tag:blogger.com,1999:blog-84224905441845861952024-03-13T05:06:41.320+01:00Magazin des GlücksKino ist Glück. Glück ist nicht immer lustig.Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.comBlogger232125tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-2558787520932397262023-05-05T17:29:00.001+02:002023-05-05T23:13:42.695+02:00BRD 9<p></p><p></p><p><i>Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Spielfilmen </i><br /></p><p>(<a href="https://magazin-des-gluecks.blogspot.com/2016/12/brd-1-bis-8.html">Was bisher geschah</a>)</p><p>9 <span style="color: #999999;">|</span> Eine optimistische Tragödie von und mit Olaf Scholz ... 2021 ff.</p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><img border="0" height="152" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjVYgfK5JgO_HX3ULt7RM720OmrY9BHnMFEW5KPj8Igx8W7lIjGi14wPHFgXBlgUKi9_4jQOlMyuKlK-Vo8HdruMgtTGlNKJhdU8OKrmBp8iHsHkw_l5MNDUkfypeh77L6TP2ksHD4a3md8fVa9aan6vRCwVMOKJ8u-j4vUSvGmRFYPgOvbFFhubUJJ5A/w400-h152/BRD%209.jpg" width="400" /></div><p>Fortsetzung folgt. Vielleicht.<br /></p>Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-62624033579623406232023-01-08T01:34:00.006+01:002023-01-08T01:34:28.782+01:00Standbild (25)<i>Schienen</i><br /><br />Außen. Bahnstrecke. Tag. Von einem nebelhaften Himmel überwölbt verläuft die eingleisige Trasse schnurgerade zwischen zwei grasbewachsenen Dämmen, zur Linken flankiert von einer Reihe schlanker hölzerner Telegrafenmasten, zur Rechten eingewachsen von niedrigem Gebüsch, aus dem ein junger, winterlich unbelaubter Baum ragt. Auf dem Gleiskörper, genauer gesagt auf den Bahnschwellen, steht ein kleiner Mann mit dünnem, seitlich gescheitelten Haar, der einen kastigen, zweireihigen Wintermantel aus schwerem Fischgrätstoff trägt. Den breiten Kragen des Kleidungsstücks gegen die offensichtlich herrschende Kälte bis unter die Ohren hochgeschlagen, hat der Mann seine linke Hand tief in der Manteltasche versenkt, während er die rechte vor das faltenzerfurchte Gesicht hält, so als wolle er seine sowieso geschlossenen Augen vor einem schrecklichen Anblick bewahren. Indessen nähert sich von hinten, aus der Tiefe des Raumes heranrasend, eine rußgeschwärzte Dampflokomotive. Ihrem Schlot entsteigt dichter weißer Rauch, ihre gewölbten Windleitbleche scheinen den auf den Schienen stehenden Mann, einen Arzt, der vor Jahren unter bedrückenden Umständen im Affekt zum Mörder an der Geliebten wurde, der später denjenigen, welcher ihn mutmaßlich ins Verderben trieb, kaltblütig ums Leben brachte, sie scheinen diesen von den Zeitumständen zum Monster Gemachten, der nun selbst den erlösenden Tod erwartet, gleichsam liebevoll zu umarmen. Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-69399124882904520062023-01-07T19:29:00.004+01:002023-05-13T23:00:42.889+02:00Standbild (24)<i>Kikeriki</i><br /><br />Innen. Revuelokal. Nacht. Den kleinen, mit Schiffstauen dekorierten Saal bevölkert ein sehr gemischtes Publikum: gutbürgerliche Herren mittleren Alters, Arbeiter, Seeleute, Gaunertypen, dazwischen einige Frauen, manche damenhaft, die meisten eher proletarisch wirkend, mit gebrannten Locken und tiefen Blusenausschnitten. Ein Teil der Zuschauer sitzt auf Kaffeehausstühlen an Tischen, die schier überquellen von halbvollen Gläser und Bierschalen, die anderen betrachten das Bühnengeschehen stehend, mit gereckten Köpfen, die Körper aufmerksam vorgebeugt. Das Podium wird gerahmt von zwei filigranen Beistelltischen mit Fransendecken, das linke trägt einen Henkelkorb, eine Ballonflasche und ein Metallgefäß, über das ein zerbeulter Zylinderhut gestülpt ist, auf dem rechten liegt ein Haufen von einfarbigen Stoffen und Kleidungsstücken. Vom Schnürboden hängen drei große Anker herab, den Hintergrund der Szene bildet ein gebauschter Voilevorhang, hinter dem schemenhafte Lichter zu erkennen sind, die möglicherweise ein überdimensioniertes Gesicht mit fächerförmigem Kopfputz darstellen, vielleicht auch eine nächtliche Großstadt mit erleuchteten Fenstern. In der Bühnenmitte stehen nebeneinander zwei etwa gleichgroße Männer, beide von einer gewissen Korpulenz gekennzeichnet. Links produziert sich ein etwas schmieriger Elegant um die vierzig mit stolzgeschwellter Brust und feistem Gesicht. Auffallend sind seine prallen Wangen, die fleischigen Lippen und der boshaft stechende Blick. Er trägt einen schwarzen Frack, schmal geschnittene Hosen, spitze Schuhe, Weste, weißes Hemd, weißen Binder und einen hochglänzenden Zylinder. In seiner erhobenen rechten Hand hält er ein Hühnerei. Der andere, etwa zehn Jahre ältere, Mann ist bekleidet mit einem unförmigen, knielangen Kittel und schlackernden Hosen aus kleinkariertem Stoff, tütengroßen Manschetten und einem riesigen steifen Kragen, der mit einer absurd kleinen Fliege zusammengebunden ist. Aus dem Kragen ragt ein kugelförmiger, grotesk geschminkter Kopf mit Halbglatze und zerzaustem Haarkranz, Knebelbart und angeklebter dicke Nase. Dieser traurig vor sich hinstarrende Clown unterrichtete einstmals als Professor an einem Gymnasium, bevor er einer Tingeltangelsängerin verfiel, diese heiratete und seinen Beruf aufgab, um sich der reisenden Varieté-Truppe anzuschließen. Zu einem Gastspielauftritt in seine Heimatstadt zurückgekehrt, muß sich die ehemalige Autoritätsperson nun vor den früheren Mitbürgern ein rohes Ei an die Stirn schlagen lassen und hat, solchermaßen gedemütigt, einen Hahnenschrei zu imitieren.Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-88166202258964220712023-01-05T20:46:00.003+01:002023-01-08T01:12:19.736+01:00Märchen aus der Wirklichkeit (Nachtrag)<i>Noch ein Meisterwerk von Rudolf Thome (Regie) und Max Zihlmann (Buch)<br /><br />Vor langer Zeit habe ich über drei Filme von Thome und Zihlmann geschrieben (<a href="https://magazin-des-gluecks.blogspot.com/2014/06/marchen-aus-der-wirklichkeit.html">hier</a>) – heute geht es um ein weiteres Werk des Gespanns, mit dem die fruchtbare Zusammenarbeit zu einem vorläufigen Abschluß kam. Der Text versteht sich auch als kleines Memento für Roger Fritz und Max Zihlmann, zwei Protagonisten der »Münchner Schule«, die beide unlängst verstorben sind. </i> <br /><br />1972<span style="color: #cccccc;"> | </span>»Fremde Stadt« <br /><br />»Man with a million – but what to do?« Ein Mann (Roger Fritz) kommt mit dem Intercity am Münchner Hauptbahnhof an. Souverän bewegt er sich durch die Menge, groß, gutaussehend, mittellanges Haar, Trenchcoat. Er nimmt ein Taxi und läßt sich zu einem Hotel fahren. Es ist ihm egal, wo er wohnt: »Ich bin fremd hier.« Den Koffer trägt er lieber selbst aufs Zimmer. Darin sind zwei Millionen D-Mark, die Beute eines Banküberfalls in Düsseldorf. Der Mann – ein gewesener stellvertretender Filialleiter, der den eigenen Tod im Indischen Ozean inszenierte – betrachtet sein Gesicht im Spiegel und sagt zu sich: »Philipp ... Philipp Kramer. Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen.« Der Mann begibt sich auf die Suche nach einer Frau, Sybille Lerchenfeld, seiner Verflossenen (Karin Thome), die ihn unter dem Namen Franz kannte. Er trifft sie mit dem gemeinsamen Sohn vor einer Schule. Sie fragt: »Phlipp Kramer – wer ist das?« Er antwortet: »Ein Mann mit Zukunft.« ... Eine B-Film-Variation in Schwarzweiß und CinemaScope, ein ironisch-saloppes Spiel mit Motiven und Settings, mit Klischees und Schablonen, ein Kriminalfilm ohne vordergründigen Thrill (»Würdest du auf jemanden schießen?« – »Das kann man vorher nicht sagen.«), ein Beziehungsfilm ohne menschliches Drama (»Na, du Bankräuber.« – »Gangsterbraut!«), ein Genrefilm ohne gattungsmäßige Festlegung (»Das ist alles zu viel für mich.« – »Für mich auch.«). Thome und Zihlmann erzählen einerseits trocken, fast emotionslos registrierend, andererseits voller Lust auf Abschweifungen, mit aller Zeit der Welt für Randbeobachtungen und Nebenfiguren, wie etwa den Zimmerkellner, der eigentlich Schauspieler werden wollte, die Barbekanntschaft, die Captagon einwirft, um beim Flirten nicht einzuschlafen, den Untermieter, der Zierfische züchtet und damit eines Tages reich zu werden hofft. Verwicklungen ergeben sich durch weitere (mehr oder weniger schrullige) Personen, die dem Raubgut nachjagen: ein Kriminalbeamter, der Spekulationsschulden zu begleichen hat, ein anderer Polizist, der von einer Weltumseglung träumt, ein Gaunerpärchen, das im Porsche Ralleys fahren will. Geld als Projektionsfläche für Wünsche, Bedürfnisse, Sehnsüchte, als Treibstoff für Verwandlungen: »Ich bin ein anderer«, erkennt Philipp alias Franz, der als neuer Mensch in Liebes- und Lebensdingen an früher anknüpfen kann, ohne in alte Muster zurückzufallen. Als es nach einer Verfolgungsjagd durch die labyrinthische B-Ebene unter dem Stachus zum Showdown auf der benachbarten U-Bahn-Baustelle kommt, wirkt das Geld gar als mirakulöser Impulsgeber für eine (zunächst im kleinen Kreis erprobte) soziale Utopie: »Warum teilen wir nicht?« – »Ja, warum nicht?« – »Wir fangen am besten mit den großen Scheinen an.« <br /> Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-51222024770983544102022-09-03T16:07:00.001+02:002022-09-03T16:07:28.687+02:00Standbild (23)<i>Paar</i><br /><br /><a href="http://kinotagebuch.blogspot.com/2012/03/es.html" target="_blank">Innen. Wohnschlafzimmer. Tag.</a> Die Wände des mit feingeripptem Sisalteppich ausgelegten Raums sind weiß gestrichen, die bewußte Kargheit der funktionalen Einrichtung wird durch einige dekorative Elemente aufgelockert. An der mittleren Wand stehen, fast in die linke Zimmerecke gerückt, ein schlichtes, einfarbig bezogenes Zweisitzer-Sofa und ein ebenso breiter einfacher Tisch mit weiß beschichteter rechteckiger Platte und Beinen aus schwarzem Vierkantrohr. Darüber hängt eine höhenverstellbare Deckenlampe mit hellem, halbkugelförmigen Stoffschirm. Auf einem oberhalb der Sitzecke mittels Metallwinkeln an der Wand befestigten Bord reihen sich zahlreiche Bücher, ein Tintenfaß, in dem eine lange Feder steckt, ein Becher mit Stiften, mehrere Massefiguren sowie ein zylindrisches Glasgefäß, das Kieselsteine enthält. Das Sofa wird flankiert von einer Miniaturharfe und einem vertikalen Arrangement von vier kleinen Motivtellern des italienischen Künstlers Piero Fornasetti, die gestalterische Abwandlungen ein und desselben puppenhaften Frauengesichts zeigen. Rechts davon gewährt eine offenstehende Kassettentür Sicht in einen schmalen Korridor. An der rechten Zimmerwand, in geringem Abstand vor einer breiten Nische, in die ein Rippenheizkörper eingelassen ist, steht eine schmucklose hölzerne Kommode mit drei Schubladen und einer Doppeltür. Auf dem Möbel haben ein Phonosuper SK 4, eine Radio-Plattenspieler-Kombination des Elektrogeräteherstellers Braun, volkstümlich als Schneewittchensarg bezeichnet, eine kleine Vase in Urnenform, ein aufgeklappter Reisewecker und eine Nachttischlampe mit röhrenförmigem Glaskörper ihren Platz, darüber hängt, stilvoll gerahmt, das ovale Bildnis eines jungen Herrn aus der Biedermeierzeit. Noch weiter rechts, unter der expressiven Darstellung eines traurig lächelnden Clowns, befindet sich eine mit dunklem Breitcord bezogene Bettcouch, neben der auf dem Teppichboden ein Paar flache Spangenpumps sowie ein schwarzer Fernsprechapparat vom Typ W 48 abgestellt wurden. Auf dem Sofa sitzt, breitbeinig und die Arme im Schoß verschränkt, ein Mann von ungefähr dreißig Jahren mit kurzgeschnittenen dunklen Haaren. Gekleidet in einen korrekten grauen Anzug und ein weißes Hemd mit schwarzer Krawatte, blickt er diagonal durch den Raum hinüber zur Bettcouch, auf der, mit abgewandtem Kopf und geschlossenen Augen, eine etwa fünfundzwanzigjährige blonde Frau liegt. Sie ist bekleidet mit einem hellgrauen Strickpullover, dessen Ärmel bis zu den Ellbogen hinaufgeschoben sind. Über ihre Beine und ihren Bauch ist eine großkarierte Decke gebreitet. Der Mann und die Frau leben zusammen, ohne verheiratet zu sein. In der festen Überzeugung, daß er sich kein Kind wünschen würde, hat sie wenige Stunden zuvor eine Abtreibung vornehmen lassen, ohne ihn, der, zu spät um den Eingriff verhindern zu können, von einer gemeinsamen Bekannten über die Angelegenheit informiert wurde, von ihrer Schwangerschaft wissen zu lassen.Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-16661054237560568542022-08-26T15:28:00.005+02:002022-09-03T16:08:57.788+02:00Standbild (22)<i>Elbe</i><br /><br /><a href="http://kinotagebuch.blogspot.com/2011/10/opfergang.html" target="_blank">Außen. Strand. Tag.</a> Ein bewölkter, blaßblauer Himmel überspannt den von flachen, grasbewachsenen Dünen gesäumten Uferstreifen. Nur wenige Meter vom Wasser entfernt sitzen zwei schlanke, elegant gewandete Reitersleute zu Pferde, links eine schöne, dezent geschminkte Frau von etwa dreißig Jahren im Damensattel auf einem Rappen, rechts ein circa vierzigjähriger Mann mit schmalem Oberlippenbart und markantem Kinngrübchen auf einem Schimmel. Die Frau trägt eine schwarze Melone, unter der ihr blondes, leicht gewelltes Haar, das im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden ist, hervorschaut, dazu ein silbergraues Kostüm mit gerade geschnittenem, wadenlangen Rock und rehbraune Handschuhe. In der rechten Hand hält sie eine lederne Gerte mit kugelrundem Knauf. Der Mann ist bekleidet mit einen weichen, kurzkrempigen, lichtgrauen Filzhut, einem taillierten gelbgrauen Sakko, staubgrauen Reithosen und weißen Handschuhen. Seine linke Hand faßt einen schlanken Stock aus hellem Holz, dessen oberes und unteres Ende glänzende Silberspitzen zieren. Die beiden Berittenen tragen jeweils schwarze Stiefel und, im Ausschnitt ihrer einreihig geknöpften Jacketts, weiße, schalartig gebundene Seidentücher. Sie halten die Köpfe leicht gesenkt und blicken auf eine im Sand liegende, leuchtend rote Rosenblüte, die kurz zuvor noch das Revers der Frau schmückte, nun aber von den anbrandenden Wellen des Flusses umspült wird. Das Paar gedenkt der verstorbenen Geliebten des Mannes, der bis vor nicht allzu langer Zeit Tag für Tag am Haus der unheilbar herzleidenden Freundin vorüberritt, um tröstend zu ihrem Fenster hinaufzugrüßen, und, als er selbst an Typhus schwer erkrankt darniederlag, von seiner zu diesem Zweck in Männerkleidung kostümierten Gattin edelmütig vertreten wurde. Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-9553805657989524002022-08-26T15:26:00.007+02:002022-08-26T15:26:57.321+02:00Standbild (21)<i>Loft </i><br /><br />Innen. Fabriketage. Tag. Von links, durch ein hohes, aus dünnen Metallprofilen gefertigtes Sprossenfenster, fällt kaltes Tageslicht in einen weiten, fast unmöblierten Raum mit glatt verputzter Decke, Wänden aus weiß gestrichenem Mauerwerk und unbehandeltem Dielenboden. An der mittleren Wand, auf die jemand mit schwarzer Farbe den Slogan »Fuck art!! Let’s dance« gesprüht hat, lehnen ein zusammengeklappter Biergartenstuhl und ein Besen, daneben stehen ein weißer Pappkarton, eine prall gefüllte Tüte sowie ein weiterer Klappstuhl, auf den ein zusammengeknülltes Kleidungsstück geworfen wurde. Auf der rechten Seite des Raumes, dem Fenster gegenüber, liegt, auf einem drei mal drei Meter großen Stück hellgrauen Teppichbodens, eine mit einem weißen Laken bezogene Matratze. Linksseits dieser improvisierten Schlafstelle befinden sich ein silbernes Kofferradio und, in die Zimmerecke gelehnt, ein Paar hölzerne Krücken, rechts davon eine Vase mit gelben Tulpen, eine leere Sektflasche, eine Thermoskanne, ein Zeitschriftenstapel, außerdem ein weißes Spülbecken, auf dessen Rand eine Dose mit Rasierschaum steht. Neben dem Ausguß hängt ein rosafarbenes Handtuch, darunter stehen ein Blecheimer und eine leere Waschschüssel. Auf der Matratze lagert, an zwei Kissen gegen die Wand gelehnt, teilweise von einer grauen Wolldecke umhüllt, ein ungefähr zwanzigjähriger blonder Mann. Er ist unbekleidet, wobei sein Oberkörper und sein rechtes Bein von dicken Verbänden umwickelt sind. Ein blaues Auge, aufgeschlagene Lippen sowie Heftpflaster an Hals und Stirn zeugen zudem von den schweren Gesichtsverletzungen, die er letzthin erlitten hat. Ein rotes, in seinem Schoß plaziertes Plastiktablett ist mit den Resten eines Frühstücks beladen: einem leeren Wasserglas, einem Eierbecher mit ausgelöffelter Schale, einem Marmeladenglas und zwei unbedruckten Papiertüten, die vermutlich Gebäck enthielten. Mit der rechten Hand führt der junge Mann eine weiße Tasse zum Mund, aus der er vorsichtig trinkt. Neben ihm kniet eine etwa gleichaltrige Frau in einem locker geschnittenen, taubenblauen Overall mit hochgekrempelten Ärmeln. Sie trägt schwarze Pumps, ihr glänzendes, dunkelbraunes, leicht gewelltes Haar, seitlich gescheitelt und über den Ohren mit zwei Spangen locker gebündelt, fällt offen bis auf ihre Hüften herab. An der Wand hinter dem Paar prangt eine Reihe von, mit Kreide oder Filzstift aufgebrachten, Schriften: »Freiheit für Grönland – nieder mit dem Packeis«, »Aber subito!