18. April 2012

Wege ins Verbrechen

DVD | »Derrick« von Herbert Reinecker (Folgen 1 bis 15 1974/1975)

»›Derrick‹ war immer schon da.« (Jörg Lau)

»Der Kommissar«, die erste Kriminalserie des deutschen Fernsehens mit fester Ermittlerfigur, läuft bereits fünf Jahre, als sich ihr alleiniger Autor Herbert Reinecker an die Konzeption eines weiteren Spannungsformats für das Zweite Deutsche Fernsehen macht. Im Gegensatz zu Kommissar Keller (Erik Ode) soll der Nachfolger keine klassischen Whodunits lösen – der Entwurf für die neue Serie sieht eine offene Täterführung vor: Die Tat selbst, ihre Hintergründe und ihre Auslöser, mithin der Täter, sein Antrieb und seine psychologische Disposition, stehen im Mittelpunkt des erzählerischen Interesses: »Wie eigentlich wird der Mensch zum Mörder?« Der ermittelnde Beamte fungiert in erster Linie als Indikator, der die Beweggründe der kriminell Handelnden sichtbar werden läßt, der mit seinen Recherchen die »Wege ins Verbrechen« nachzeichnet. 15 Folgen lang arbeitet Reinecker nach diesem Prinzip, bis er seinen narrativen Leitgedanken wegen mangelnden Publikumszuspruchs modifizieren muß.

Oberinspektor Stephan Derrick ist ein Mann ohne besondere Kennzeichen, ohne sichtbare Gemütsbewegungen, fast ohne Privatleben; Horst Tappert verkörpert ihn mit einem Höchstmaß an gestischer und stimmlicher Beherrschung. Derricks/Tapperts zumeist völlig ausdrucksloses Gesicht wirkt wie eine fortwährende Bestätigung des Kuleschow-Effektes: Die wechselnden Emotionen der zentralen Figur lassen sich allein aus den verschiedenen Objekten seiner nüchternen Betrachtung ableiten. Derricks jüngerer Assistent, Inspektor Harry Klein (!), folgsam gespielt von Fritz Wepper, zeigt zwar gelegentlich so etwas wie menschliche Regungen, erfüllt aber kaum eine andere Funktion als die des echohaft antwortenden Ansprechpartners, bleibt dramaturgische Rückkopplung des Titel-»Helden«. Die berüchtigte, oft parodierte Redundanz des Reineckerschen Dialogs erweist sich an dieser Stelle als ein auf zwei Stimmen verteiltes Selbstgespräch, das den Gegenstand der Ermittlung, die (mehr oder weniger) komplexen Fragen von Schuld und Verantwortung (mehr oder weniger) nachdenklich umkreist.

Die erfolgreiche Herstellungsweise des »Kommissar« wird von Produzent Helmut Ringelmann kurzerhand auf »Derrick« übertragen: ein Autor, zahlreiche Regisseure (zehn verschiedene allein für die ersten 15 Folgen), prominente Darsteller in den Episodenrollen; die Arbeit eines Chefarchitekten (Wolf Englert) sowie zweier, einander abwechselnder Bildgestalter (Rolf Kästel und Manfred Ensinger) sorgen für kreative Kontinuität. Im Gegensatz zur Vorläuferserie, die (ungewöhnlich genug für die 1970er Jahre) bis zur letzten Folge in Schwarzweiß gedreht wird, erscheint »Derrick« in Farbe. Auf die sorgfältig komponierten, kontrastreichen Einstellungsfolgen des »Kommissar«, die eine formal hochklassige, expressive Sachlichkeit entwickeln, folgt die beweglich-suchende, gespannt-nervöse, häufig mit Zooms und schnellen Schwenks operierende Kamera von »Derrick«. Dieser dokumentarische Gestus, angewandt auf künstlich überhöhte, bisweilen fast surreal verzerrte Handlungsmilieus, führt – in den besten Momenten der Serie – zu einer Art von abstraktem Naturalismus, der die bundesdeutsche(n) Wirklichkeit(en) zugleich schöpferisch ausschlachtet und in Form greller Travestien enthüllt.

