10. Oktober 2016

Tage und Nächte eines Genies

DVD | »Saint Laurent« von Bertrand Bonello (2015)

Die Filmgeschichte kennt einige dieser merkwürdigen Duplizitäten: 1955 brachten G. W. Pabst und Falk Harnack gleichzeitig die Ereignisse des 20. Juli 1944 auf die Leinwand, Ende der 1980er Jahre nahmen sich Stephen Frears und Milos Forman simultan die »Liaisons dangereuses« vor, und kürzlich nun: »Yves Saint Laurent« und »Saint Laurent«, zwei parallel produzierte Filme über Leben und Zeit des 2008 verstorbenen großen Modeschöpfers. Begnügt sich Jalil Lesperts Werk – hergestellt mit Unterstützung und Segen des Saint-Laurent-Lebensgefährten, -Geschäftspartners und -Erben Pierre Bergé – weitgehend mit dem braven Abklappern einiger biographischer Eckpunkte, versucht Bertrand Bonello etwas Interessanteres: in as- und dissoziativen erzählerischen Rück- und Voraussprüngen entwirft er das Portrait eines von seinen Dämonen gehetzten Jahrhundertkünstlers. »Begabt sein: Immer! / Genie: Nein danke! / Talent: Der Gesunde. / Genie: Das Kranke.« schrieb Robert Gernhard, und Bonello zeigt anschaulich, was es heißt (und wie anstrengend es für alle Beteiligten ist), ein Genie zu sein: rauschhafte Kreativexplosionen, Schußfahrten in die Depression, gesteigerte Sensibilität, Drang zur  Selbstzerstörung, ekstatisches Verschmelzen, totale Einsamkeit. Im Rennen gegen Lespert hat Bonello auch durch die Auswahl der Schauspieler die Nase vorn: wo der feingliedrige Pierre Niney in der Titelrolle vor allem durch verblüffende Ähnlichkeit überzeugte, bringt Gaspard Ulliel eine triebhaft-erotische Note in die Darstellung ein, die, statt lediglich eine deviante Sexualität auszumalen, das Wesen von Saint Laurents Schöpferkraft erhellt, etwa wenn der Meister im Ankleideraum eine spröde Kundin (Valeria Bruni Tedeschi) gleichsam umtanzt und auflockert; Louis Garrel spielt YSLs große Liebe und Nemesis Jacques de Bascher mit der Laszivität eines verführerischen Höllenprinzen und Helmut Berger, der mit abgefuckter Grandezza den alten Saint Laurent verkörpert, steuert gleich seine eigene Legende bei: die Szene, in der sich der retirierte Couturier im Fernsehen Viscontis »Die Verdammten« mit dem jungen Helmut Berger ansieht, ist kein bloßer Cineasten-Gag sondern eine melancholische (Selbst-)Reflexion über die Vergänglichkeit von Schönheit und Ruhm. Nur der Schlußsequenz ist anzumerken, was es bedeutet, einen Saint-Laurent-Film ohne die Zustimmung des Lordsiegelbewahrers Bergé zu machen: der finalen Modenschau fehlen schlichtweg der Reichtum, die Dichte, der Luxus – da helfen auch keine Splitscreen-Montagen. Ein originelleres Kinostück als Lespert ist Bonello aber allemal gelungen.

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