«, »Corinna was here«, »Voburka for ever«, »Heute letzter Tag«, sowie »Baby, Baby meine Nerven sind heiß – und du so kalt wie Eis«, letztere eingefaßt von einem roten Herz, das ein Pfeil durchbohrt. Die Frau küßt den Mann, ihren langjährigen Freund, einen Kleinkriminellen, der kürzlich aus dem Gefängnis ausgebrochen ist und sich nun nicht nur vor der Polizei verstecken muß, sondern auch vor seinen früheren Komplizen, die bereits einen Versuch unternommen haben ihn umzubringen, zärtlich auf die Wange, während sein Blick auf die Mattscheibe des Fernsehapparates gerichtet ist, der, vis-à-vis der Bettstatt, auf der Sitzfläche eines dritten Klappstuhls steht. Er verfolgt einen Bericht über den geheimen Drahtzieher seiner gesetzeswidrigen Aktivitäten, einen gut betuchten Geschäftmann, der im übrigen auch der Liebhaber der neben ihm knienden jungen Frau ist. In Kürze wird der junge Mann, zutiefst gedemütigt und um jede Zukunftshoffnung gebracht, an seinen Widersachern selbstmörderische Vergeltung üben. <br /><br /> Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com4tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-22013086194093888812022-06-23T10:49:00.003+02:002022-06-23T13:02:00.590+02:00Von Männern, Frauen und allen anderen<i>Drei Filme von Blake Edwards<br /><br />Blake Edwards, der in wenigen Wochen 100 Jahre alt geworden wäre, war einer der kommerziell erfolgreichsten Hollywood-Regisseure seiner Generation (Pink!) – und hat zudem einige der größten Flops der Filmgeschichte auf der Rechnung. (Seine musikalische Spionagedramödie »Darling Lili« brachte Paramount an den Rand des Bankrotts.) Edwards’ Karriere war eine Art Wechselbad von Triumph und Desaster, was dem Umstand geschuldet sein mag, daß die Mogule der Traumfabrik, die einfach nur einem Komödienlieferanten wollten, sich einem genialischen, bisweilen genialen Künstler gegenüber sahen. Wundersamerweise rappelte sich Edwards, wie die Helden seiner atemberaubenden Slapstick-Farcen, trotz aller Schlappen immer wieder auf und schüttelte nonchalant Meisterwerke aus dem Ärmel, so zum Beispiel Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als er eine besonders gute Strecke hatte. Once upon a time ...</i><br /><br />1979<span style="color: #cccccc;"> | </span>»10« (»Die Traumfrau«) <br /><br /> »I don’t like ... middle age.« George Webber (Dudley Moore), erfolgreicher Komponist eingängiger Songs (»I’m very big in elevators.«), Bewohner einer schmucken Villa in Beverly Hills, liiert mit der selbstbewußten Sängerin Sam (Julie Andrews), trägt schwer an der Tatsache, 42 geworden zu sein. Alles um ihn herum duftet nach Jugend, Anmut, Sex, George fühlt sich alt, alt, alt. »He’s just going through male menopause«, meint sein bester Freund, der Textdichter Hugh (Robert Webber), der sich der Gesellschaft eines knackigen (wenn auch flatterhaften) Lovers erfreut. Die Midlife-Crisis wird akut, als George die (in seinen Augen) makellos schöne Jenny (Bo Derek) erblickt, sich seine unbestimmte Sehnsucht (nach Leidenschaft? nach Unschuld? nach Erlösung?) mithin leibhaftig manifestiert: »She was the most beautiful girl I had ever seen.« Dumm nur, daß sich das betörende Objekt der Begierde gerade auf dem Weg zum Traualtar befindet ... Edwards’ »romantische Komödie« (die eher einer wehmütigen Klamotte gleicht) zeichnet das ebenso nachsichtige wie gnadenlose Portrait eines Mannes in den zweitbesten Jahren, eines Mannes, der sich seiner selbst nicht mehr sicher ist, der nicht weiß, wer er ist, was er will, wo (und ob) er steht. Ziemlich unbarmherzig blickt Edwards daneben auf die Welt, in der George lebt, in der er versucht, er selbst zu sein, zu bleiben oder (wieder) zu werden, eine Welt der monotonen Oberflächenreize, der fremdbestimmten Libertinage, der wortreichen Sprachlosigkeit, eine Welt, die Prokofjew und Ravel zu Anbietern von Fickmusik degradiert. Was bleibt da der getriebenen Seele, nach vielen Irrungen und Wirrungen? Die Bejahung des Unvermeidbaren: nach Hause gehen, älter werden, sich lieben lassen. Nicht das Schlechteste, möglicherweise. PS: »Nobody’s perfect.« – »Thank God.« <br /><br />1981<span style="color: #cccccc;"> | </span>»S.O.B.« (»Hollywoods letzter Heuler«)<br /><br />»I am going to show my boobies. Are you here to see my boobies?« Keine andere als Julie Andrews (der asexuelle Unschuldsengel aus »Mary Poppins« und »The Sound of Music«) ist es, die diese freimütigen Sätze spricht – in Edwards’ autobiographisch grundierter und dabei erfrischend herzloser Hollywood-Satire (deren rätselhafter Titel ein Akronym für den Begriff »standard operational bullshit« darstellt) spielt sie Sally Miles, Ehefrau und Star des zum ersten Mal glücklosen Produzenten Felix (!) Farmer (Richard Mulligan), der mit Werken wie »Love on a Pogo Stick«, »Invasion of the Pickle People« oder »Odyssey of Pain« reich und berühmt wurde. Nach der Mega-Pleite seines jüngsten Streifens, des zuckrigen Musicals »Night Wind«, unternimmt er zunächst mehrere Versuche sich zu entleiben, dann erkennt Felix in einem Moment der Erleuchtung das Problem: »We sold them schmaltz, they prefer sadomasochism.« Er beschließt, dem Publikum zu geben, was des Publikums ist, und die blitzsaubere Familienunterhaltung (»Polly wolly doodle all the day!«) mit reichlich äußeren Werten zu pimpen. Edwards sublimiert seine eigene Höllenfahrt über die Fließbänder der Traumfabrik zu einem alptraumhaft-burlesken Sex-Lügen-und-Zelluloid-Sittenbild, das weder falsche geschmackliche Rücksichten nimmt, noch vor echter Sentimentalität zurückscheut. Neben Andrews’ Brüsten (ja, sie hat welche) brillieren William Holden als zynisch-loyaler Regisseur, Robert Preston als weltklug-vitaminverspritzender Modearzt, Robert Webber als sensibel-hysterischer PR-Mann, Robert Vaughn als beinharter Studioboß im Fummel und Shelley Winters als Agentin, die jede Schweinerei befürwortet, wenn sie nur »künstlerisch gerechtfertigt« ist. PS: »Fare thee well, fare thee well, fare thee well, my fairy fay.« <br /><br />1982<span style="color: #cccccc;"> | </span>»Victor/Victoria« <br /><br /> »A woman pretending to be a man pretending to be a woman?« – »Ridiculous!« –»Preposterous!« – »In fact it’s so preposterous no one would ever believe it.« Paris, im Winter 1934: Die englische Opernsängerin Victoria Grant (glam: Julie Andrews) ist am Ende – kein Engagement, kein Geld, keine Aussicht auf eine warme Mahlzeit. In dieser Situation kommt ihr Leidensgenosse, der Chansonnier Carroll »Toddy« Todd (camp: Robert Preston), auf eine ebenso absurde wie glorreiche Idee: Aus der arbeitslosen Diva wird der schwule polnische Graf Victor Grazinski, der in seinem Land als Travestiekünstler angeblich eine Berühmtheit ist und sich als solche/r nun anschickt, die Nachtclub-Bühnen von Gay Paree zu erobern. Die Rechnung geht auf – Victor/ia wird über Nacht zum Star –, dann aber taucht in Person des Chicagoer Unterweltlers King Marchand (tough: James Garner) ein Herzkönig auf, der das geschlechtliche Rollenspiel zum emotionalen Drahtseilakt macht: »Crazy world / full of crazy contradictions.« ... Edwards nimmt das Thema der sexuellen Identität nicht ernster als nötig, plakative Showeffekte sind ihm allemal wichtiger als subtile Introspektion, Klischees bedient er im gleichen Maße wie er sie unterläuft, Stereotype werden im selben Moment absichtlich genutzt und spöttisch entlarvt. Bissige Dialoge, groteske Slapstickeinlagen, nostalgisch-elegante Panavision-Bilder (Dick Bush), stylisch-opulelente Art-Déco-Kulissen (Rodger Maus) und schwungvoll-ironische Revue-Nummern (Henry Mancini) fügen sich zu einer romantisch-musikalischen Komödie über Schein und Sein, zu einem deliziösen Cocktail aus Glamour und Esprit, Doppelbödigkeit und Demaskierung. PS: »Au revoir.« – »Me too.« Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-20855762275299129512022-02-06T18:04:00.002+01:002022-02-06T20:41:54.933+01:00L’homme qui aimait (plus que) les femmes<i>Zum 90. Geburtstag von François Truffaut : 9 Lieblingsszenen. </i><br /><br />Jules et Jim : Cathérine singt »Le tourbillon de la vie«. <br /><br />La peau douce : Pierre Lachenay und Nicole Chomette beäugen sich im Aufzug. <br /><br />La mariée était en noir : Julie Kohler klebt Clément Morane die Luft ab. <br /><br />Baisers volés : Christine Darbon erklärt Antoine Doinel, wie man einen Zwieback mit Butter bestreicht, ohne daß er zerbricht. <br /><br />La nuit américaine : Regisseur Ferrand und Produzent Bertrand formen einen Butterklumpen, um die Nerven ihrer Hauptdarstellerin Julie Baker zu beruhigen. <br /><br />L’argent de poche : Grégory macht »boum«. <br /><br />L’homme qui aimait les femmes : Bertrand Morane erinnert sich an seine Mutter. <br /><br />Le dernier métro : Lucas Steiner liest Zeitung und macht seiner Frau Marion ein Kompliment: »Hier steht etwas über dich ... ›Die Juden nehmen uns die schönsten Frauen weg.‹« <br /><br />Vivement dimanche! : Barbara Becker versucht, anschaffen zu gehen. Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-71329480318524371902022-01-01T17:47:00.001+01:002022-01-01T17:50:18.865+01:00Schwarz sehen (8)<p><i>Drei Nachkriegsfilme von Yves Allégret (1907-1987)</i><br /><br />1948<span style="color: #999999;"> | </span>»Dédée d’Anvers« (»Die Schenke zum Vollmond«)<br /><br />Ein fatalistisches Hafenmelodram, ein nebelumschleiertes Notturno in der poetisch-realistischen Tradition von Carné und Prévert: Die wehmutsvolle Dirne Dédée (Simone Signoret) – von ihrem Luden Mario (Marcel Dalio als larmoyanter Macho) nach Strich und Faden ausgenutzt, von Monsieur René (Bernard Blier als beherzter Schankwirt des Amüsierschuppens ›The Big Moon‹) still verehrt – erwartet von den Männern nichts mehr außer ihrem Geld. Allégret zeigt seine Protagonistin (auf Stöckelschuhen und im Marabumantel) als leicht ramponierte Schönheit, der nur, wenn die verdammten Kerle sich in den schummerlichtigen Straßen von Antwerpen gegenseitig blutig schlagen, ein befriedigtes Lächeln über das verlockend aufgeschminkte Gesicht huscht. Die Liebe zu dem italienischen Kapitän Francesco (Marcello Pagliero als ehrbarer Schmuggler) trifft Dédée wie eine Hoffnungsstrahl, mit der unerwarteten Begegnung scheint sich für sie das Tor in eine bessere Zukunft zu öffnen. Doch die Gesetze des Rührstücks wollen es anders: Eifersucht lodert, Schüsse fallen, ein Toter sinkt auf das naßglänzende Pflaster des Quais. So symbolisiert der Hafen nicht den Ort eines möglichen Aufbruchs sondern eine finstere Sackgasse, aus der auch kaltblütige Rache keinen Ausweg weist.<br /><br />1949<span style="color: #999999;"> | </span>»Une si jolie petite plage« (»Ein hübscher kleiner Strand«)<br /><br />Ein kleiner Flecken am Meer, ein verlassener Strand im Winter, ein schwarzes Drama unter endlosem Regen. Ein junger Mann (Gérard Philipe), einsam und unendlich traurig, kommt zur Unzeit (»En été, c’est une si jolie petite plage.«) als Gast in den trostlosen Badeort. (Ist es eine Flucht? Ist es eine Rückkehr? Oder beides?) Er sucht Ruhe und Vergessen, findet jedoch nichts als Trübsinn und quälende Erinnerungen. Nach und nach, in flüchtigen Blicken und beiläufigen Dialogen, durch alltägliche Geräusche und ein schmalziges Chanson, in Szenen, die wie Spiegelungen einer häßlichen Vergangenheit erscheinen, enthüllt sich die Vorgeschichte des rätselhaften Besuchers: Da sind ein geschundener Waisenjunge und der Glaube an einen Ausweg, eine schöne Frau und das trügerische Versprechen auf Glück, und da ist – ein Mord. Allégrets Film über die Nachsaison des Lebens, ein kleines Meisterwerk des poetischen Pessimismus (von Henri Alekan erlesen in schwermütigstem Schwarzweiß fotografiert), macht wenig Hoffnung auf ein besseres Morgen und erlaubt (fast) keine Illusionen über das Wesen der Menschen: Im großen und ganzen sind sie alle so gemein wie die Hotelwirtin (Jane Marken), die sich für ihr lausiges Städtchen ein Tuberkulose-Sanatorium wünscht – denn die Schwindsucht ist (wie übrigens die Bosheit) eine Krankheit, die dauert … <br /><br />1950<span style="color: #999999;"> | </span>»Manèges« (»Eine Frau im Sattel«)<br /><br />»C’est pas possible ... c’est pas possible ... c’est pas possible.« Robert (Bernard Blier), Besitzer eines Reitstalls in Neuilly, nicht weit vom Bois de Boulogne, steht kummervoll am Krankenbett seiner geliebten Frau Dora (Simone Signoret), die bei einem Unfall lebensgefährlich verletzt wurde. Am Vorabend der allesentscheidenden Operation vernimmt er aus dem Mund seiner Schwiegermama (Jane Marken) die wahre Geschichte seiner Ehe: Von Anfang an war der Gatte für seine Angetraute und deren Mutter (die nichts dabei findet, die eigene Tochter, gleich einer Zuhälterin, legitim anschaffen zu schicken) lediglich ein williger Goldesel, ein Einfaltspinsel, der das schrille Hohngelächter, das ihm entgegenschallt, für fröhliche Wertschätzung nimmt. »Les femmes et le patin« könnte dieses schwarzgallige (bisweilen geradezu karikaturenhafte) Sittendrama über die Abgründe weiblicher Berechung heißen – aber handelt es sich um einen misogynen Film? Wohl eher um ein zutiefst misanthropisches Werk: Kommen Frauen als raffgierige Schlangen oder verlogene Luder daher, zeigen sich Männer als blinde Trottel oder lüsterne Strolche. In der lichtlosen Welt des Yves Allégret sind die Menschen nicht nur von Gott und allen guten Geistern verlassen, sie scheinen auch nichts Besseres verdient zu haben. </p>Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-8363057281162763242021-11-20T00:38:00.004+01:002021-11-20T10:09:08.295+01:00Zwanzigeinundzwanzig<p><i>Idee für eine kranke Komödie</i><br /><br />»Wenn der Wahnsinn epidemisch wird, heißt er Vernunft.« <i>Oskar Panizza</i><br /><br /><i>Dramatis personae</i><br />Dr. Engel, Leiterin einer Irrenanstalt<br />Klops, ihr Adlatus<br />Winfried, Markus, Michael, drei Pfleger<br />3G, 2G, 2G+, drei Pförtner<br />Dr. Osten, Spezialist für rätselhafte Fälle <br />Dr. Westen, Fachtierarzt in besonderem Auftrag <br />Dr. Leisegraben, Chefdemagoge des Pharmakonzerns BodyHappiness <br />Dr. Clift, Weltkurpfuscherpräsident <br />Dr. Asilamak, Wundertäter<br />Gebrüder Geldmacher, Multimilliardäre<br />Hölzchen, ein junger Gesundbeter <br />Kim Mai-Tai, eine supersmarte Allescheckerin <br />Gaukler, Schwurbler, Patienten <br /><br />I. Akt<br /><i>Anmutige Gegend</i><br />Vormarsch des Unheimlichen. Panik.<br /><br />II. Akt <br /><i>Hochgewölbtes Zimmer </i><br />Entwicklung des Gegenmittels. Hoffnung. <br /><br />III. Akt<br /><i>Vor einem Palast</i><br />Verkündung der Maßnahmen. Jubel.<br /><br />IV. Akt<br /><i>Hochgebirge</i><br />Heilung der Welt. Ekstase. <br /><br />V. Akt<br /><i>Offene Gegend</i><br />Durchbruch der Wahrheit. Schweigen. </p>Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-65515045328887326242021-05-09T23:36:00.002+02:002023-01-08T14:05:04.408+01:00Kino aus der Zwischenzeit (5)<p><i>Westdeutsche Filme der 1980er Jahre: Hans-Christoph Blumenberg<br /><br />Hans-Christoph Blumenberg, Jahrgang 1947, ist einer der (ganz) wenigen deutschen Filmkritiker, die dem Beispiel ihrer französischen Kollegen von den »Cahiers du cinéma« (Truffaut, Godard, Chabrol et al.) folgten und Theorie gegen Praxis, das (Besser-?)Wissen gegen das (Besser-?)Machen tauschten. Blumenberg, der viele Jahren für den »Kölner Stadt-Anzeiger« geschrieben hatte, entwickelte sich nach dem Wechsel zur Wochenzeitung »Die Zeit« zu einem der einflußreichsten Kritiker der späten 1970er und frühen 1980er Jahre. In seinem unideologischen, anschaulichen, immer leidenschaftlichen, selten verletzenden Texten (gesammelt in den lesenswerten Bänden »Kinozeit« und »Gegenschuß«) verband er die Wertschätzung von Autoren mit der Liebe fürs Genre; Aufgeblasenheit (ob produktionstechnisch oder menschlich) war ihm ein Graus, filmisches Partisanentum fand sein (stets wachsames) Wohlwollen. 1981 schrieb er (unter dem Titel »Im Tal der toten Augen«) über den bundesdeutschen Film: »Das Kino als magischer Ort der Wunsch- und Gegen-Welten, der Geheimnisse, des Staunens der undomestizierten Gefühle gerät allmählich in Vergessenheit.« Zwei Jahre später kündigte er seinen Redaktionsjob und begab sich als Drehbuchautor und Regisseur auf die Suche nach ebendiesem »magischen Ort« – und fand ihn in Hamburg.