8. Juni 2014

Märchen aus der Wirklichkeit

Drei Meisterwerke von Rudolf Thome (Regie) und Max Zihlmann (Buch)

1969 | »Detektive«

Münchner Schule in schwarzweiß und Ultrascope. Ein helles Neubaubüro: ein schwarzer Schreibtisch, zwei Sessel, ein Aktenregal, eine Reiseschreibmaschine, ein Bett. Zwei Freunde, Andy Schubert (Marquard Bohm) und Sebastian West (Ulli Lommel), ziemlich entspannte Typen, lümmeln herum, spielen Detektiv – Philip Marlowe und Sam Spade lassen grüßen, Jean-Paul Belmondo und Alain Delon stehen Pate. Dazu die unvermeidliche Sekretärin: Micky (Uschi Obermeier), die ans Telefon geht, die Drinks mixt, die, wie man sehen wird, ein eigenes Süppchen kocht. Ihre Arbeit sehen die Detektive eher sportlich, fahren in offenen Wagen durch die Gegend, sind jederzeit bereit, ihre Auftraggeber zu hintergehen und sich mit den Zielpersonen zu solidarisieren, wenn sie nur hübsch genug sind, wie zum Beispiel Annabella (Iris Berben), die von einem gewissen Busse verfolgt und mit der Waffe bedroht wird. »Ich an deiner Stelle würde ihn ja heiraten«, sagt die pragmatische Micky zu Annabella, »so schnell findest du nicht wieder einen Mann, der auf dich schießt.« Nach und nach entwickelt sich aus dem Geplänkel eine Art Story, mindestens so kompliziert wie bei Raymond Chandler: Liebe, Eifersucht, Intrigen, Betrug, Doppelspiel, Entführung, Erpressung, Gift, Mord. Im Mittelpunkt steht Krüger (Walter Rilla), ein kultivierter alter Herr, der hat, was alle wollen: Geld. 100000 Mark Versicherungssumme sind bei Krügers Tod fällig, egal ob er im Bett stirbt oder einem Verbrechen zum Opfer fällt. Thome und Zihlmann erzählen in ihrem nüchtern-skurrilen Film-noir-Pastiche keinen einfachen Generationenkonflikt, denn im Kampf um das Erbe der Väter zeigen die Jungen nicht den geringsten Gemeinschaftsgeist: Jeder ist sich selbst der nächste. Geschossen wird mit der gleichen kühlen Selbstverständlichkeit wie geküßt oder geschlafen, wie Whisky getrunken oder Steaks gebraten … Zeitgeist und Kinomythen, zusammengebunden von zwanglosen Bewegungen der Akteure und der Kamera, von vibrierendem Jazzrock und lapidaren Dialogen: »Ich habe auch einmal zu Hoffnungen Anlaß gegeben, ich konnte mich nur nie entscheiden, zu welchen.«

