schlapphut und Pelerinenkragen sorgt zwar für einen gewissen Unterhaltungswert, das eigentliche Thema des Films – die gegenseitigen Beeinflussungen von Realität und medialem Abbild, von Authentizität und Fiktion – verschwimmt jedoch flusig im dichten Bühnennebel.

1964 | »Das siebente Opfer« von Franz Josef Gottlieb

Im herrschaftlichen Umfeld von Lord Mant (Walter Rilla), Kronrichter im Ruhestand und siegesbewußter Rennstallbesitzer, ereignet sich ein Mord nach dem anderen; schließlich fällt der ehrenwerte Pferdefreund selbst einer (Heugabel-)Attacke zum Opfer, ohne daß das Meucheln damit zu einem Ende käme … Bis fast zum Schluß des Films bleibt unklar, worum es eigentlich geht; Franz Josef Gottlieb läßt die Handlung lässig unter den Tisch fallen, verbrät stattdessen die üblichen Sujets des (Sub-Sub-)Genres (Zwistigkeiten in komplizierten Familienverhältnissen, (Blut-)Rache für frühere Ungerechtigkeit, allgemeine Undurchsichtigkeit von Beweggründen, anonyme Auftritte des großen Unbekannten) in einem freien Spiel der Themen und Motive, schafft viel Raum für die stereotypen Krimifiguren und ihre gut aufgelegten Darsteller: die kantige Adelsfrau (Alice Treff), den honorigen Geistlichen (Hans Nielsen), den fragwürdigen Veterinär (Harry Riebauer), die undurchsichtige Schönheit (Ann Savo), den fiesen Gauner (Wolfgang Lukschy), den verlotterten Erben (Helmuth Lohner), den suspekten Butler (Peter Vogel). Mit wohldosiert-plattem Humor (Trude Herr als beleibte »Diätschwester«!) gerät »Das siebente Opfer« zum originellen billigen Abklatsch eines nicht viel wertvolleren Originals.

7. Januar 2013

Jack the Reacher

Kino | »Jack Reacher« von Christopher McQuarrie (2012)

»Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.« Ob DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, die mit diesem Satz ihre Enttäuschung über die juristische Praxis der freiheitlichen Demokratie zum Ausdruck brachte, die Methoden von Jack Reacher (»The law has limits. He does not.«) gebilligt hätte, darf bezweifelt werden – dennoch stößt ihr Lamento in dieselbe gefühlte Lücke zwischen »Recht« und »gerecht« wie die Handlungen des von Tom Cruise dargestellten »anständigen« Vigilanten. Schade, daß »Jack Reacher« sein eigentliches Thema nicht thematisiert: Christopher McQuarrie inszeniert einen erstaunlich altmodischen, recht spannenden Whydunit um einen ehemaligen army sniper und (s)einen (tatsächlichen? vermeintlichen?) Amoklauf, ein solides Krimidrama, das sich zwischen den gelegentlichen Actionausbrüchen viel Zeit nimmt für Recherche und die Entwicklung von Atmosphäre (Kamera: Caleb Deschanel), doch die uralte Zweifelsfrage, wie schlecht die Guten sein dürfen, damit das Schlechte nicht über das Gute triumphiere, interessiert den Regisseur nicht einmal am Rande. »He doesn't care about proof, he doesn't care about the law, he only cares about what's right«, heißt es über den schlagkräftigen, hochintelligenten Anti-Helden – der Film illustriert diese bedenkliche Position, stellt sie aber nicht zur Diskussion. Über einen Umweg ist allerdings zu erfahren, welcher Art die Geschöpfe sind, die von Regellosigkeit und Willkürherrschaft geformt werden: Der von Werner Herzog mit surrealer Dämonie gespielte Meta-Schurke ›the Zec‹ (≈ der Häftling), ein Überlebender des sowjetischen Archipel GULag, hat nicht nur mit jeder gesetzlichen Ordnung gebrochen, er hat den Raum des menschlichen Seins verlassen. Jack Reacher ist ein Spiegelbild dieser Alptraumfigur.