</i><br /><br />1984<span style="color: #999999;"> | </span>»Tausend Augen«<br /><br />Ein Film über Sehen und Gesehenwerden. Gabriele (cool: Barbara Rudnik), die tagsüber Meeresbiologie studiert, posiert des Nachts auf der Drehscheibe einer Hamburger Peep-Show, um Geld zu verdienen für das Flugticket nach Australien, wohin sie zurückkehren möchte, zu einem urwüchsigen Lover, in ein möglicherweise besseres Leben. Auch Arnold, der wortkarge Chef des Etablissements (silberblond: Armin Mueller-Stahl), denkt ans Aussteigen, will die anhängliche Geliebte (vom Schicksal gestreift: Karin Baal) ebenso hinter sich lassen, wie die riskanten Nebengeschäfte (Videopiraterie!) im Auftrag einer skrupellosen Hinterfrau (androgyn: Gudrun Landgrebe). Außerdem treten auf: ein liebeskranker Migrant und ein stummer Seidentuchkiller, eine sirenenhafte Videothekarin und ein weltkluger Taxifahrer (Peter Kraus als »Schirmer«), der die Protagonistin allabendlich zum erotischen Einsatz chauffiert. Blumenbergs Debüt – eine ironisch-lakonische Milieustudie mit phantastisch angehauchten Thrillerelementen, ein konsequent antipsychologisches Spiel mit kinematographischen Verweisen (auf Fritz Langs Verschwörungsgeflechte und Jacques Rivettes Großstadtlabyrinthe, aber auch auf die saftige Trivialität der Edgar-Wallace-Filme), eine (stellenweise allzu bemühte) Stilübung in artifiziellem Realismus – läßt sich weniger als packende Erzählung goutieren denn als kunstvolle Versuchsanordnung über die Wechselspiele von Distanz und Nähe, von Gefühl und Härte, vor allem aber als ein Film über Bilder und Blicke: über Bilder, die man sich macht, von sich selbst und von anderen, von der Wirklichkeit und von den Wünschen, über Blicke in die Vergangenheit und in die Zukunft, in eine unerreichbare Nähe und in die greifbare Ferne.</p><p>1985<span style="color: #999999;"> | </span>»Der Sommer des Samurai«<br /><br />Ein Unbekannter in Schwarz treibt sein Wesen in Hamburg. Aus den Tresoren einflußreicher Männer werden brisante Dokumente entwendet, deren Veröffentlichung die Karrieren der Bestohlenen geradewegs zum Einsturz bringt. An den Tatorten, bald auch an anderen Stellen in der Stadt hinterläßt der geheimnisvolle Einbrecher japanische Schriftzeichen. Die Recherchen der Journalistin Christiane Land (angemüdet: Cornelia Froboess) führen einerseits zur Person des mysophobischen Immobilienhais Krall (durchgeknallt: Wojciech Pszoniak), mabusehafter Mittelpunkt einer Clique von kaltschnäuzigen Unternehmern, andererseits zu dem namhaften Finanzmakler Wilcke (stoisch: Hans Peter Hallwachs), der nicht nur Geld in jeder beliebigen Menge beschaffen kann (wenn er will), sondern auch in der Kunst des japanischen Bogenschießens exzelliert. Blumenberg verknüpft die legendäre Geschichte der 47 Ronin (herrenlose Samurai, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts den Tod ihres Gebieters rächten) mit den präsurrealistsichen Alltagsalpträumen eines Louis Feuillade (Nadja Tiller spielt eine mondäne Konsultantin gleichen Nachnamens), wirft parodistische Schlaglichter in gesellschaftliche Schattenreiche, genießt sorglos die Freuden der Kolportage, huldigt mit dem Eifer des kundigen Adepten seinen Vorbildern aus der Frühzeit des Kinos. So wird die Hansestadt zum Treffpunkt der Wiedergänger von Fantômas und Fandor, von Judex und Favraux. (Wieder mit von der verstiegenen Partie: Peter Kraus alias »Schirmer« – diesmal in der Rolle eines kenntnisreichen Barkeepers.) Am Ende entpuppt sich der gemeine Diebstahl eines ehrwürdigen Schwertes im Land der aufgehenden Sonne als Auslöser für das zunächst unbegreifliche Geschehen auf der anderen Seite der Erdkugel – künstlerische Imagination läßt Zeiten und Räume ineinanderfließen.<br /><br />1987<span style="color: #999999;"> | </span>»Der Madonna-Mann«<br /><br />Ein Flug wird wegen schlechten Wetters umgeleitet. Statt in Helsinki landet der australische Geologe Martin Graves (Marius Müller-Westernhagen) eines Abends in Hamburg. Wie die Zeit bis zur Weiterreise am nächsten Morgen verbringen? Graves besucht das Hansa-Theater, hat (scheinbar) Glück, als er die nicht abgeholte Karte für den letzten freien Platz erhält – und damit beginnt das Abenteuer. Die Verwechslung des Ankömmlings mit einem Auftragskiller, die zwielichtige Blondine (Renée Soutendijk), der kunstsinnige Schurke (Michael Lonsdale) – Blumenberg gibt sich nicht viel Mühe, sein großes Vorbild, Alfred Hitchcocks Meisterwerk »North by Northwest«, zu kaschieren. Die nächtliche Stationenhatz einer verfolgten Unschuld, die Begegnungen mit skurrilen oder gefährlichen Gestalten (spinnefeinde Zwillingsbrüder, bösartige Rosenverkäufer, ein Phantomzeichner, der im Bordell logiert) erinnern darüber hinaus an die Yuppie-in-distress-Farcen von Martin Scorsese (»After Hours«) und John Landis (»Into the Night«). Nebenbei huldigt der Regisseur, dem das freudvolle Arrangieren von Versatzstücken definitiv wichtiger ist als eine stringente Narration, in seinem dritten hanseatischen Thriller-Pastiche den alten Kämpen des bundesdeutschen Fünfziger-Jahre-Films: Ingrid van Bergen gibt eine taffe Taxifahrerin, Ingmar Zeisberg eine abgehalfterte Leinwandgöttin, Peter Kraus, neuerlich, einen gewissen »Schirmer«, der diesmal als Radiomoderator mit schmeichelnder Stimme das kuriose Geschehen flankiert, das sich nach den filmhistorisch hergeleiteten Widrigkeiten in erwartbares Wohlgefallen auflöst.<br /><br /><i>Weder beim Publikum noch bei der Kritik fand Hans-Christoph Blumenberg mit seinen drei leicht entrückten Genre-Eskapaden (allesamt produziert von Michael Bittins) größere Resonanz. In der Folge wandte er sich der Arbeit fürs Fernsehen zu, inszenierte Dokumentarspiele sowie zahlreiche Folgen der Sendereihen »Tatort« und »SOKO Wismar«; zwischendurch aber zauberte er immer wieder eigenwillige Low-Budget-Filme auf die Kinoleinwand, so etwa die gallig-amüsante Reinhold-Schünzel-Hommage »Beim nächsten Kuß knall ich ihn nieder«. </i></p>Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-40808938624362622532021-01-09T00:52:00.003+01:002021-01-12T21:27:18.730+01:00In the French Style<p><i>Vier Hollywood-Filme von René Clair<br /><br />Mit dem avantgardistischen »Entr’acte« erregte er 1924 Aufsehen, seine poetisch-stilisierten Pariser Alltagskomödien machten Clair in der Frühzeit des Tonfilms weltberühmt. (»A nous la liberté« gilt als Vorbild für Chaplins »Modern Times«.) Er arbeitete in England, die deutsche Besetzung Frankreichs trieb ihn ins Exil, Hollywood empfing den prominenten Flüchtling mit offenen Armen. In vier Spielfilmen konnte Clair seinen lebensvoll-illusionären Esprit auch dem amerikanischen Studiosystem unterjubeln. </i></p><p>1941<span style="color: #cccccc;"> | </span>»The Flame of New Orleans« (»Die Abenteurerin«) </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhO3zDjz96uA4VyooKBwatlMJ7OBqigC9Fx0F2qjGPBgzj_K_ebTQk86mct_OLyrjc9PGXgzckvAJBjrFdsezkXj430uSdwoAlpNlOcUVXAy8D-0pIe2Cp0wTfDb0U-qmReDlhiVMU3XTs9/s1040/Clair_41_Flame.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="780" data-original-width="1040" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhO3zDjz96uA4VyooKBwatlMJ7OBqigC9Fx0F2qjGPBgzj_K_ebTQk86mct_OLyrjc9PGXgzckvAJBjrFdsezkXj430uSdwoAlpNlOcUVXAy8D-0pIe2Cp0wTfDb0U-qmReDlhiVMU3XTs9/s320/Clair_41_Flame.jpg" width="320" /></a></div><p>New Orleans, 1840. Ein luxuriöses Brautkleid treibt auf dem Mississippi. Wie kam es dorthin? Und was ist aus der Trägerin geworden? Hat sie wirklich kurz vor der Hochzeit Selbstmord begangen? Mit froufrouesker Ironie erzählt René Clair die Geschichte der angeblichen Gräfin Claire Ledoux, ihrer männerfängerischen Künste und gelegentlichen Ohnmachten. Dazu setzt er Marlene Dietrich, die hinreißende Darstellerin der Titelrolle, in schmeichelndes Licht, hüllt sie in prachtvolle Roben, garniert sie mit der nostalgischen Atmosphäre des amerikanischen Südens – das lasziv-erotische Image der Diva und liebgewordene Klischeebilder vom mythischen Dixie gleichermaßen in parodistischer Absicht genüßlich überzeichnend. Daß die schöne Glücksritterin, die sich einen fürnehm-gichtigen Bankier angeln will, schließlich die Fänge eines kernig-schmucken Seemanns gerät, erscheint als schlüssige (und in jeder Hinsicht befreiende) Pointe dieser augenzwinkernden Romanze. <br /><br /> 1942<span style="color: #cccccc;"> | </span>»I Married a Witch« (»Meine Frau, die Hexe«)</p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh74vYqjHbxjoJtS5k02tJP4M-KzQEiY7BZQYjMMjOiBLMEA03H3K4WbeNtQCZr-Vp7_YsAPJ2u3_kC7gK3uvH0oevrHL-o7Y8TqDBWn4dWuHKpRZF-9vv1CTu-DHxJpYtkg_s7A6_uqJaQ/s1040/Clair_42_Witch.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="780" data-original-width="1040" height="240" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh74vYqjHbxjoJtS5k02tJP4M-KzQEiY7BZQYjMMjOiBLMEA03H3K4WbeNtQCZr-Vp7_YsAPJ2u3_kC7gK3uvH0oevrHL-o7Y8TqDBWn4dWuHKpRZF-9vv1CTu-DHxJpYtkg_s7A6_uqJaQ/w320-h240/Clair_42_Witch.jpg" width="320" /></a></div><p>»Ever hear of the decline and fall of the Roman Empire? That was our crowd.« Bestrickend (über)sinnliche und angenehm kurz(weilig)e screwball fantasy über eine sexy Hexe (Veronica Lake), die knapp 300 Jahre, nachdem sie und ihr dämonisch-versoffener Vater von dem linientreuen Neu-England-Puritaner Jonathan Wooley (Fredric March) auf den Scheiterhaufen geschickt wurden, aus dem Reich der (Un-)Toten ins irdische Leben zurückkehrt, wo sie Rache am Nachfahren des sittenstrengen Saubermanns, dem aufstrebenden Politiker Wallace Wooley (Fredric March), nehmen will. René Clair entfacht allerhand romantischen Budenzauber und nutzt die poetische Farce, um sich über moralische Scheinheiligkeit sowie die absurden Mechanismen der modernen Mediendemokratie lustig zu machen. (»I Married a Witch« erklärt ganz nebenbei, aber sehr plausibel, auf welch magische Weise in den Vereinigten Staaten (und wohl nicht nur dort) Wahlen gewonnen werden.) Wie es einer Komödie zukommt, finden sich zu guter Letzt Diesseits und Jenseits in kordialer Harmonie – denn: »Love is stronger than witchcraft.«<br /><br />1944<span style="color: #cccccc;"> | </span>»It Happened Tomorrow« (»Es geschah morgen«) <br /></p><p></p><p></p><p></p><p></p><p></p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj6YWH2kmq31cODvJ2WcVFXwipcc2E-BdRxVUM6jSZh-_E1r2fgqwn-Pj9b7D7I9mvQ3pQ_YJmR0bKrCMUhwrwJUb4h11uiyOJItshQnC-jEoWTxZ-h_y4BtpUtfkNbCtMG7hmEAbsbPhKp/s1040/Clair_44_Tomorrow.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="780" data-original-width="1040" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj6YWH2kmq31cODvJ2WcVFXwipcc2E-BdRxVUM6jSZh-_E1r2fgqwn-Pj9b7D7I9mvQ3pQ_YJmR0bKrCMUhwrwJUb4h11uiyOJItshQnC-jEoWTxZ-h_y4BtpUtfkNbCtMG7hmEAbsbPhKp/s320/Clair_44_Tomorrow.jpg" width="320" /></a></div><p>Morgen ist heute gestern, die Gegenwart ist die Zukunft der Vergangenheit, oder, wie es der alte Pop Benson, das Redaktionsfaktotum der ›Evening News‹, philosophisch formuliert: »Time is only an illusion!« ... Einmal die Zeitung vom kommenden Tag in den Händen zu halten – das wünscht sich der (bislang ausschließlich mit Nekrologen befaßte) ambitionierte Nachwuchsjournalist Larry Stevens (Dick Powell). Wäre es nicht toll, einen verbürgt sensationellen Knüller vorab geliefert zu bekommen, oder mit hundertprozentiger Gewinngarantie auf die Sieger sämtlicher Pferderennen wetten zu können? Was aber, wenn einem in fetten Lettern das unmittelbar bevorstehende eigene Ableben annonciert würde? (»Mysterious Death of Promising Reporter!«) Unter tatkräftigem Beistand der hübschen Sylvia (Linda Darnell), die an der Seite ihres Onkels als Hellseherin im Varieté auftritt, unternimmt Larry mancherlei mehr oder weniger verzweifelte Versuche, dem angekündigten Tod von der Schippe zu springen ... Angesiedelt in der guten alten Zeit um die Jahrhundertwende, witzelt René Clairs phantastisch-romantische Komödie über die Fragwürdigkeit sogenannter Nachrichten und vermittelt anschaulich-amüsant, daß, wer seine Zukunft kennt, keine ruhige Minute mehr hat. <br /><br />1945<span style="color: #cccccc;"> | </span>»And Then There Were None« (»Das letzte Wochenende«)<br /></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgMn4aC2pGh_Vncw5TcvZrCo3DUFrYEzUehujhIcUn16tFBYcOhVu_Qo0ofQXB2oovZJLF3j3bmDpDRBMUad0bV8FMqrPZ9q3UJ41bLiHFv6EtaJuAoJDqv8M1mVyVAfmfdMzhtksHUE0c6/s1040/Clair_45_None.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="780" data-original-width="1040" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgMn4aC2pGh_Vncw5TcvZrCo3DUFrYEzUehujhIcUn16tFBYcOhVu_Qo0ofQXB2oovZJLF3j3bmDpDRBMUad0bV8FMqrPZ9q3UJ41bLiHFv6EtaJuAoJDqv8M1mVyVAfmfdMzhtksHUE0c6/s320/Clair_45_None.jpg" width="320" /></a></div><p></p><p>Zehn Personen suchen ihren Mörder: ein greiser General, eine alte Jungfer, ein alkoholischer Arzt, ein exilrussischer Schnorrer, eine schmucke Sekretärin, ein pensionierter Richter, ein undurchsichtiger junger Mann, ein nicht sonderlich heller Detektiv sowie ein zwieträchtiges Dienstbotenehepaar werden von einem gewissen U. N. Owen (der nicht ganz so unbekannt bleiben wird, wie es sein sprechendes Pseudonym vermuten läßt) auf eine abgelegen-sturmumtoste Insel geladen und dortselbst wegen ungesühnter Verbrechen zum Tode verurteilt. Nach dem Prinzip des bekannten Kinderreims (»Ten little Indian boys went out to dine ...«) sieht sich das buntgewürfelte Personal der Handlung peu à peu auf unterschiedliche Art und Weise dezimiert. Zwar paßt René Clairs elegante Formstrenge nicht schlecht zu Agatha Christies artifizieller Whodunit-Arithmetik, doch gibt sich (trotz einer illustren Besetzung) die kriminalistische Spannung bei dieser kühl arrangierten Gruppenarbeit zum Thema Recht und (Selbst-)Gerechtigkeit nur gelegentlich die Ehre – zumal der glimpfliche Schluß der Bühnenfassung das stringentere Ende der Romanvorlage ersetzt.</p>Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-34845791914458276192020-09-19T13:28:00.000+02:002020-09-19T13:28:01.656+02:00Schwarz sehen (7)<i>Die »trilogia del milieu« von Fernando Di Leo<br /><br />Nach einem abgeschlossenen Jurastudium und einigen Semestern am römischen Centro Sperimentale di Cinematografia schrieb Fernando Di Leo (1932-2003) die Drehbücher zu einer Reihe von Italowestern, bevor er 1969 seinen ersten Spielfilm inszenierte. Di Leo, der auch einige Gialli und Erotikfilme drehte, war ein Bewunderer des amerikanischen Noir-Kinos und wurde vor allem für seine Poliziotteschi bekannt. Die italienische Genrevariante des Gangster- und Polizeifilms erfreute sich in den von Terror und Gewalt geprägten 1970er Jahren (den sogenannten »anni di piombo«) besonderer Beliebtheit. Drei Werke, die Di Leo in den Jahren 1972/73 als Autor und Regisseur realisierte, bilden eine thematische (und formale) Einheit, ohne aber eine durchgehende Geschichte zu erzählen.<br /></i><br />1972<span style="color: #999999;"> | </span>»Milano calibro 9« (»Milano Kaliber 9«) <br /><br />Das fulminante Preludium des Films (getragen von einem feierlich-aggressiven Score des Komponisten Luis Enríquez Bacalov und der Prog-Rock-Formation Osanna) verfolgt den Weg eines mit 300.000 Dollar gefüllten Päckchens durch das novembertriste Mailand. Mehrere Kuriere lassen die Sendung ober- und unterirdisch von Hand zu Hand gehen: ein dicklicher Fliegenträger, ein Verkäufer von Taubenfutter, eine modische Blondine, ein intellektuell wirkender Vollbart. Bei Ablieferung hat sich die Valuta in Papierschnipsel verwandelt, die Empfänger sind wütend, die Boten müssen sterben. (Natürlich werden die Mittelsleute nicht einfach irgendwie abgemurkst, man bringt sie, nach übelster Mißhandlung, mit Dynamit zur Explosion.) Drei Jahre später kommt ein gewisser Ugo Piazza (stoisch: Gastone Moschin) aus dem Gefängnis frei. Seinerzeit wegen eines mißglückten Einbruchs verurteilt, wird er sowohl von seinen ehemaligen Spießgesellen in der Organisation des »Amerikaners« (Lionel Stander als international tätiger Geldwäscher) wie auch von der Ermittlungsbehörde und seiner Geliebten Nelly (fatal à go-go: Barbara Bouchet) dringend verdächtigt, sich die Dollars damals unter den Nagel gerissen zu haben – insbesondere der äußerst reizbare Rocco Musco (Mario Adorf in einer mitreißenden Borderline-Performance) zweifelt an den Unschuldsbeteuerungen seines früheren Kumpans. Di Leos schnörkellose Gangsterballade (nach Motiven des Kriminalromanciers Giorgio Scerbanenco), eine pulpig-coole Fantasie über Berechnung und Irrtum, Argwohn und Solidarität, Vertrauen und Verrat, treibt die rivalisierenden Waffenbrüder umbarmherzig der bitteren Endabrechnung entgegen, während bei der Polizei ein konservativ gestimmter und ein fortschrittlich denkender Kommissar darüber streiten, ob das Verbrechen als Ursache oder als Auswirkung gesellschaftlicher Übelstände zu gelten hat.