1970 | »Rote Sonne«

Eine Wohngemeinschaft in München. Einfarbig gestrichene Räume, ockergelb, flaschengrün, hellblau, rosarot, bewohnt von vier jungen Frauen, Peggy, Sylvie, Christine, Isolde. Ein eigenes Zimmer hat keine von ihnen: »Wir schlafen mal da und mal da.« Eines Tages kreuzt Thomas auf (Marquard Bohm spielt ihn mit unwiderstehlich kaputtem Charme), ein alter Bekannter von Peggy (viel Haar, viel Bein: Uschi Obermeier), nistet sich ein, nassauert, wie es eben so seine Art ist, bemerkt irgendwann, daß etwas nicht stimmt. »In dieser Wohnung gehen Dinge vor, die die Vorstellungskraft übersteigen.« Four girls and a gun: Die Männerbekanntschaften der Mädchen müssen nach fünf Tagen tot sein. Spätestens. »Schließlich haben sie es verdient.« Die unsentimentalen filles fatales machen das nicht aus Spaß. Ihr Projekt ist revolutionär. Das überkommene Verhältnis zwischen Männern und Frauen steht zur Disposition. Thome und Zihlmann entwickeln ihre perplex-lustvolle Männerphantasie (das Stichwort »Vampirfilm« fällt wohl nicht ohne Grund) vor dem Hintergrund des sich formierenden Feminismus. Die Forderungen des »Aktionsrats zur Befreiung der Frauen« spuken durch die Erzählung, ebenso wie Valerie Solanas Mordanschlag auf Andy Warhol. (Die Autorin des ›SCUM Manifesto‹ und ihre spektakuläre Tat mögen auch Zbynek Brynych zu seiner – zeitgleich entstandenen – exzentrischen Gesellschaftssatire »Die Weibchen« inspiriert haben.) »Rote Sonne« nimmt den Geschlechterdiskurs freilich nicht ernster als das lässige Spiel mit Kinoposen (die wiederum nichts anderes sind als stilisierte Lebensäußerungen): in der Badewanne liegen, Zigarre rauchen, mit Schußwaffen hantieren, tanzen, küssen, sterben – Hollywood von Schwabing aus durch die Nouvelle-Vague-Brille gesehen … Die Sache der Frauen hat übrigens ihre Schwierigkeiten: Wie in jeder radikalen Bewegung gibt es nicht nur Loyalität und Entschlossenheit, sondern auch Zweifel und Verrat. Peggy liebt Thomas, zögert, ihn umzubringen, obwohl er längst auf der Abschußliste steht. Am Ende wird sie wieder auf Linie gebracht: »Du mußt jetzt konsequent sein.« Das rotglühende Finale findet bei Sonnenaufgang am Starnberger See statt: Lichtspiele auf den Wellen, eine Schießerei im Wald, zwei leblose Körper am Wasser. Der Tod tanzt zum Adagio von Albinoni: »Man muß immer darauf achten, daß man ein gewisses Niveau nicht unterschreitet. Sonst ist es schnell aus.«

1971 | »Supergirl«

Sie taucht auf, in der Ferne, zwischen den hohen Grashalmen einer Wiese, trägt einen orangefarbenen Overall, kommt langsam näher. Sie hält einen roten Ferrari an, steigt ein, sagt nicht viel, läßt sich vom Fahrer mitnehmen in dessen Apartment, wo sie sich auszieht, ins Bett legt und einschläft. In der Tasche ihres Overalls findet sich lediglich ein bolivianischer Paß, ausgestellt auf den Namen Francesca Farnese. Iris Berben spielt diese Frau, attraktiv und enigmatisch, zart und doch entschlossen, sie schwebt gleichsam durch Thomes und Zihlmanns pop-poetisches Kinokonstrukt, umgeben von einem intergalaktischen Mysterium. Die einsilbige Francesca trifft auf den coolen Erfolgsschriftsteller Evers (Marquard Bohm), der zu ihr sagt: »Ich liebe geheimnisvolle Frauen. Sie sind mein Untergang.« … »Supergirl« ist eine Science-Fiction-Comic-Mystery-Romanze in leuchtenden Farben: Vielleicht geht es um das Schicksal der ganzen Menschheit, vielleicht um die Beziehung zweier Menschen, vielleicht auch um beides, denn das eine hat ja mit dem anderen zu tun. Die rätselhafte Schöne, die starkes Interesse an den Vereinigten Staaten hat, begleitet den literarischen Bohemien zu einem amerikanischen Produzenten, der Evers’ Bestseller auf die Leinwand bringen will. »Supergirl« ist ein lakonisch-ironisches Film-Film-Roadmovie: von den Sternen nach München nach Zürich nach Madrid nach Paris und zurück zu den Sternen. Dazu passen die Cameo-Auftritte von Fassbinder, Lemke, Constantine, die Besetzung der stereotypischen Franco-Yankees Jess Hahn (der Pierre aus »Le signe du lion«) als Westentaschen-Tycoon Polonsky und Billy Kearns (der Freddy aus »Plein soleil«) als polternder Senator Quimby. Francesca, die von sich behauptete, sie stamme vom dritten Planeten des Systems Alpha Centauri und sei auf die Erde gereist, um die Mächtigen vor einem drohenden Sternenkrieg zu warnen, verschwindet schließlich so beiläufig, wie sie gekommen ist. Sie steigt in einen schwarzen Cadillac, der sie fortbringt. Über den Zurückgelassenen spannt sich weit und blau der Himmel, das große Meer der Träume.

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