<br /><br />1972<span style="color: #999999;"> | </span>»La mala ordina« (»Der Mafiaboß – Sie töten wie Schakale«)<br /><br />Einem New Yorker Drogengroßhändler kommt in Mailand eine Heroinlieferung abhanden. Der Geprellte schickt ein schwarzweißes Killerduo – Woody Strout (wortkarg) und Henry Silva (flamboyant) – über den Atlantik, um den mutmaßlichen Beutegreifer auf möglichst abschreckende Weise zu exekutieren. Besagter Luca Canali (Mario Adorf als Zuhälter mit Herz) erweist sich schnell als vom örtlichen Mafiapaten (fühllos: Adolfo Celi) zum Abschuß freigegebener Sündenbock. Vom Syndikat gejagt, entwickelt der ansonsten recht verträgliche Strizzi überraschende Widerstandskräfte und reift nach der Ermordung von Frau und Tochter zum unaufhaltbaren Rächer. Di Leo inszeniert einen energiegeladenen Reißer mit einigen virtuosen Actionsequenzen (unter anderem eine ziemlich unglaubliche Verfolgungsjagd kreuz und quer durch die Stadt) und farbenfrohen Seitenblicken auf die psychedelische Spaßgesellschaft der frühen 1970er Jahre, eine knallige Etüde über den Einzelnen und die (schlechte) Gesellschaft, vor allem aber das eindrückliche Porträt eines Mannes, der nach dem Verlust des Liebsten keine Angst mehr kennt. In einer verrohten (Unter-)Welt, die Fragen der Ehre allemal den Gesetzen der Gier nachordnet, findet der Showdown geradezu zwangsläufig auf dem Schrottplatz statt.<br /><br />1973<span style="color: #999999;"> | </span>»Il boss« (»Der Teufel führt Regie«)<br /><br />Überwachen und Strafen oder (Un-)Ordnung der Dinge: Di Leo konstruiert einen fast abstrakten Thriller über mafiotische Machtkämpfe sowie die Wechselbeziehungen zwischen Kriminalität, Polizei und Politik. Im Mittelpunkt des gewalttätigen Geschehens steht der ambitiöse Killer Nick Lanzetta (gleichmütig: Henry Silva), ein Mann aus dem Nichts, der sich durch eine vorteilsbewußte Mischung aus Loyalität und Tücke, Brutalität und Intelligenz (freilich nicht als einziger) dafür empfiehlt, in die Fußstapfen des in alle Richtungen gut vernetzten und (scheinbar) allmächtigen Palermitaner Paten Don Corrasco (ehrenwert: Richard Conte) zu treten. Di Leo interessiert sich in der Tradition des großen Schwarz- und Klarsehers Fritz Lang nicht so sehr für psychologische Befindlichkeiten, sondern vielmehr für organisatorische Strukturen und die Mechanik betrieblicher Prozesse (in diesem Fall des (des-)organisierten Verbrechens und seiner Konsorten). So entfaltet sich eine nihilistisch-lakonische Milieustudie voller Klang und Wut, ein rabiat-luzides Genrestück, das die ständige Beschwörung von Begriffen wie Familie und Treue, Recht und Gesetz als leeres Geschwätz entlarvt, indem es den systembedingten Sozialdarwinismus aller Beteiligten zu mörderischem Vorschein bringt. Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-11779792508815765282020-09-11T19:56:00.001+02:002020-09-14T22:47:39.245+02:00Tage des Lebens<i>Vier Filme von Luciano Emmer</i><br />
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<i>Nachdem er seit 1941 rund zwei Dutzend dokumentarische Kurzfilme (zumeist über Künstler oder Kunstwerke) realisiert hatte, drehte Luciano Emmer (1918-2009) in den frühen 1950er Jahren eine Folge von vier Spielfilmen, deren Themen in nebeneinander laufenden Erzählsträngen ent-(und ver-)wickelt werden. Die zeitlichen beziehungsweise örtlichen Rahmen der jeweiligen Handlungsgeflechte bilden ein Sommersonntag, eine Kurzreise, ein Modeatelier, ein Klassenzimmer. Sergio Amidei, Drehbuchautor von Rossellinis »Roma città aperta« und de Sicas »Sciuscia«, war der geistige Vater dieser von neorealistischen Grundsätzen inspirierten Dramaturgie. Emmer inszenierte die Filme mit durchaus kritischem Wirklichkeitssinn und Freude am pittoresken Detail; er drehte an Originalschauplätzen (überwiegend in und um Rom) und arbeitete größtenteils mit Laien und Nachwuchsschauspielern wie Marcello Mastroianni, Franco Interlenghi und Lucia Bosè. </i><br />
<br />
1950<span style="color: #999999;"> | </span>»Domenica d’agosto« (»Ein Sonntag im August«) <br />
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Sonntag, 7. August: In Rom herrscht brütende Hitze, die Menschen ziehen massenweise hinaus, mit der morschen Familienkutsche oder im flotten Sportwagen, im überfüllten Vorortzug oder auf dem superschnellen Fahrrad geht es ans Meer, und Luciano Emmer begleitet einige dieser Ausflügler in parallel geführten Episoden durch den Tag. Die Erzählung springt zwischen den Erlebnissen der verschiedenen Protagonisten munter hin und her, die aufmerksame Kamera (die auch den einen oder anderen Blick in die fast ausgestorbene Stadt wirft) schafft lockere Verknüpfungen, erzeugt amüsante Gegensätze, betreibt gleichsam soziologische Sonntagsmalerei. Der Strand von Ostia erscheint als Laufsteg und Kontaktbörse, als allgemeines Volksvergnügen und Spiegel der Klassengesellschaft, als Bühne für sachte Romanzen, kleine Melodramen, beiläufige Intrigen, derbe Possenspiele. Es tummeln sich (unter anderem) krakeelende Kleinbürger und versnobte Geldsäcke, ölige Aufschneider und christlich behütete Ferienkinder, schmucke Jungmänner und vergnügungslustige Mädchen. Zusammen mit zwei Wegbereitern des Neorealismus (den Autoren Sergio Amidei und Cesare Zavattini) kreiert der erfahrene Dokumentarist Emmer einen lebensnahen Querschnittsfilm, der Authentizität und Kurzweil leichthändig miteinander verbindet. <br />
<br />
1951<span style="color: #999999;"> | </span>»Parigi è sempre Parigi«<br />
<br />
»Les ennuis / y’en a pas qu’à Paris, / y’en a dans l’monde entier ...« 24 Stunden aus den Leben einiger Römer in Paris – eigentlich sind sie angereist, um beim Länderspiel Italien gegen Frankreich dabeizusein, doch die meisten der Gruppe (unter ihnen Familien, Kumpane, Verlobte, Einzelgänger – allesamt eher kleinkariert als weltläufig) gehen (gewollt der ungewollt) andere Wege. Man sucht (und verfehlt großteils) den mondänen Chic und das sprichwörtliche Oh-là-là, auf große Erwartungen folgen (in den meisten Fällen) bittersüße Enttäuschungen. Jagt der Film bei Tage im Schweinsgalopp in den Louvre und auf den Eiffelturm, zu Sacre Cœur und über die Champs-Élysées, geht es bei Nacht durch Transvestitenschuppen und Nepplokale, Kellerbars und Music Halls (mit einem Auftritt des leibhaftigen Yves Montand). Aus allerlei Aufregungen und Zufällen, Mißverständnissen und Frivolitäten zaubert Luciano Emmer einen anekdotischen Bilderbogen ohne unnötige Schwere, eine sanft ironische Betrachtung des um sich greifenden touristischen Rummels mit viel Sinn für Atmosphäre und Situationskomik – und immerhin einer der Kurzurlauber findet in Paris (par hasard) sein Glück »... Oui, mais dans l’monde entier / y’a pas partout Paris, / v’là l’ennui.« <br />
<br />
1952<span style="color: #999999;"> | </span>»Le ragazze di piazza di Spagna« (»Die Mädchen vom Spanischen Platz«)<br />
<br />
Luciano Emmers dritter Ensemblefilm verfolgt die Schicksale dreier junger Frauen, die als Schneiderinnen in einem exklusiven römischen Modehaus (das reale Vorbild liefert das Atelier der berühmten Sorelle Fontana) an der Piazza di Spagna arbeiten. Ein soignierter Professor, der das Trio als außenstehender Beobachter mit taktvollem Interesse begleitet, fungiert als Erzähler und beschreibt neben dem beruflichen Alltag die (zumeist turbulenten) Familienverhältnisse, die (eher bescheidenen) Lebenswelten und die (generell komplizierten) Liebesangelegenheiten des Trios: Die temperamentvolle Marisa läßt sich zum Mißvergnügen ihres proletarischen Freundes Augusto als Mannequin engagieren, die introvertierte Elena leidet unter der Bigotterie ihres spießbürgerlichen Verlobten Alberto, die schnippische Lucia übergeht ihren kurzgeratenen Verehrer Amleto immer wieder zugunsten hochgewachsenerer Kandidaten. Auch wenn – dem Zeitgeist der hochkonjunkturell-konservativen Nachkriegsjahre geschuldet – die Sehnsüchte der Protagonistinnen (fast) ganz auf den Lebensbund mit einem passenden Traumprinzen (zum Beispiel in Gestalt eines netten Taxifahrers) gerichtet sind, beweist Emmer, wie schon in seinen früheren Werken, ein sympathisches Gespür für stimmige Milieuschilderung und plastische Figurenzeichnung.<br />
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1954<span style="color: #999999;"> | </span>»Terza liceo« (»Der letzte Schultag«)<br />
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In vierten (und letzten) seiner filmischen Gruppenbilder nimmt Luciano Emmer eine Handvoll Schülerinnen und Schüler der Abschlußklasse eines römischen Gymnasiums in den Blick, wobei – vom Beginn des Schuljahres bis zum Tag der Reifeprüfung – in erster Linie die amourösen Irrungen und Wirrungen der Adoleszenten thematisiert werden: die Beziehung zwischen dem Eisenbahnersohn Andrea und der höheren Tochter Lucia scheitert an den unüberwindlichen Klassenschranken, Giulia verliebt sich in den Schwarm ihrer besten Freundin Maria, die kokette Teresa hält sich mehrere männliche Optionen offen und so weiter, und so fort. Zwar sorgt das ungekünstelte Spiel der jungen Laiendarsteller für eine gewisse Lebensnähe, doch Emmers skizzenhafte Prägnanz weicht in diesem Falle einer gefälligen Oberflächlichkeit, zumal die eher klischeeartigen Begebenheiten das Werk bisweilen wie eine reportagig angehauchte Seifenoper erscheinen lassen. Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-34386636194865716632020-04-01T23:29:00.003+02:002021-01-09T14:18:09.763+01:00Zwanzig Zwanzig<i>Idee für ein kleines Welttheater </i><br />
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<i>Personen der Handlung </i><br />
Markus Möglich (42) <br />
Melanie Möglich (39) <br />
Mia Möglich (12) <br />
Max Möglich (9) <br />
Tschiang Tsching, chinesisches Au-pair-Mädchen bei Möglichs <br />
Hausarzt Dr. Mabuse <br />
Präsident <br />
Gesundheitsministerin <br />
Wissenschaftsredakteur einer überregionalen Tageszeitung<br />
Patient Null <br />
Panikforscherin <br />
Pizzabote <br />
Alter Mann mit Fieberthermometer <br />
Junge Frau mit Geldbündeln<br />
Nachtschwester Angela <br />
Glaube, Liebe, Hoffnung <br />
Ritter, Tod, Teufel <br />
Paare, Passanten, Polizisten <br />
Angehörige von Risikogruppen <br />
Arbeitskräfte in systemrelevanten Berufen<br />
Drei Hexen (Anne, Maybritt, Sandra) <br />
Chor der Viren <br />
Chor der Virologen <br />
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I. Akt (Exposition) <br />
<i>in der Wohnküche der Möglichs </i><br />
Irgendwo bricht eine Krankheit aus. <br />
<br />
II. Akt (Steigerung)<br />
<i>im Supermarkt </i><br />
Das Klopapier wird knapp. <br />
<br />
III. Akt (Höhepunkt) <br />
<i>im Bunker </i><br />
Die Regierung verbietet das Leben und das Sterben. <br />
<br />
IV. Akt (Retardierendes Moment) <br />
<i>auf der Straße </i><br />
Das Volk maskiert sich. <br />
<br />
V. Akt (Auflösung) <br />
<i>im Garten der Möglichs </i><br />
a) Es kommt zur Katastrophe: alle sind glücklich. <br />
<i>oder </i><br />
b) Es geht gut aus: alle sind tot. Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-68656751140351522412020-01-01T17:29:00.000+01:002020-09-15T09:05:18.488+02:002019 2/2<i>Aktuelle Filme im zweiten Halbjahr <br /><br />Juli </i><br />
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<b>Yesterday</b> von Danny Boyle (2019) : Die hübsche Prämisse ihrer kontrafaktischen Erzählung – einzig ein (ziemlich erfolgloser) Musiker erinnert sich nach einem rätselhaften globalen Zwischenfall an die Songs der Beatles – nutzen Regisseur Boyle und Autor Curtis nicht zur Kreation einer popkulturellen Anderswelt sondern lediglich als Grundlage einer soliden romcom mit kontinuierlich ansteigendem Schnulzpegel (»All You Need is Love« as usual). Weder ›tangerine trees‹ noch ›marmalade skies‹ – aber mit einer überzeugenden Besetzung und launigen Seitenhieben auf Funktionsweisen der Unterhaltungsindustrie schlägt sich »Yesterday« redlich ins (leicht modifizierte) Hier und Jetzt durch. <br />
<br />
<b>Kursk</b> von Thomas Vinterberg (2018) : Ein Drama ohne Rettung: wie im historischen Fall, so geht auch in Vinterbergs durchaus bewegender Adaption die Besatzung des Atom-U-Bootes Kursk ihrem von den Weltläuften gesponnenen Schicksal entgegen. Die Rolle, die im richtigen Leben Wladimir Putin spielte, übernimmt im Film der greise Max von Sydow – sein fiktiver Admiral erscheint wie die Wiederkehr des russischen Erzschurken vergangener Kinozeiten als unsagbar trauriges Gespenst. <br />
<br />
<b>Dolor y gloria</b> von Pedro Almodóvar (2019) : Nach »La ley del deseo« und »La mala educación« erzählt Almodovar zum dritten Mal mit autobiographischem Unterton von Glanz und Elend der filmemacherischen Kreativität. War das erste Stück der losen Reihe noch von wilder Leidenschaft erfüllt, ertrank das Folgewerk in nostalgisch-selbstreferentieller Melancholie, zeichnet der gereifte Meister nun (in gewohnt erlesenen Farben) das versteinert-redselige, kokett-selbstmitleidige Bildnis des Künstler als (schöner) alter (kranker) Mann. <br />
<br />
<i>August </i><br />
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<b>La chute de l’empire américain</b> von Denys Arcand (2018) : »Komödie ums Geld« heißt ein Film von Ophüls, und auch Arcands herzensgut-blutiger Traktat über die zersetzenden Kräfte des Kapitals und deren subversive Unterwanderung könnte diesen Titel tragen, oder: »Das Geld anderer Leute«, oder: »Für ein paar Dollar mehr«, oder »Die Farbe des Geldes« oder: »Jagd nach Millionen«, oder ganz einfach: »Das Geld« PS: »The more I see of the moneyed classes, the more I understand the guillotine.« (Shaw) <br />
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<b>Toy Story 4</b> von Josh Cooley (2019) : Eine Wiederbegegnung mit den üblichen Verdächtigen aus dem Kinderzimmer (und ein paar bizarren Neuzugängen): wieder eine abenteuerliche Rettungsmission und wieder das grüblerische Ringen der Objekte um die Subjekthaftigkeit. Ein wenig redundant das alles, dabei aber immer noch einigermaßen unterhaltsam. <br />
<br />
<b>Ich war zuhause, aber ...</b> von Angela Schanelec (2019) : (»There’s such a lot of world to see.«) Vielleicht hat Schanelec ja einen Science-Fiction-Film gemacht, einen Film über Wesen, die aussehen wie Menschen, aber eigentlich Aliens sind, die zu verstehen versuchen, was es heißt, ein Mensch zu sein, die sich herumschlagen (müssen) mit den Fragen von Sein und Werden, Lüge und Wahrheit, Liebe und Tod. (Oder ist es ein Film über die Welt, gesehen mit den Augen eines Esels, eines Hundes, eines Hasen, einer Wachtel?) <br />
<br />
<i>September </i><br />
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<b>Late Night </b>von Nisha Ganatra (2019) : Nach 28 Jahren auf Sendung schlägt Moderatorin (Dame) Katherine Newbury die Stunde: zu alt, zu weiß, zu unpersönlich sei ihre allnächtliche Performance. »Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch«, wußte schon Hölderlin – als da in diesem Falle wären: Frische, Farbe, Selbstentblößung. (Dame) Emma Thompsons (ziemlich fulminante) The-Show-Must-Go-On-Darbietung muß Ganatras (ziemlich lahmer) Medienposse unterdies immer wieder aus der sentimentalen Patsche helfen. <br />
<br />
<b>Synonymes</b> von Nadav Lapid (2019) : Stationendrama einer Identitätskrise oder Ein Israeli in Paris. Lapid folgt seinem verrückt spielenden (oder tatsächlich verrückten?) Protagonisten auf der (einigermaßen enervierenden) Flucht vor dem eigenen Herkommen durch eine ((Alp-)Traum-)Welt, die nicht zur neuen Heimat werden will. Das vaterländisch-muttersprachliche Ideen-Pêle-Mêle wird von Tom Mercier in der Hauptrolle auf atemberaubende Weise zusammengehalten. <br />
<br />
<b>Once Upon a Time ... in Hollywood</b> von Quentin Tarantino (2019) : Im Grunde gleicht Tarantino einem Sammler, der kaum an den Objekten seiner Begierde interessiert ist, dem es vielmehr um deren massenweises Zusammenraffen und stolze Zurschaustellung geht. Über das Unbehagen in der Kulturindustrie hat er so wenig Erhellendes (oder Originelles) zu sagen (oder zu zeigen) wie über die Abgründe der Gegenkultur – so bleiben am Ende nur inhaltsleeres Gerede und fanfictionhaftes Entweichen in ein Es-war-einmal-Spiegelland, wo die Toten heute noch leben. (Aber gestorben sind sie leider doch.) <br />
<br />
<b>Ad Astra</b> von James Gray (2019) : Was beginnt wie eine Weltraumodyssee ins Herz der Finsternis (Suche nach außerirdischer Intelligenz meets Wahnsinn im Grenzgebiet der Zivilisation), endet als trivialpathetischer Vater-Sohn-Konflikt. Weder die außergewöhnliche audiovisuelle Eleganz der Inszenierung noch Grays bohrende introspektive Ernsthaftigkeit (einsame Männer in unendlichen Weiten) können verhindern, daß die ins Kosmische zielende Erzählung abschmiert wie eine feuchte Silvesterrakete. <br />
<b><br />The White Crow</b> von Ralph Fiennes (2019) : Was Callas für die Oper und Picasso für die moderne Malerei sind, ist Nurejew für den Tanz: ein Inbegriff. Fiennes liefert einen (formal äußerst gediegenen) filmbiographischen Abglanz der Ikone, der den ichbefangen-hochfahrenden Charakter des Protagonisten halbwegs zu fassen kriegt, von dessen künstlerischer Bedeutung aber kaum eine Ahnung gibt; gegen Ende der Erzählung gelingt ihm immerhin die spannungsreiche Darstellung einer ebenso folgenschweren wie denkwürdigen Lebensentscheidung. <br />
<br />
<i>Oktober </i><br />
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<b>Gemini Man</b> von Ang Lee (2019) : Will Smith und Will Smith (und Will Smith) in einem ultrakünstlichen Action-Killer-Thriller, dessen thematisches Potential (Individualität, Genmanipulation, Kriegsindustrie) von Lee gelegentlich touchiert, zumeist aber im hektischen Hin und Her zwischen Lüttich und Georgia, Kolumbien und Budapest ungerührt weggeballert wird. <br />
<br />
<b>Joker</b> von Todd Phillips (2019) : Ein kaputter Typ in einer kaputten Gesellschaft lacht kaputt, was ihn kaputt macht. Mit seiner auf New Hollywood geschminkten exzentrisch-brutalen Sozialallegorie nimmt Phillips sich so wichtig wie der apokalyptische Protagonist. Daß Robert De Niro, der vergleichbare Rollen einst deutlich abgründiger zu gestalten wußte, in diesem Fall lediglich Stichworte geben darf, sagt mehr als tausend Clownsmasken. <br />
<br />
<b>Terminator: Dark Fate</b> von Tim Miller (2019) : Ewige Wiederkunft des Gleichen: Mensch gegen Maschine gegen optimierte Mensch-Maschine gegen optimierte Maschinen-Maschine. Einer respektvoll erschüttertem Welt wird offenbar, welch dunkles Schicksal Arnold Schwarzenegger und Linda Hamilton ereilt hat, und Miller läßt dazu die Trümmer der jüngeren Filmgeschichte tanzen. <br />
<br />
<i>November </i><br />
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<b>Lara</b> von Jan Ole Gerster (2019) : Vierundzwanzig Stunden aus dem (nicht gelebten) Leben einer Frau – nach dem episodischen Oh-Boy-Prinzip heftet sich Gerster einen Tag lang an die Fersen einer ziemlich unliebenswürdigen Sechzigerin (Corinna »Stone Face« Harfouch). Geriet dem Regisseur das Debüt zum salopp-pointierten Zeitbild, reiht sein lang erwarteter Zweitling nur mehr stylisch-verquälte Abziehbilder aneinander. <br />
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<b>Last Christmas</b> von Paul Feig (2019) : Sentimentale Weihnachtsromanze aus einem London, das so unwirklich erscheint wie die Anwesenheit einer Elfe in der Suppenküche für Obdachlose. Trotz beiläufiger Fingerzeige auf Brexit-Problematik und fortschreitende Prekarisierung versinkt diese übersinnliche Herzensangelegenheit (zu schmusigen George-Michael-Klängen) vollständig im eigenen Schmalz. <br />
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<i>Dezember </i><br />
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<b>The Good Liar</b> von Bill Condon (2019) : Was beginnt wie eine gemächliche Trickster-Romanze unter wohlerhaltenen Senioren (Ian McKellen meets Helen Mirren), entwickelt sich sukzessive zum (ziemlich unglaubhaften) Rache-Melodram um die Begleichung uralter Rechnungen. Condon verliert sich so tief in abstrusen Rückblenden, daß auch die böse Schlußpointe keine rechte Wirkung mehr entfalten kann. <br />
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<b>A Rainy Day in New York</b> von Woody Allen (2019) : Eine elegante Petitesse über junge Leute in der großen Stadt. Mit der sogenannten Realität hatte Allen nie besonders viel am Hut, und so bewegen sich seine Figuren auch in dieser leichtgewichtigen Liebes- und Gesellschaftskomödie durch ein kinematographisch-literarisches Paralleluniversum, das mit dem Hier und Jetzt höchstenfalls dekorative Äußerlichkeiten gemein hat. <br />
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<b>Motherless Brooklyn</b> von Edward Norton (2019) : Anklänge an Polanskis »Chinatown« sind überdeutlich: die Aufklärung eines Mordfalles führt in ein schier undurchdringliches Gestrüpp aus Sex, Verbrechen und (Macht-)Politik. Nortons geschmackvoll-überlange Adaption des Romans von Jonathan Lethem ersetzt Los Angeles durch New York, die 1930er durch die 1950er, die coole Spürnase durch einen Schnüffler mit Tourette-Syndrom. Die Auflösung erscheint jedoch banal gemessen an der behaupteten Größe des Mysteriums.<br />
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<b>Deux moi</b> von Cédric Klapisch (2019) : Rémy und Mélanie, beide um die 30, wohnen Wand an Wand mit Blick über Bahngleise und die Dächer des grauen Pariser Nordens. Sie ist ständig müde, er kann nicht schlafen, sie trauert ihrem Ex nach, er findet keine Freundin, sie grollt mit ihrer Mutter, er lebt auf Distanz zur Familie. Klapisch inszeniert eine kluge psychologische Tragikomödie über Menschen, die sich nah sind, ohne voneinander zu wissen, folgt dem Weg zweier Parallelen, die sich (mit etwas Glück) nicht erst im Unendlichen treffen. Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-41223033735149211722019-12-31T02:38:00.000+01:002019-12-31T11:19:17.007+01:00Es, wir und die anderen<i>Die Spielfilme von Ulrich Schamoni <br /><br />Am 9. November 2019 wäre der Berliner Regisseur und Medienunternehmer Ulrich Schamoni (1939-1998) 80 Jahre alt geworden. Der Berliner Zeughauskino zeigte aus diesem Anlaß in den vergangenen Wochen unter dem Titel »</i><i><span class="st"><em>Biotop der Frechheit« </em></span>eine umfangreiche Retrospektive seines filmischen Schaffens. </i><br />
<br />
1966 <span style="color: #999999;">|</span> »Es«<br />
<br />
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjVl_V-zwW9edh7Y5Fqbk03YT0B7w6KXJ9ByezQY9gjkBnoisoV5b6vR6EDaZHjmNitFnftXLCya8XltepsyeaTlDPuIRgAwe3KDTSuxKX8nFb6O6QxS9nN5k5ix-JUMGrsVjIcBgXQa2ok/s1600/Schamoni_1_Es.png" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="750" data-original-width="1000" height="240" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjVl_V-zwW9edh7Y5Fqbk03YT0B7w6KXJ9ByezQY9gjkBnoisoV5b6vR6EDaZHjmNitFnftXLCya8XltepsyeaTlDPuIRgAwe3KDTSuxKX8nFb6O6QxS9nN5k5ix-JUMGrsVjIcBgXQa2ok/s320/Schamoni_1_Es.png" width="320" /></a></div>
<br />
Es: das Kind, das sie (Sabine Sinjen) nicht will, weil sie glaubt, daß er (Bruno Dietrich) es nicht will. Es: das ungestüme Bauwesen, das auch das noch zerstört, was der Bombenkrieg verschonte. Es: das Westberlin kurz nach dem Mauerbau – Stadt der Brachflächen und Brandmauern, der Schnellstraßen und Friedhöfe, der Witwen und Abschreibungsritter, der modischen jungen Paare und der alten Tanten aus dem Osten. Schamonis dynamisches Debüt offeriert weniger tieflotende Analyse denn feuilletonistische Momentaufnahmen, weniger Soziologie einer abgewrackten Metropole denn Kaleidoskop eines weltläufigen Provinzkaffs; als intuitiv-impulsiver Sammler von Augenblicken und Tonfällen, als rasender Reporter der privaten, beruflichen, gesellschaftlichen Beziehungen stellt der Autor die Lockerheit des Entwurfs über die Präzision der Ausführung. So entsteht, stickpunktartig, notizenhaft, elliptisch, das anschauliche Stimmungsbild eines Ortes zwischen Aufbruch und Erstarrung, einer Ära zwischen Ungezwungenheit und Sprachlosigkeit. »Es«: eine Zeitkapsel. <br />
<br />
1967<span style="color: #999999;"> |</span> »Alle Jahre wieder«<br />
<br />
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjtXNGql9oT8fw0LcZU1_RVE7vJ0xr0stzAJpfuAQRcBcovU1dCU0UH2xRVcmBiabwpnskZs5lPByFLvB2k68jt3kAWJu13L4a2Sr9SoMt0N70Wvo4KcRMj8cqzKdZ-KYgdfUMWQ2-28Yk6/s1600/Schamoni_2_Alle+Jahre+wieder.png" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="750" data-original-width="1000" height="240" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjtXNGql9oT8fw0LcZU1_RVE7vJ0xr0stzAJpfuAQRcBcovU1dCU0UH2xRVcmBiabwpnskZs5lPByFLvB2k68jt3kAWJu13L4a2Sr9SoMt0N70Wvo4KcRMj8cqzKdZ-KYgdfUMWQ2-28Yk6/s320/Schamoni_2_Alle+Jahre+wieder.png" width="320" /></a></div>
<br />
»Entweder regnets hier, oder die Glocken läuten, oder es wird mal wieder ne Kneipe eröffnet.« ›Hier‹, das ist Münster, wohin alljährlich zu Weihnachten Hannes Lücke (Hans Dieter Schwarze) zurückkehrt, der schon seit Jahren als erfolgreicher Werbetexter in Frankfurt lebt, um mit Frau Lore (Ulla Jacobsson) und Kindern die Feiertage zu verbringen – und um sich im Kreise alter Saufkumpane einen (oder zwei oder drei) hinter die Binde zu gießen. Erstmals kommt Hannes nicht allein, sondern in Begleitung seiner jungen Freundin Inge (Sabine Sinjen); ihre hellhörig-kritische Außenseiterperspektive auf Sitten und Bräuche der westfälischen Kapitale machen sich auch die Erzähler zu eigen, die gleichwohl über eine intime Kennerschaft des geschilderten Milieus verfügen: Schamoni (Regie) und Michael Lentz (Buch) wuchsen in Münster auf, sind der Stadt und ihren Bewohnern in zärtlich-bissiger Haßliebe verbunden. »Alle Jahre wieder« beschreibt, in scheinbar beiläufigen Beobachtungen, eine Gesellschaft, deren moralische Normen und überkommene Etiketteregeln nur mehr als historische Fassade aufrecht erhalten werden; zugleich zeichnet der Film das süffisant-trostlose Bild einer arrivierten und doch verlorenen (Männer-)Generation. <br />
<br />
1968 <span style="color: #999999;">|</span> »Quartett im Bett«<br />
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<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgt0pu_ucS-1sQXbxWUwr0FNIRwyfwOnpV8LJQBkQtmLtqNwoIkOgPvDkud6V8JUfqDje-Y_SDjk6BjR2_nrENH8FekC2sYmz6GMd2EzxAngg-lDju6r9-Du6Rcde-sXPBQT1E-J31E7fvi/s1600/Schamoni_3_Quartett+im+Bett.png" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="750" data-original-width="1000" height="240" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgt0pu_ucS-1sQXbxWUwr0FNIRwyfwOnpV8LJQBkQtmLtqNwoIkOgPvDkud6V8JUfqDje-Y_SDjk6BjR2_nrENH8FekC2sYmz6GMd2EzxAngg-lDju6r9-Du6Rcde-sXPBQT1E-J31E7fvi/s320/Schamoni_3_Quartett+im+Bett.png" width="320" /></a></div>
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»Berlin ist immer eine Reise wert. Börlin olwaiß iß wörß ä träwel.« 1968: Während sich in den Straßen Westberlins wildgewordene Studenten (»Radikalinskis«) und tschakobehelmte Polizisten (»Bullenschweine«) rabiate Scharmützel liefern, läßt der spätbourgeoise Kino-Bohèmien Schamoni, eher indifferent gegenüber den semirevolutionären Zeitläuften, einen gänzlich unpolitschen, dafür hochgradig albernen culture clash der vierten Art abrollen: ›Insterburg & Co‹ (»Auf einem Himmelbett der Zeisig / er hat ein Mädchen bei sich.«) gegen ›Jacob Sisters‹ (»Klatsch, Klatsch, Schenkelchen / Opa wünscht sich Enkelchen!«) – gehobener Berliner Brettl-Blödsinn (zumeist vorgetragen auf selbstgebastelten Instrumenten) gegen zappelige sächsische Schlager-Munterkeit (begleitet von wohlfrisierten weißen Pudeln). In der Art einer aufgekratzten musikalischen Nummernrevue, nicht unbeeinflußt von Richard Lesters Running-Jumping-&-Standing-Still-Ästhetik, führt »Quartett im Bett« durch ungeheizte Schafzimmer und elegante Hotelsuiten, über ruinöse Hinterhöfe und klapprige Studiobühnen, durch Kneipen und Fernsehateliers, zum Kurfürstendamm und an die Mauer. Ein hektisch-fröhliches Stimmungsbild ohne Ziel und Plan, aber mit einem gerüttelt Maß an zeitgeschichtlichem Mutter- und Vaterwitz. <br />
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1970 <span style="color: #999999;">|</span> »Wir – zwei«<br />
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<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjP0sZNiMwKkgZPejtT7ZUJqaj0yY_HwByskUAqwkVzIx8whdvO9g9ZJ7UhGSlLC67p5nJ2Tv2et31hSb2nfcTMY4VeS2_9J080eDcTbQlqnu_LCvtnsu-Y8d1yJqh2iHEqFxIgSoJHcULK/s1600/Schamoni_4_Wir+zwei.png" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="750" data-original-width="1000" height="240" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjP0sZNiMwKkgZPejtT7ZUJqaj0yY_HwByskUAqwkVzIx8whdvO9g9ZJ7UhGSlLC67p5nJ2Tv2et31hSb2nfcTMY4VeS2_9J080eDcTbQlqnu_LCvtnsu-Y8d1yJqh2iHEqFxIgSoJHcULK/s320/Schamoni_4_Wir+zwei.png" width="320" /></a></div>
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»Warum denn nicht?« Seit der Schulzeit haben sie sich nicht mehr gesehen, nach zehn Jahren treffen sie sich wieder: Andreas (Christoph Bantzer), nunmehr Doktorand der Mathematik mit Gelegenheitsfreundin, und Hella (Sabine Sinjen), inzwischen Gattin eines wohlhabenden Herrn Meier und Mutter einer dreijährigen Tochter. Damals mochten sie sich sehr, ohne einander ihre Gefühle zu offenbaren, jetzt versuchen sie herauszufinden, wie es (gewesen) wäre, wenn ... Er sieht sie eines Tages zufällig in der Stadt und fährt ihr nach – bis zum Friedhof. Der Ort der Wiederbegegnung hat, wie sich erweisen wird, symbolischen Charakter: eine tote Liebe läßt sich nicht reanimieren. Schamoni folgt dem Paar, das nie eines war und letztendlich keines wird, durch ein – von Michael Ballhaus leckerschmeckerisch fotografiertes – zunächst spätsommerliches, dann septembermildes, schließlich herbstgraues (West-)Berlin: Gartenpartys und Tanzvergnügen, Rummelbesuche und Bootsfahrten. Der verspätete Liebesversuch hinterläßt bei den Beteiligten weder Trauer noch Enttäuschung, allenfalls einen bittersüßen Nachgeschmack von halbherziger Vergeblichkeit. <br />
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1971 <span style="color: #999999;">|</span> »Eins«<br />
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<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjcRF0Ip3hOdb5Ol2fPh6vyAFXJCYqP7lrIku5DZUUiCI-3DP0YB5YDeqn7QVqHIfWZeB505BKH-CHL4KXLLyEkIU4Byxef37xghW3Un0OQYVkEDyWxb05ieH7QCo3LSY1aBbn6a-9G51WC/s1600/Schamoni_5_Eins.png" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="750" data-original-width="1000" height="240" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjcRF0Ip3hOdb5Ol2fPh6vyAFXJCYqP7lrIku5DZUUiCI-3DP0YB5YDeqn7QVqHIfWZeB505BKH-CHL4KXLLyEkIU4Byxef37xghW3Un0OQYVkEDyWxb05ieH7QCo3LSY1aBbn6a-9G51WC/s320/Schamoni_5_Eins.png" width="320" /></a></div>
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Eine zwanglose Gesellschaftskomödie, ein boulevardeskes Roadmovie: Autorenfilmer und Hauptdarsteller Schamoni verkörpert einen wohlgenährten Nachwuchskapitalisten, dessen Betriebsmittel das vom Großvater ererbte todsichere Roulette-System darstellt. Unterwegs in Südfrankreich, läßt der Geldsack drei Herumtreiber (in hinlänglich gutsitzende Smokings gesteckt) gegen überschaubare Entlohnung an den Casinotischen für sich spielen, während er selbst, am Strand oder im Bett, mit seiner (stets leichtbekleideten) Freundin die Früchte des Mehrwerts genießt. Die launige Etüde über Abhängigkeitsverhältnisse und Interessengegensätze gipfelt – nach wiederholten Zwistigkeiten zwischen den Sozialpartnern – in einer unverblümten Selbstdiagnose des Chefs: »Ich bin dreißig Jahre, Mensch, ich fühl mich sauwohl. Ich weiß gar nicht, warum ich mich ändern soll. Mein Leben lebe ich, und ich will mein Leben leben und nichts anderes. Das ist das Problem.« Es bleibt die Frage, ob es sein Problem ist oder das der anderen. <br />
<br />
1974 <span style="color: #999999;">|</span> »Chapeau Claque«<br />
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<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEha1HSPf0ou9Vypp7UxSWbOUBiWnR6Zf7W5RDns1z_ApTnr2EfZjhfmVg5T6dZ4EXj09GyArecleB1PO1YSy4BN5wysHNCM5fLF-yXXIeHmXrsf3N-7c-FUaa5jkeyqSWnmU0Vjusfs65i0/s1600/Schamoni_6_Chapeau+Claque.png" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="750" data-original-width="1000" height="240" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEha1HSPf0ou9Vypp7UxSWbOUBiWnR6Zf7W5RDns1z_ApTnr2EfZjhfmVg5T6dZ4EXj09GyArecleB1PO1YSy4BN5wysHNCM5fLF-yXXIeHmXrsf3N-7c-FUaa5jkeyqSWnmU0Vjusfs65i0/s320/Schamoni_6_Chapeau+Claque.png" width="320" /></a></div>
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Nichtstun als schöne Kunst betrachtet: Schamoni erzählt (wiederum mit sich selbst in der Hauptrolle) vom (weitgehend ereignislosen) Leben eines Pleitiers, der sich mit dem, was er aus dem Konkurs des traditionsreichen Berliner Familenunternehmens (Produktion von Zylinderhüten) retten konnte, in seine kleine Grunewald-Villa zurückgezogen hat und dem genüßlich-asozialen Müßiggang frönt. Der Privatier vertrödelt die Zeit mit einem (meist unbekleideten) jungen Mädchen, kultiviert seine Sammelleidenschaft (Emailschilder, Reklamebilder, Porzellanhasen aller Provenienz) und schlurft ansonsten – alte Kaufmannsweisheiten zitierend (»Wer gute Nächte sucht, verliert gute Tage.« oder: »Manchmal muß man spielen, wie es die Geige will.« oder, auch schön: »Reiche Leute haben fette Katzen.«) – in abgetragenen Frottee-Bademänteln durch diesen nostalgischer Abgesang auf die kultur- und wohlstandsbürgerliche Welt. In Nebenrollen glänzen die wunderbare Anna Henkel (nackt und verschmollt), Wolfgang Neuss (»Denken heißt machen!«) sowie Karl Dall als gestreßter Jung-Unternehmer (!). Eine gänzlich undeutsche Perle voll verkrachtem Esprit, angeschmuddelter Lässigkeit, schlampiger Eleganz. <br />
<br />
1980 <span style="color: #999999;">|</span> »Das Traumhaus« <br />
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<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgODXa9alaSoGIGzHFAP_xUtHbO6gsgrFtp6mdkFJrErjlbGxEb9_wWn3NsnciskhKzgzesIUeCusDTk5UJr5d_91asYQLye_rsTqXb8QaN33SX30BdIZPMMY1M2pkrASdHwbWag8_9Y2Js/s1600/Schamoni_7_Das+Traumhaus.png" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="750" data-original-width="1000" height="240" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgODXa9alaSoGIGzHFAP_xUtHbO6gsgrFtp6mdkFJrErjlbGxEb9_wWn3NsnciskhKzgzesIUeCusDTk5UJr5d_91asYQLye_rsTqXb8QaN33SX30BdIZPMMY1M2pkrASdHwbWag8_9Y2Js/s320/Schamoni_7_Das+Traumhaus.png" width="320" /></a></div>
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Zum dritten (und letzten) Mal nutzt Schamoni das eigene Haus (Furtwänglerstraße 19 in Berlin-Grunewald) als Bühne eines kleinen kinematographischen Welttheaters: vier junge Leute (drei Mädchen, ein Junge) verwirklichen in einem verwunschenen Anwesen den Traum vom alternativen Leben jenseits des allgemeinen Rattenrennens. Doch das Idyll ist bedroht – die eiskalte Baulöwin Sybille Schacht-Blessmann (Judy Winter) plant den Abriß des irdischen Paradieses zugunsten einer modern-beliebigen Eigenheimsiedlung. Beistand erhält die weltferne Wohngemeinschaft in Gestalt des Ingenieurs Conrad Kolberg (Horst Frank), der die Villa Kunterbunt vor der Zerstörung bewahrt, indem er sie mit technokratischer Radikalität zum ökologischen Musterbau umgestaltet. Im Ergebnis bleibt eine zeitgerechte Hülle bestehen, indes der unverwechselbare Geist des Ortes ausgetrieben ist. Mit ironischer Wehmut veranschaulicht Schamoni (nach einem zivilisationskritischen (wiewohl recht umständlichen) Drehbuch von Wolfgang Menge) den unauflöslichen Widerspruch von Utopie und Realität. Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-43350528048068429852019-09-29T22:55:00.000+02:002019-09-29T22:55:31.859+02:00Böhmische Dörfer (2)<i>Die frühen Filme von Jiří Menzel </i><br />
<i><br />Jiří Menzel wurde 1938 in Prag geboren. Nach dem Studium an der Prager Filmhochschule FAMU gehörte er neben seinen Kommilitonen Miloš Forman und Věra Chytilová zu den wichtigsten Vertretern der Tschechoslowakischen Neuen Welle. Sein erster Spielfilm wurde 1968 mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet. </i><br /><br />1966<span style="color: #999999;"> | </span>»Ostře sledované vlaky« (»Scharf beobachtete Züge«<span style="color: #999999;"> | </span>»Liebe nach Fahrplan«) <br /><br />Ort: ein kleiner Bahnhof in Böhmen. Zeit: gegen Ende der großdeutschen Okkupation. Der unbedarfte Jüngling Miloš Hrma (›Golden Kid‹ Václav Neckář) – Sproß einer Familie von Träumern und Faulenzern – tritt, von der Mutter mit einer Schirmmütze gekrönt, seine Stelle als Bahnwärterlehrling an. Umgeben von einem kleintierzüchtenden Stationsvorsteher, einem schürzenjagenden Fahrdienstleiter und einem kollaborateurischen Bahnrat erwirbt Hrma Grundkenntnisse des Eisenbahnwesens, während er gleichzeitig einigermaßen linkische Versuche unternimmt, der angehimmelten Schaffnerin Máša (seelisch wie auch körperlich) näherzukommen. Nach einer Erzählung von Bohumil Hrabal (der während des Zweiten Weltkriegs selbst Dienst auf einem Provinzbahnhof schob) bringt Menzel eine detailverliebte Bildungsburleske ins Rollen, die den liebeskranken Protagonisten immer neuen (persönlichen wie auch historischen) Bewährungsproben aussetzt und dabei Komik und Schrecken wirkungsvoll miteinander verschmilzt – bis hin zur doppelten Explosion eines sexuellen Erwachens und eines in die Luft fliegenden Munitionszuges. <br /><br />1968<span style="color: #999999;"> | </span>»Rozmarné léto« (»Launischer Sommer«) <br /><br />Ein wechselhafter Juni auf dem Lande: drei Freunde in den (sogenannten) besten Jahren – ein Priester, ein Major im Ruhestand, der Besitzer eines Flußbades – schwimmen und angeln, bechern und philosophieren. Die Ankunft eines kauzigen Artisten und seiner bezaubernden Assistentin reißt die Herren aus dem gewohnt behaglichen Alltagstrott: nacheinander buhlen sie (jeder seinem Temperament entsprechend) um die Gunst des blonden Zirkusfräuleins, während die patente Frau des Bademeisters dem Charme des spillerigen Akrobaten erliegt. Menzel blättert in einem Album aus der (sogenannten) guten alten Zeit (die durchaus Kälte, Mißgunst und Bosheit kennt), entbreitet eine wehmütige Idylle der romantischen Sehnsüchte, der zarten Enttäuschungen, der bittersüßen Erkenntnisse, gibt eine heiter-bewölkte Hommage an das Leben, das, so oder so, immer weitergeht. <br /><br />1969<span style="color: #999999;"> | </span>»Skřivánci na niti« (»Lerchen am Faden«) <br /><br />Zu Beginn der 1950er Jahre – der Stalinismus hat die östliche Hälfte der ideologisch geteilten Welt fest im Griff – schuften klassenfeindliche Elemente (männliche und weibliche Delinquenten streng getrennt) auf dem Schrottplatz eines tschechischen Hüttenwerks, um (aus Schreibmaschinen und Kruzifixen, Lokomotiven und Gitterbetten) Rohstoff für die volkseigene Stahlproduktion zu gewinnen: hier (u. a.) ein Philosophieprofessor und ein Saxophonist (dekadentes Instrument!), ein Staatsanwalt und ein junger Koch (der aus religiösen Gründen die samstägliche Arbeit verweigert), dort eine Gruppe von Frauen (die allesamt beim Versuch, das Arbeiterparadies unerlaubt zu verlassen, hopsgenommen wurden), dazwischen ein sanftmütiger Wachmann (der seine liebe Not mit der frisch angetrauten Gattin hat) sowie ein mopsiger Apparatschik (der privat einer Leidenschaft für das Abseifen heranwachsender Mädchen frönt). Menzel inszeniert (einmal mehr nach einer Geschichte von Bohumil Hrabal) kein hartes Drama der Unterdrückung, sondern ein kleines Welttheater der Anpassung und des Ungehorsams, der Kontrolle und des Eigensinns, ein menschenfreundlich-märchenhaftes Gesellschaftsstück voller tragikomischer Zwischentöne und ironischer Anspielungen (der kirmeshafte Werksbesuch eines senilen Ministers, ein nelkendekorierter Propagandadreh der staatlichen Wochenschau), ein sanftes Hohelied der Liebe, die noch im grauesten Grau der volksdemokratischen Gegebenheiten erglimmt. <br /><br /><i>Unmittelbar nach der Fertigstellung verboten, erlebte »Skřivánci na niti« seine Uraufführung auf der Berlinale 1990, wo der Film den Goldenen Bären erhielt. Menzel, der sich anders als Miloš Forman dazu entschlossen hatte, nach der Niederschlagung des Prager Frühlings in seiner Heimat zu bleiben, wurde mit einem Berufsverbot belegt, bevor er seine Arbeit als Regisseur für das Kino Mitte der 1970er Jahre erfolgreich fortsetzen konnte. </i>Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-1600905641314141052019-08-17T12:53:00.001+02:002019-08-19T22:26:13.363+02:00Böhmische Dörfer (1)<i>Die frühen Filme von Miloš Forman <br /><br />Miloš Forman kam 1932 in der tschechischen Kleinstadt Čáslav zur Welt. Seine Eltern wurden in deutschen Konzentrationslagern ermordet. Nach dem Krieg besuchte er ein Internat für Kriegswaisen, das er aus politischen Gründen vor dem Abitur verlassen mußte. Seit Anfang der 1950er Jahre studierte Forman Dramaturgie an der Prager Filmhochschule FAMU. 1963 realisierte er seine ersten Werke als Regisseur, zwei mittellange »Halbdokumentationen«. </i><br />
<br />
1964<span style="color: #999999;"> | </span>»Konkurs« (»Wettbewerb«) <br />
<br />
Die Betreiber der Prager Kleinkunstbühne ›Semafor‹ veranstalten einen Wettbewerb, um eine neue Vokalistin für das Ensemble zu finden. Vor den Musikern Jiří Suchý und Jiří Šlitr (in der wirklichen Wirklichkeit Betreiber der Prager Kleinkunstbühne ›Semafor‹) demonstrieren Dutzende junger Kandidatinnen mehr oder weniger überzeugend ihr stimmliches Können – unter ihnen eine Fußpflegerin mit Drang zu Höherem und die schmollmündig-hochnäsige Sängerin einer Rock’n’Roll-Combo, die im entscheidenden Augenblick keinen Ton herausbringt. Forman betrachtet die (halb arrangierte, halb lebensechte) Talentschau mit dokumentarischer Distanz, ohne sich über Hingabe und Zuversicht der Aspirantinnen lustig zu machen. <br />
<br />
1964<span style="color: #999999;"> | </span>»Kdyby ty muziky nebyly« (»Wenn’s keine Musikanten gäbe«) <br />
<br />
Eine halbdokumentarische Feldforschung zum Thema Tradition und Nonkonformismus, ein süffisanter Traktat über Eingliederung und Insubordination. Zwei junge Trompeter spielen in verschiedenen Kapellen, die sich auf die Teilnahme an einem bedeutenden Blasmusikfestival vorbereiten. Am Tag der Tage besuchen die Nachwuchsbläser indes lieber ein Motorradrennen. Für die stolzen Kapellmeister bricht eine Welt zusammen, die ehrvergessenen Orchestermitglieder werden umgehend entlassen. Wenig später finden die beiden Gefeuerten in der jeweils anderen Truppe ein neues blasmusikalisches Zuhause. Forman gibt den Stimmen von Disziplin und Reglement reichlich Raum, nur um die Phraseologie in einer aberwitzigen Schlußpointe lakonisch verpuffen zu lassen. <br />
<br />
<i>In den folgenden Jahren drehte Forman drei gesellschaftskritische
Komödien, die zu den Hauptwerken der Tschechoslowakischen Neuen Welle zählen. Er besetzte fast ausschließlich Laien- oder
Nachwuchsschaupieler und arbeitete bei allen Produktionen mit einem
festen Team von Mitarbeitern und Freunden zusammen, u. a. Miroslav Ondříček
(Kamera), Miroslav Hájek (Schnitt ) Jaroslav Papoušek und Ivan Passer
(Drehbuch und Assistenz). </i><br />
<br />
1964<span style="color: #999999;"> | </span>»Černý Petr« (»Der schwarze Peter«) <br />
<br />
Für Petr (Ladislav Jakim), 17 Jahre alt, beginnt das Berufsleben in einem Lebensmittelgeschäft. Seine erste Aufgabe ist die Überwachung der hochgeschätzten, doch stets verdächtigen Kundschaft. Ein vermeintlicher Langfinger, den der Auszubildende durch die halbe Stadt verfolgt, erweist sich als guter Bekannter des Chefs, eine Diebin, die ihre Handtasche mit Bonbons füllt, läßt der Detektiv wider Willen gleichgültig laufen. Zuhause hält der rechthaberische Vater lange Vorträge über das Leben und wie es richtig zu leben sei, während die liebende Mutter mit passiv-repressiver Ausdauer die Forderung nach Gegenliebe erhebt. Forman zeigt die Welt, in die hineinzuwachsen jedermanns Bestimmung ist, als Bühne eines absurden Theaters, wo sich die Verunsicherung als Gewißheit tarnt und jede Hinwendung zum Vorwurf wird. Aber auch die Wirklichkeit der Jugendlichen – neben dem Protagonisten richtet Miloš Forman seinen Blick insbesondere auf Petrs Flamme Pavla sowie auf die beiden desorientiert-präpotenten Mauerlehrlinge Cenda und Zdenek – erscheint nicht als Himmel auf Erden, sondern als Sphäre der Verklemmung und der Aufschneiderei, der Unübersichtlichkeit und des (Selbst-)Zweifels. Ob im Schwimmbad oder auf der Sommerwiese, ob auf dem Tanzfest oder in der Wohnzimmergruft, überall zeigt Formans skizzenhafter Realismus – mit bissigem Witz und ironischer Anteilnahme –, wie schwer es fällt, sich nicht den schwarzen Peter zuschieben zu lassen. <br />
<br />
1965<span style="color: #999999;"> | </span>»Lásky jedné plavovlásky« (»Die Liebe einer Blondine«) <br />
<br />
Die 18jährige Andula (Hana Brejchová) arbeitet in einer Schuhfabrik irgendwo in der langweiligen tschechischen Provinz. Sie geht mit Tonda, der ihr einen Ring geschenkt hat, flirtet mit einem Förster, der ihr vom abwechslungsreichen Paarungsverhalten der Tiere erzählt, landet nach einem Tanzvergnügen mit notgeilen mittelalten Reservisten im Bett des aus Prag angereisten Pianisten Milda, der ihr nach dem Schäferstündchen erklärt, sie sei wie eine Gitarre, aber nicht so weich geschwungen wie eine echte, sondern so kantig wie eine von Picasso gemalte. Ob es sich dabei um ein Kompliment handelt, bleibt offen. Forman komponiert aus sensibel beobachteten Alltagsmomenten das pointillistische Portrait einer ebenso sehnsüchtigen wie launenhaften jungen Frau sowie das Bild einer Gesellschaft, in der die Sehnsüchte und Launen einer jungen Frau keinen Platz haben. Als Andula, von einer glücklichen Zukunft in der großen Stadt träumend, ihrem One-Night-Lover nachfährt, erlebt sie in Mildas Familie Gleichgültigkeit, Befremden, Zurückweisung. Ihre Illusionen läßt sie sich gleichwohl nicht nehmen: Ein wunderschöner Ausflug sei es gewesen, berichtet Andula ihrer besten Freundin nach der Rückkehr in die Fabrik, die Eltern des Geliebten hätten sich als reizend erwiesen, und von nun an werde sie wohl häufiger nach Prag reisen. <br />
<br />
1967<span style="color: #999999;"> | </span>»Hoří, má panenko« (»Der Feuerwehrball) <br />
<br />
Ein glanzvoller Abend soll es werden, mit Mißwahl und Tombola und Auszeichung des verdienten ehemaligen Hauptmanns. Die Feuerwehr gibt ein Fest für das ganze Städtchen, und alles geht schief. Die zur Schönheitskonkurrenz ausgewählten (man könnte auch sagen: abkommandierten) jungen Frauen flüchten von der Bühne auf die Damentoilette, die Gewinne der Geschenkverlosung (unter anderem eine Torte, eine Flasche Cognac, eine Preßwurst) werden samt und sonders gestohlen, der greise Ehrengast (von dem alle außer ihm selbst wissen, daß er tödlich erkrankt ist) sieht sich über einen in der Nachbarschaft ausbrechenden Hausbrand schlichtweg vergessen – und nicht einmal ihrer eigentlichen Aufgabe zeigen sich die Feuerwehrleute gewachsen: angesichts der lodernden Flammen streiten sie vor allem darüber, ober der alte Mann, dessen Hof abbrennt, dem unaufhaltsamen Zerstörungswerk des Feuers zusehen sollte oder besser nicht. In ihren schmucken Uniformen, mit ihrem selbstgefälligen Befehlston, im stolzen Bewußtsein ihrer führenden Rolle erweisen sich die Angehörigen der Organisation als Musterbilder von Inkompetenz, Betriebsblindheit, Wichtigtuerei. Die Frage, ob Forman mit seiner kaleidoskopischen (vorzüglich besetzten) Typenkomödie lediglich allzumenschliche Schwächen karikieren will, oder er ob er die parabolische Spiegelung real-existierender Herrschafts- und Lebensverhältnisse im Sinn hat, mag der Betrachter getreu seines Klassenstandpunkts beantworten.<br />
<br />
<i>Während der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 hielt sich Forman in
New York auf und entschloß sich, nicht in die Tschechoslowakei (wo sein
letzter Film inzwischen »für immer« verboten worden war)
zurückzukehren. Er konnte – nach gewissen Startschwierigkeiten – seine
Karriere in den USA erfolgreich fortsetzen. Miloš Forman starb 2018 in
Connecticut. </i>Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-15392844375584659612019-07-08T12:12:00.000+02:002019-07-08T12:36:37.738+02:00Alles Atze<i>Artur Brauner 1918 / 2019 </i><br />
<br />
Fünf Lieblingsproduktionen: <br />
<br />
• Bombenstimmung: »<a href="https://kinotagebuch.blogspot.com/2014/06/epilog-helmut-kautner-1950.html" target="_blank">Epilog – Das Geheimnis der Orplid</a>« (Helmut Käutner, 1950) <br />
<br />
• Blüten im Schutt: »<a href="https://kinotagebuch.blogspot.com/2011/10/die-spur-fuhrt-nach-berlin.html" target="_blank">Die Spur führt nach Berlin</a>« (Franz Cap, 1952) <br />
<br />
• Ende einer Bande: »<a href="https://kinotagebuch.blogspot.com/2012/04/am-tag-als-der-regen-kam.html" target="_blank">Am Tag, als der Regen kam</a>« (Gerd Oswald, 1959) <br />
<br />
• Menschen im Hotel: <a href="https://kinotagebuch.blogspot.com/2011/10/die-1000-augen-des-dr-mabuse.html" target="_blank">»Die 1000 Augen des Dr. Mabuse«</a> (Fritz Lang, 1960) <br />
<br />
• Gepäck des Grauens: »<a href="https://kinotagebuch.blogspot.com/2012/12/der-todesracher-von-soho.html" target="_blank">Der Todesrächer von Soho</a>« (Jess Franco, 1972) Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-50975767624673495352019-06-26T19:37:00.000+02:002019-06-28T23:50:32.528+02:002019 1/2<i>Aktuelle Filme im ersten Halbjahr <br /><br />Januar </i><br />
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<b>Shoplifters</b> von Hirokazu Koreeda (2018) : Was schafft familiäre Bindung: dasselbe Blut in den Adern oder ein liebevoller Umgang und der gemeinschaftliche Verzehr von Nudelsuppe (aus Plastikbechern, wenn es sein muß)? Koreeda verhandelt das Thema erzählerisch auf ermüdend unspektakuläre Weise; zudem verzichtet sein bis zur Tonlosigkeit stilles Sozialdrama weitgehend auf visuelle Raffinesse. <br />
<br />
<b>Spider-Man: Into the Spider-Verse</b> von Bob Persichetti & Peter Ramsey & Rodney Rothman (2018) : »Too much of a good thing can be wonderful!« wußte schon Mae West. Die Macher des Films haben sich das Motto der Diva entschlossen zu eigen gemacht – von einigen offenbar unvermeidlichen (Vater-Sohn-)Gefühligkeiten abgesehen, bietet ihr diversitär-ironisches Spider-Verse teilchenbeschleunigte Kurzweil und eine ingeniös-psychedelische Verschmelzung von Print- und Animationsästhetik. <br />
<br />
<b>Der Junge muß an die frische Luft</b> von Caroline Link (2018) : Tragikomischer Familienroman, atmosphärisch dichtes Sittenbild der alten Bundesrepublik, Geschichte einer helldunklen Kindheit. Link gestaltet ihre Adaption der Erinnerungen von Hape Kerkeling als berührende Reise durch Außen- und Innenwelten, in denen Schlagerglück und Depressionen, Eierlikör und Karneval, Zusammenhalt und Tod gleichermaßen ihren Platz haben: »Das Leben muß ja irgendwie weitergehen.« <br />
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<b>The Favourite</b> von Yorgis Lanthimos (2018) : »Let’s shoot something!« Kabale und Liebe am Hof der ersten britischen Monarchin. Lanthimos’ parabolische Weitwinkel-Groteske der Macht(losigkeit) leuchtet, bei aller dekorativ-amüsanten Bizarrerie, tief in die Abgründe geschundener Seelen, die, ob Herrscher oder Beherrschte, ob handelnd oder behandelt, zu erbärmlichen Sklaven ihrer (politischen, sozialen, erotischen) Rolle werden. <br />
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<i>Februar </i><br />
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<b>The Mule</b> von Clint Eastwood (2018) : Ein alter weißer Mann zeigt hitzigen Latinos, wie man zum erfolgreichen Drogenkurier wird: indem man sich an die Verkehrsregeln hält, mal einen Umweg zum besten Pulled-Pork-Sandwich der Welt macht oder einer netten N-Wort-Familie beim Reifenwechsel hilft. Quasi im Vorbeifahren gelingt dem greisen Helden natürlich auch noch die Versöhnung mit der entfremdeten Familie – wohl nur einem liebenswerten Fossil wie Eastwood ist ein solcher Quatsch zu verzeihen. <br />
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<b>Brecht</b> von Heinrich Breloer (2019) : Keine Spur von V-Effekt: Breloer setzt auf kreuzbrav-illusionistische Nacherzählung der B.B.-Biographie – zuerst Jugend und Durchbruch, dann Alter und Denkmalwerdung. Wird Brechts künstlerische Persönlichkeit, vor allem in den dargestellten Probensituationen, dabei noch einigermaßen greifbar, bleiben die zahlreichen Frauenfiguren das, was wohl auch der Dichter am liebsten in ihnen sah: Trabanten, die ums Zentralgestirn kreisen. <br />
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<b>Roma</b> von Alfonso Cuarón (2018) : Erinnerungen an das Leben in einem gutbürgerlichen Haushalt in Mexico-City zu Beginn der 1970er Jahre. Während draußen vor der Tür die Gesellschaft in blutigen Aufruhr gerät, bröckelt drinnen das heimische Glück: der Vater verläßt Frau und Kinder, das schwangere Hausmädchen bekommt vom Lover den Laufpaß. Cuarón entwickelt die sozialen und privaten Dramen ohne Aufgeregtheit, reiht präzise choreographierte, visuell hochstilisierte Szenen des Alltags und der Sitten, betrachtet die Spiegelung eines Flugzeugs im hin- und herschwappenden Putzwasser mit derselben beiläufigen Teilnahme wie die Hetzjagd auf Menschen in den Straßen der Stadt. <br />
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<b>Der Goldene Handschuh</b> von Fatih Akin (2019) : »Es geht eine Träne auf Reisen.« Drastik als ästhetisches Programm – daß Akin einen Serienmörder zuerst und vor allem als Serienmörder zeigt, daß er auch bei der x-ten Bluttat nicht wegschaut, sondern hinsieht, daß es ihm dabei weniger um Kriminalpsychologie oder Gesellschaftskritik zu tun ist, sondern vielmehr um die Gestaltung einer todtraurig-monströsen BRD-Noir-Horror-Schlager-Show, mag man als Voyeurismus oder Sozialpornographie abtun. Man kann es aber auch künstlerische Konsequenz nennen: »Die Märchen wollen nicht mehr Märchen sein.«<br />
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<i>März </i><br />
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<b>Vice</b> von Adam McKay (2018) : Nicht nur in Wyoming, auch mancherorts in Hollywood kennt man den Unterschied zwischen richtig und falsch. In diesem Sinne identifiziert McKay Ex-Vizepräsident Dick Cheney als Fürsten der politischen Finsternis, der für ungefähr jede Schweinerei der jüngeren US-Geschichte verantwortlich zeichnet; vor lauter beifallheischender satirischer Schenkelklopferei wird das Objekt seiner Kritik freilich zum Knuddel-Buhmann nachträglicher (und dementsprechend ziemlich nutzloser) liberaler Wohlfühlpropaganda (mit zugegebenermaßen solidem Unterhaltungswert). <br />
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<b>The Sisters Brothers</b> von Jacques Audiard (2018) : In diesem schwarzironischen Post-Western schickt Audiard seine Helden (?) nicht nur auf einen abenteuerlichen Trip durch vorzivilisatorische Gefilde, sondern vor allem auf eine innere Reise durch die widersprüchlichen Landschaften ihrer Schwächen (Habgier, Gleichgültigkeit, Brutalität) und Stärken (Fantasie, Ausdauer, Mitleid), um sie den Hort des Glücks nicht an einem utopischen, sondern an einem altbekannten Ort entdecken zu lassen (Wie es bei Novalis heißt: »Wo gehn wir denn hin?« – »Immer nach Hause.«) <br />
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<b>Asche ist reines Weiß</b> von Jia Zhangke (2018) : China zwischen Jahrtausendwende und Gegenwart: Zwei Jahrzehnte drastischer wirtschaftlicher, sozialer (und topographischer) Veränderungen liefern den Hintergrund für Jias elegisch-elliptisches Unterweltmelodram, das seine Protagonisten – einen ziemlich glücklosen Provinzmafioso und eine ziemlich willensstarke Gangsterbraut – durch Land und Zeit spült, ohne den Antriebskräften des gesellschaftlichen Umbruchs besondere Aufmerksamkeit zu schenken. <br />
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<b>M – Eine Stadt sucht einen Mörder</b> von David Schalko (2019) : Ein Kindermörder versetzt Wien in Angst und Schrecken, die Polizei tappt im Dunkeln (bzw. im Schnee), das Recht sucht sich seinen Weg. Schalkos figurenreiches Update des Fritz-Lang-Klassikers will alles sein –Soziogramm und Zeitstück, Kunstmärchen und Thriller, Drama und Groteske –, richtet das Augenmerk dabei, anders als das Original, nicht auf die Funktionsweise eines städtischen Organismus, sondern (bisweilen recht oberlehrerhaft) auf das Zusammenspiel einer unheiligen Dreifaltigkeit aus Politik, Medien und gesundem Volksempfinden. In der Summe originelles Entertainment, das Langs künstlerischer Meisterschaft freilich um Längen hinterhinkt. <br />
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<b>Us</b> von Jordan Peele (2019) : »Ich bin, was du vergessen hast«, sang einst Ingrid Caven; Peele läßt eine ganze Untergrundarmee von Vergessenen aufmarschieren, um zunächst mit der guten alten (schwarzromantischen) Angst des Menschen vor seinem Doppelgänger (als Symbol des Verdrängten und des drohenden Identitätsverlustes) zu spielen und sodann das blutige Strafgericht (Jeremia 11,11) an einer Gesellschaft zu exekutieren, deren Mitglieder auf Kosten anderer (ihrer entwürdigten Ebenbilder ≈ ihrer selbst) leben: »Who are you people?« – »We’re Americans.« Horror mit Botschaft. <br />
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<i>April </i><br />
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<b>Dumbo</b> von Tim Burton (2019) : Ein Film wie ein Elefant mit übergroßen Ohren, der, anders als sein Protagonist, zu keinem Zeitpunkt vom Boden abhebt. Burton irrt durch ein Drehbuchgestrüpp aus Mutterkult und Zirkuskitsch, Tierethik und Familienschnulz, wobei er eben jenen ziel- und lustlosen Vergnügungsterror betreibt, den er – in Gestalt eines absurd diabolischen Unterhaltungsmoguls – anzuprangern vorgibt. <br />
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<b>Welcome to Marwen</b> von Robert Zemeckis (2018) : Um das Trauma einer fast tödlichen Prügelattacke zu verarbeiten, läßt Mark Hogancamp die Puppen tanzen: In (s)einer phantastisch-therapeutischen Kunstwelt wird der Überlebende zum US-Offizier, der im Belgien des Zweiten Weltkriegs, sekundiert von einem Trupp heldinnenhafter Damen, gegen schier unverwüstliche Hakenkreuzträger zu Felde zieht. Zemeckis inszeniert das Psychodrama eines versehrten Mannes als bizarr-schlüssige Mischung aus intimer Seelenstudie und knallig animierter Naziploitation. <br />
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<i>Mai </i><br />
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<b>La dernière folie de Claire Darling</b> von Julie Bertuccelli (2018) : Deneuve als leicht tüdelige alte Dame, die, von einer plötzlichen Todesahnung ergriffen, ihren großbürgerlichen Haushalt verramscht. Hinter den dekorativen Kulissen spukt ein (eher banales) Familiengeheimnis, dem Bertuccelli, auch wenn Vergangenheit und Gegenwart erzählerisch stellenweise sehr elegant ineinanderfließen und der große Ausverkauf in einer (an Antonioni erinnernden) Explosion der Dingwelt kulminiert, kaum emotionalen Suspense abringen kann. <br />
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<b>Das Ende der Wahrheit</b> von Philipp Leinemann (2019) : Leinemanns Pullach-Ausgabe eines Internal-Affairs-Geheimdienstthrillers versammelt zwar ein ansehnliches Ensemble (Fehling, Michelsen, Prahl, Zehrfeld, Zirner), aber leider auch alle Langweiligkeiten des Genres: schablonenhafte Charaktere, öde Lagebesprechungen, stereotype Intrigen, krokodilstränenselige Gewissensprüfungen. Das Ende dieser Wahrheit liegt im Schema F begraben. <br />
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<b>Greta</b> von Neil Jordan (2018) : Viel Bekanntes spukt durch diesen trashig-eleganten New Yorker Stalker-Thriller: »The Collector« und »Fatal Attraction«, Märchenhexenwesen und Hagsploitation. Jordan tut gut daran, das (psychotische Störungs-)Feld ohne Wenn und Aber der unfehlbaren Isabelle Huppert zu überlassen, die mit selbstironischem Vergnügen die liebesträumerische (und tödlich durchgeknallte) Titelheldin verkörpert. <br />
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<i>Juni </i><br />
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<b>Rocketman</b> von Dexter Fletcher (2019) : Zwar hebt auch Fletcher das narrative Reglement des Biopics nichts aus den Angeln, doch immerhin befüllt er seine Musical-Adaption der Vita von Elton John mit reichlich Camp und Schmaltz (und Sex-Appeal), womit er seinem Werk streckenweise jenen vulgärbarocken Drive verleiht, den es seit Ken Russells Künstlerbiographien im Kino ansonsten kaum mehr zu erleben gibt. <br />
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<b>Doubles vies</b> von Olivier Assayas (2018) : »The Martians have notebooks in their little hand / Because they’re strangers in this land.« Ist das Leben ein Roman? Ist Kunst eine Fortsetzung der Realität mit anderen Mitteln? Ist die Digitalisierung der folgerichtige Endpunkt menschlicher Entwicklung? Am Beispiel zweier intellektueller Pariser Paare –Verleger und Schauspielerin, Schriftsteller und Politberaterin – dekliniert Assayas diese (und andere) Fragestellungen wortgewandt-vergnüglich durch, ohne daß er vorgäbe, mit Antworten dienen zu können. <br />
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<b>The Dead Don’t Die</b> von Jim Jarmusch (2019) : »This is definitely going to end badly«, ahnt Officer Ronald Peterson schon zu Beginn der (ebenso seltsamen wie menschheitsgeschichtlich gesehen seltsam folgerichtigen) Ereignisse: die Toten steigen aus ihren Gräbern, und, gleich den Lebenden, wollen sie mehr von allem. Jarmusch bewahrheitet in seiner gemächlichen Genre-Variation das ungute Gefühl des defätistischen Polizisten mit gewohnter Deadpan-Attitüde: konsequent dezimiert er seinen All-Star-Cast und läßt (unser aller kleine Stadt) Centerville den Siegeszug des kannibalistischen Kapitalismus erleben. Anders gesagt: »What a fucking world.« <br />
<b><br />Men in Black: International </b>von F. Gary Gray (2019) : Tritt ein Genre (oder »Franchise«) in die Phase der Selbstbezüglichkeit, schlägt die Stunde der inneren Angelegenheiten. MIB macht da keine Ausnahme und präsentiert im vierten Teil des klotzigen Sci-Fi-Agenten-Action-Spektakels einen internen Schurken, der sich passenderweise mit einer Art von kosmischem Krebsgeschwür assoziiert. Die vom Titel verkündete Internationalität bezieht sich vermutlich auf das wahllose Location-Hopping in schlechtester Bond-Tradition. <br /><br /><b>O Beautiful Night</b> von Xaver Böhm (2019) : Die nächtliche Stadt als Jenseits im Diesseits, als transzendentes Licht- und Schattenspiel: ein hypochondrischer Jungmann zieht (eher ungewollt) mit dem Tod (in diesem Fall ein osteuropäischer Schluri) um die Häuser und findet die Liebe (in Gestalt einer philosophisch interessierten Peepshow-Tänzerin). Wie alle guten Trips gibt Böhms makaber-farbstarkes Neon-Nocturno weniger auf konventionelle Handlung denn auf ephemere Eindrücke, Emotionen, Erleuchtungen. Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-58320215326357069942019-04-19T20:24:00.000+02:002019-04-20T00:13:50.405+02:00Schwarz sehen (6)<i>Zwei italienische Noir-Variationen </i><br />
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1943<span style="color: #cccccc;"> | </span>»Ossessione« (»Ossessione – Von Liebe besessen«) von Luchino Visconti <br />
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Unter den Titeln der Ausblick durch die geteilte Frontscheibe eines Lastwagens: vorne die staubige Straße, links der breite Fluß, rechts das platte Land, über allem der nackte Himmel – eine eintönige Gegend, wie geschaffen für ein mörderisches Drama. Der Lastwagen hält an einer Trattoria mit Zapfstelle. Ein Vagabund steigt von der Ladefläche, argwöhnisch beäugt vom Wirt, einem brummigen Dickwanst. In der Küche trifft der Ankömmling auf die junge Gattin des Besitzers, die sich singend die Nägel lackiert, und schon ihr erster Blickwechsel ist ein gegenseitiges Verschlingen, Ausdruck einer Gier, die kommendes Unheil erahnen läßt. Luchino Visconti verlegt für seinen Debütfilm die Handlung von James M. Cains schwarzem Kriminalroman »The Postman Always Rings Twice« aus dem ländlichen Kalifornien der Depressionszeit in die Tristesse der oberitalienischen Poebene. Prekäre soziale Lage und personelle Konstellation – der attraktiv-willensschwache Drifter (Gino: Massimo Girotti), die frustriert-materialistische Frau (Giovanna: Clara Calamai), der begütert-ahnungslose Alte (Giuseppe: Juan da Landa) – gleichen einander, auch folgt der fatale Ablauf der Geschehnisse – leidenschaftliche Affäre, halbherziger Fluchtversuch, berechnender Mord – weitgehend der Vorlage; doch immer wieder bereichern Visconti und seine Koautoren den Plot um präzise Milieustudien – ein Tanzvergnügen im Gasthaus, das Getriebe eines Marktplatzes, ein volkstümlicher Gesangswettbewerb – und lassen eine Figur auftreten, die einen Ausweg aus dem Teufelskreis von Verlangen, Abhängigkeit, Enttäuschung aufzeigt: der »Spanier«, ein Straßenkünstler, der wie Gino am Rande der Gesellschaft lebt, bietet ein Beispiel für Uneigennützigkeit, Solidarität, Kameradschaft, ein Beispiel das allerdings im konkreten Fall den tödlichen Lauf der Dinge nicht aufhalten kann, sondern (günstigenfalls) Hoffnung auf eine bessere Zukunft macht. <br />
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1950<span style="color: #cccccc;"> | </span>»Cronaca di un amore« (»Chronik einer Liebe«) von Michelangelo Antonioni <br />
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Nein, es sei nicht die alte Geschichte, sagt der Chef einer Mailänder Auskunftei zu dem Mitarbeiter, den er auf die Spur einer attraktiven jungen Frau setzt, deren vermögender Gatte, nach Auffinden einiger alter Fotos, etwas über das Vorleben jener Paola erfahren möchte, die er sieben Jahre zuvor, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, Hals über Kopf geheiratet hat. Mit finsterer Ironie nutzt (und bricht) Michelangelo Antonioni im Folgenden visuelle und narrative Ingredienzen des Film noir, um das von der detektivischen Recherche (die auch nach Ferrara, die Heimatstadt des Regisseurs, führt) in Gang gesetzte Geschehen zu schildern, das eine lange erloschene Liebe hitzig wiederaufflammen läßt und im Tod des wißbegierigen Ehemannes gipfelt. In der Nachfolge Viscontis variiert Antonioni den Erzählkern von Cains Thriller »The Postman Always Rings Twice«, indem er gutbürgerliche Kreise zum Schauplatz der Handlung macht – in langen, sorgfältig arrangierten Einstellungen erzählt er von den Schatten der Vergangenheit und einem Dreieck der Leidenschaft, von Eifersucht und Argwohn, Überdruß und Verachtung, spricht aber auch (und vor allem) von moralischer und emotionaler Indifferenz der Nachkriegszeit, von Eigensucht und Desillusion des beginnenden italienischen Wirtschaftswunders, zieht Parallelen zwischen winterlichen Straßen und verlassenen Plätze, die den inneren Zustand der Protagonisten spiegeln, und der leeren Welt der »weißen Telefone«, ihren teuren Roben, schnellen Autos, luxuriösen Wohnungen, portraitiert mit Lucia Bosè und Massimo Girotti (der eine vergleichbare Rolle zuvor »Ossessione« spielte) schon in seinem ersten Spielfilm ein Paar, das der Krankheit der Gefühle erliegt. Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-75909713702584481902019-02-02T08:54:00.000+01:002019-02-02T14:09:39.865+01:00Schwarz sehen (5)<i>Zwei Verfilmungen eines Romans von Raymond Chandler </i><br />
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1944<span style="color: #999999;"> | </span>»Murder, My Sweet« (»Mord, mein Liebling«) von Edward Dmytryk <br />
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»I’m afraid I don’t like your manner.« – »Yeah, I’ve had complaints about it, but it keeps getting worse.« Ein Mann mit bandagierten Augen, umgeben von ungemütlichen, huttragenden Gestalten in einem zellenartigen, dunklen Raum: Philip Marlowe (Dick Powell), Privatdetektiv in Los Angeles, hat alle Mühe, seinen polizeilichen Vernehmern die Hintergründe der fatalen Affäre, in die er verwickelt ist, plausibel zu machen ... Zuerst war da ›Moose‹ Malloy, ein hünenhafter Exknacki, der Marlowe anheuerte, um seine verschollene ehemalige Geliebte Vilma Valento zu finden, dann kam Lindsay Marriott ins Spiel, ein lackierter Affe, der das gestohlene Jadecollier einer Gesellschaftsdame zurückkaufen sollte und Marlowe als Begleiter für die nächtliche Übergabe engagierte. Es gibt einen Toten, zwielichtige Herren und versoffene Witwen, höhere Töchter und süchtige Drogenärzte mischen sich ein. »I don’t know which side anybody’s on. I don’t even know who’s playing today.« Edward Dmytryk und sein Autor John Paxton lassen den Protagonisten mehr oder weniger blind durch die tiefen Schatten und giftigen Nebel des von Chandler in seinem zweiten Marlowe-Roman »Farewell, My Lovely« angelegten Großstadtlabyrinths trudeln, bedienen sich wirkungsvoll noirischer Gestaltungselemente wie Rückblenden und Off-Kommentare, scharfer Hell-Dunkel-Kontraste und schräger Perspektiven – freilich ohne sich mit der frustrierenden Komplexität und dem sozialkritischen Unterton der Vorlage messen zu können, zumal ein gemütvolles happy ending Chandlers gallige Lakonie in romantisches Wohlgefallen auflöst. <br />
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1975<span style="color: #999999;"> | </span>»Farewell, My Lovely« (»Fahr zur Hölle, Liebling«) von Dick Richards <br />
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»What a world.« Er bräuchte einen Drink, er bräuchte eine Lebensversicherung, er bräuchte Urlaub ... und alles, was er hat, sind ein Mantel, ein Hut und eine Knarre. Dick Richards (zu Ruhm gekommen als Fotograf und Werbefilmer) nutzt Chandlers unerhört verwickelte Geschichte des (doppelten) Abschieds von einem Leben und von einer Liebe als Ausgangsmaterial für eine melancholisch-süffisante (und ziemlich stylishe) Retro-Noir-Etüde, deren (alp-)traumhafte Stimmung sich vor allem einem sinnlich-coolen Jazz-Score (David Shire), den dunkel-nostalgischen Technicolor-Bildern (John A. Alonzo) und ihrem Hauptdarsteller verdankt: Robert Mitchum, legendärer Star schwarzer Kino-Klassiker wie »Out of the Past«, »Angel Face« oder »The Night of the Hunter«, wird in der Rolle des nicht minder legendären Hardboiled-Detektivs Philip Marlowe zum leibhaftigen Wiedergänger einer fernen Epoche, dessen Erscheinen die hochpolierte Pulpstory um eine verschwundene Perlenkette und eine verschwundene Frau in die Vision einer verschwundenen Welt verwandelt, die sich bei aller nostalgischen Verklärung als genau so korrupt und desolat erweist wie die Ära von Vietnam und Watergate. So wird Richards’ Adaption – trotz der wie in Dmytryks 1944er-Fassung vorgenommenen Simplifizierung der Vorlage – zu einer Art filmischem Doppelspiegel, der Stimmungen und Mentalitäten von Vergangenheit und Gegenwart zu einem irisierenden Bild zusammenfließen läßt. »I wished it was part of my nightmare, but it wasn’t.« Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-8422490544184586195.post-89071725782510119322018-12-30T12:51:00.000+01:002019-06-26T19:39:26.763+02:002018 2/2<i>Aktuelle Filme im zweiten Halbjahr <br /><br />Juli </i><br />
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<b>On Chesil Beach</b> von Dominic Cooke (2017) : Liebe 1962 – Florence und Edward, sie ätherisch-verkrampft, er rustikal-empfindlich, stolpern in die Ehe hinein und nach einer katastrophal verlaufenden Hochzeitsnacht wieder hinaus. Die einigermaßen disparaten (und jeweils auf ihre Art problematischen) Biographien des jungen Paares werden in betulichen Rückblenden beleuchtet, bevor die Erzählung einer tränenzieherischen Pointe entgegenschlingert. Das engagierte Spiel der beiden Hauptdarsteller macht Cookes kieselknirschende Mc-Ewan-Adaption leider auch nicht flott. <br />
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<b>Love, Cecil</b> von Lisa Immordino Vreeland (2017) : Eine konventionelle Dokumentation über einen unkonventionellen Mann. Cecil Beaton war Fotograf, Zeichner, Autor, Kostüm- und Bühnenbildner – ein ruheloser Dandy, ein »terrible homosexualist«, ein unverbesserlicher Ästhet, der den Schrecken des 20. Jahrhunderts ein künstliches Paradies der Schönheit entgegenträumte (und -lebte). Vreeland erzählt die Biographie des Mulitalents zwischen Bright Young Things und Swinging London, zwischen Vogue und Blitz, zwischen Buckingham Palace und Hollywood gewissenhaft nach, ohne sich dessen Leitspruch »Be daring, be different, be impractical!« gestalterisch zu Herzen zu nehmen. <br />
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<i>August </i><br />
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<b>Thoroughbreds</b> von Cory Finley (2017) : Ein lakonisch-böser, dabei erfreulich formbewußter Thriller über Indolenz und Berechnung, Nutzlosigkeit und Ehrgeiz. Mit seiner klinischen Studie der unheilvollen Beziehung zweier heranwachsender Frauen aus besseren Kreisen gibt Debütant Finley ein Beispiel für verzweifelt-coole Wohlstandsverwahrlosung, das auch gesellschaftskritischen Kapazitäten wie Lang, Chabrol oder Seidl durchaus zur filmischen Ehre gereichen würde. <br />
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<i>September </i><br />
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<b>Gundermann</b> von Andreas Dresen (2018) : Wer sind »wir«? Was wollen »sie«? Und wo bleibe »ich«? Dresens Biographie eines singenden Schaufelradbaggerfahrers, eines schaufelradbaggerfahrenden Sängers stellt diese Fragen mit ungetrübtem Blick auf gesellschaftliche Realitäten (in diesem Fall die des real-existierenden Sozialismus) und ohne den Anschein zu erwecken, abschließende Antworten geben zu können. Gundermann: einfühlsamer Dichter und fusselhaariger Sonderling, querulantischer Idealist und larmoyanter Verräter – ein faszinierender Antiheld wie er (nicht nur im roten) Buche steht: »Wir wissen, daß alles was kommt, auch wieder geht. / Warum tut es dann immer wieder und immer mehr weh?« <br />
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<b>Asphaltgorillas</b> von Detlev Buck (2018) : Bucks Versuch, neonglänzende Cinéma-du-Look-Synthetik und brutalistisches Referenzkino à la Tarantino zu einem romantisch-burlesken Berliner Gangsta-Buddy-Noir-Märchen zu verschmelzen, scheitert nicht am Abfeiern von Storyklischees, Figurenstereotypen oder Gefühlssimulationen, sondern an grenzdebilen Dialogen, linkischen Drehbuchkonstruktionen und heillos überforderten Darstellern – einzig der grandiose Georg Friedrich läßt etwas von den besseren Möglichkeiten dieses fehlgeschlagenen Vorhabens ahnen. <br />
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<b>Kulenkampffs Schuhe</b> von Regina Schilling (2018) : »... und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben.« Nachrede auf einen frühverstorbenen Vater (Jahrgang 1925) im Spiegel der bundesdeutschen Fernsehunterhaltung: Schilling setzt die TV-Legenden Hans-Joachim Kulenkampff, Peter Alexander, Hans Rosenthal ins Verhältnis zu Schuld, Traumatisierung, Sprachlosigkeit unter besonderer Berücksichtigung der eigenen Familiengeschichte in Nationalsozialismus, Nachkrieg, Wirtschaftswunder – persönlich-mediale Erinnerungsarbeit als bewegendes historisches Lehrstück. <br />
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<b>The Predator</b> von Shane Black (2018) : Die Frage, ob das titelgebende extraterrestrische Wesen einfach nur seinen Mordspaß sucht (und massenhaft findet), oder ob das Töten in dessen beutegreifenden Natur begründet liegt, bleibt letztlich unbeantwortet. Der stahlharte Profi Black stellt hingegen keinen Zweifelsfall dar: ihm hat die einfältige Action-Metzelei – unter ungebremstem Einsatz von Massakerhumor, Pathosimitat und enthusiastisch stampfender Klingt-fast-wie-aus-den-Eighties-Mucke – erkennbar Vergnügen bereitet. <br />
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<b>Searching</b> von Aneesh Chaganty (2018) : Indem er für sein missing-person mystery die Kinoleinwand mit der Oberfläche eines Computermonitors kurzschließt, schützt Chaganty formale Originalität vor, wenngleich er über altbekannte POV-Strategien und Split-screen-Effekte selten hinauskommt. Auch für die (Ver-)Formung unseres Lebens durch digitale Medien interessiert sich der Ex-Google-Laborant nur als Erzählantrieb, wohingegen sein kühler Blick auf (beiderseits) gestörte Eltern-Kind-Verhältnisse einen beklemmenden Thrill auszulösen vermag. <br />
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<i>Oktober</i> <br />
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<b>The Man Who Killed Don Quixote</b> von Terry Gilliam (2018) : Das Schicksal hat mehrfach und deutlich mit dem Zaunpfahl gewinkt – Gilliam ist unbeirrt gegen die widrigen Umstände geritten, um einen montrösen filmischen Trümmerhaufen aus Spanien-, Russen- und Künstler-Klischees, aus Schmierentheater, Fundusstaub und dramaturgischen Dysfunktionen aufzuschütten: Lost in La Mancha II. Wer will, mag in dieser ungefügen Donquichotterie das surreal-dekonstruktivistische Spiel mit einem Mythos erkennen. <br />
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<b>A Star Is Born</b> von Bradley Cooper (2018) : Aufstieg und Fall, Euphorie und Tristesse, Liebe und Tod: »It’s the same story told over and over, forever.« Cooper erzählt die uralte Geschichte vom angezählten Star und vom emporkommenden Talent in seiner ersten Regiearbeit ohne Scheu vor sentimentaler Zuspitzung, mit (auch in visueller Hinsicht) hoher Musikalität und viel Spielraum für Lady Gagas charismatische Präsenz – ein Melodrama im besten Sinne des Wortes. <br />
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<b>Todos lo saben</b> von Asghar Farhadi (2018) : Anfangs gleicht der Film einem Werbeclip für Spanienurlaub – Fiestastimmung wie weiland in Villarriba und Villabajo –, doch das Unheil schwebt schon dräuend über den Köpfen: Ein Entführungsfall bringt die unterdrückten Konflikte in einer einstmals bemittelten Sippschaft ans Licht. Leider geht Farhadi nicht wirklich ans familiär Eingemachte, und auch der Grundidee seines rührstückhaften Thrillerplots (Stichwort: Wissen und Nichtwissen) mangelt es ganz erheblich an Plausibilität. <br />
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<b>Place publique</b> von Agnès Jaoui (2018) : Seit einem Vierteljahrhundert kultivieren Jaoui und Bacri eine spezifische Form von einfühlsamem Sarkasmus, um Hochgefühle und Weltschmerzen der genießenden Klasse differenziert abzuschildern. Auch die jüngste Zusammenarbeit des (Ex-Ehe-)Paares, eine figurenreiche Studie über Öffentlichkeit und Intimität im allgemeinen Medienzirkus, bietet Kultursoziologie von beneidenswerter Nonchalance. <br />
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<i>November </i><br />
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<b>Bohemian Rhapsody</b> von Bryan Singer (2018) : Widersetzlichkeit und Erfolg, Ruhm und Dünkel, Absturz und Reue, Neugeburt und Verklärung – Singer gießt das Leben eines extravaganten Rockstars routiniert in tausendfach bewährte Biopic-Form; hätte er die Tiefen des Dramas abgründiger gestaltet, wären ihm Freddie Mercurys Höhenflüge vielleicht schillernder geraten. <br />
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<b>In My Room</b> von Ulrich Köhler (2018) : Ohne erkennbare ironische Brechung schraubt Köhler das große »Letzter-Mann-auf Erden«-Drama zur weitschweifigen Befindlichkeitsstudie (inklusive gelebtem Jungstraum von selbstgebastelter Autarkie) herunter. Sein Protagonist sieht sich nicht mit Zombies oder Aliens konfrontiert sondern mit Pferden, Ziegen, Hunden sowie der letzten Frau auf Erden nebst den dazugehörigen Problemen – wobei es dem Langweiler gelingt, auch in außergewöhnlichen Umständen ein Langweiler zu bleiben. <br />
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<b>Loro</b> von Paolo Sorrentino (2018) : Aus der Erkenntnis, daß die von Berlusconi und Konsorten geschaffene Bunga-Bunga-Welt im Grunde unerklärlich ist, zieht Sorrentino die einzig mögliche Konsequenz: er beschränkt sich auf reine Phänomenologie. Die hochgestylte Leere seines Werks entspricht der nihilistischen Vergnügungswut des (von Toni Servillo mit hermetischer Grandezza verkörperten) Cavaliere – die hierzulande gezeigte, um eine knappe Stunde gekürzte, internationale Fassung des Films wirkt allerdings lückenhaft und unausgewogen. <br />
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<b>Zimna wojna</b> von Paweł Pawlikowski (2018) : Melodramatisches Epochenbild und komplizierte Liebesgeschichte zwischen Anziehung und Abstoßung, Kunst und Politik, Ost und West: ein Pianist und eine Sängerin bald aufgehoben, bald verloren in den Klängen der europäischen Nachkriegszeit. Pawlikowski komponiert aus Volksliedern und Propagandakantaten, aus Jazz und Chansons, aus Filmmusik und Schlagern eine frostig-bewegende (und bestechend fotografierte) Sinfonie der Emotionen. <br />
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<b>Suspiria</b> von Luca Guadagnino (2018) : Guadagnino zelebriert den wohl abgedrehtesten Berlin-Horror seit Zulawskis »Possession«: eine Phantasmagorie von Teilung, Terror und Tanz, eine unheimlich deutsche Mischung aus überschnappendem Mutterkult, zuckendem Volkskörper und rituellem Bluterguß, einen frauengepowerten Siebzigerjahrealptraum, der spleenige Diven wie Caven, Soutendijk und Winkler zum orgiastischen Hexensabbat versammelt. <br />
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<i>Dezember </i><br />
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<b>Widows</b> von Steve McQueen (2018) : Thematisch-atmosphärisch-irgendwie-auch-sozialkritische Verquickung von Thriller und Melodram, Verbrechen und Politik, Trauer und Wut, Ghetto und Luxus – Spannungseffekte eines Heistmovies bleiben dabei weitgehend auf der Strecke. Zudem müssen McQueens taffe Heldinnen die Rollen ihrer toten Kerle fortspielen, womit nolens volens die Ansicht des von Robert Duvall verkörperten Seniorschurken bestätigt wird, daß am bösen Lauf der Welt eh nicht zu rütteln sei. <br />
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<b>Under the Silver Lake</b> von David Robert Mitchell (2018) : »Rub Dean’s head and wait under Newton.« Ein Film wie die Verfolgung eines Kojoten kreuz und quer durch Los Angeles: Mitchells bizarres Pop’n’Paranoia-Pasticcio erkundet, in der Tradition labyrinthischer Verschwörungsphantasien wie Pynchons »The Crying of Lot 49«, Roszaks »Flicker« oder Clowes’ »Like a Velvet Glove Cast in Iron«, Unter- Neben- und Überwelten, deren Geheimnisse, wie die der sogenannten Wirklichkeit, letzten Endes unergründlich bleiben. PS: »Keep quiet.« <br />
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<b>Plaire, aimer et courir vite</b> von Christophe Honoré (2018) : »One is the loneliest number that you’ll ever do.« Das Jahr 1993: Sie gefallen sich, sie verlieben sich, sie müssen sich beeilen – Jacques, Ende 30, Schriftsteller aus Paris, und Arthur, um die 20, Student aus Rennes, einer, der (an AIDS) sterben wird, und einer, der das Leben vor sich hat. Honoré, ein Meister des kitschfreien Gefühlskinos, erzählt, fröhlich, traurig, taktvoll, offenherzig, von erster und von letzter Liebe, von Aufbruch und Abschied, von Freude und Schmerz, vom Jetzt, das sich – allen Widrigkeiten zum Trotz – zwischen ein verlorenes Gestern und ein ungewisses Morgen schiebt. Sebastianhttp://www.blogger.com/profile/08226533560448016899noreply@blogger.com0