Bürgerliche Trauerspiele oder Furcht und Elend der Mittelschicht

Herbert Reinecker nannte Georges Simenons Pariser Kommissar Jules Maigret als Vorbild für seine Münchner Ermittler Herbert Keller und Stephan Derrick: Das Verstehen der Tat sowie das Ergründen von Motiven gehen stets vor kriminalistischer Routinearbeit. Während sich Keller praktisch ganz auf die verbale Umzingelung der Täter beschränkt, greift Derrick gelegentlich zum Schießeisen, doch auch seine Waffen sind in erster Linie das insistierende Gespräch, die psychologische Einfühlung: »Derrick findet die Wahrheit am Ende nicht deshalb heraus, weil er so verteufelt intelligent ist, sondern weil er Verständnis für seinen Gesprächspartner hat.« (Umberto Eco) Immer wieder aber verläßt Reinecker das Terrain simenonscher Lakonie zugunsten eines chabrolesken Sardonismus – denn ebenso wie der französische Regisseur richtet der deutsche Autor sein Augenmerk bevorzugt auf die Gier (nach Geld, nach Sex, nach Macht) des nur äußerlich gesitteten Bürgertums. Das Verbrechen bleibt bei Reinecker (fast) gänzlich privat; politisch oder gesellschaftlich motivierte Straftaten finden im (Parallel-)Universum von »Derrick« nicht statt. Die »revolutionäre Gewalt«, von der die Bundesrepublik in den 1970er Jahren erschüttert wurde, existiert in »Derrick« bestenfalls als ferner Widerhall, der sich in den Krisen dysfunkt­ionaler (und nicht selten unvollständiger) Familien oder im massiv gestörten Verhältnis der Generationen offenbart.

Derricks vornehmlicher Wirkungskreis ist die Mitte der Gesellschaft und damit, wenn man so will, das unmittelbare Umfeld des Fernsehzuschauers. Die Serie präsentiert diese Welt in ihrer ganzen Vielfalt: von Groß- und Besitz- über Kultur- und Bildungs- bis hin zum Spieß- und Kleinbürgertum. Selten sind die Ausflüge ins proletarische Milieu oder in die Sphäre der superreichen Oberschicht. Die Akteure werden hauptsächlich daheim, in ihren Häusern und Wohnungen, beobachtet und über die spezifische Ausgestaltung dieser Umgebungen beschrieben: »Derrick«-Settings – Orte einer, wie man erfahren muß, brüchigen Normalität – bilden einen umfassenden Katalog bürgerlicher Lebensstile zwischen polsterschwerer Behaglichkeit und farbenfrohem Avantgardismus, zwischen stumpfgeputzter Ordnung und aprilfrischer Repräsentation. Reineckers Aufmerksamkeit gilt den (instabilen) zwischen­menschlichen Beziehungen sowie den (mörderischen) Abgründen, die sich auf diesem weiten Feld unversehens öffnen können; noch wenn der Autor, was er selten tut, den Dunstkreis des Berufsverbrechertums auslotet, charakterisiert er das Milieu vor allem anhand familiärer Verhältnisse und privater Konstellationen.

Mord erscheint bei Reinecker nicht nur als Begleitumstand des bürgerlichen Lebens sondern auch als Domäne der Männer: In seinen ersten 15 Fällen stellt Oberinspektor Derrick ausschließlich männliche Täter, darunter ein Lehrer und ein Handwerker, ein Sangesbruder und ein Student, ein Pfandleiher und ein Gymnasiast. Nur selten haben diese Männer ihre Mordtaten sorgfältig geplant, sich gar Alibis beschafft oder etwaige Konsequenzen bedacht. Bei Reinecker geraten die Täter vielmehr en passant an »jene fließende Grenze, die Legalität und Illegalität trennt«, werden zumeist schockierend plötzlich mit ihrer Fähigkeit konfrontiert, einen anderen Menschen töten zu können. »Ein Mord, den jeder begeht« heißt ein Roman des Schriftstellers Heimito von Doderer. Diesen Titel könnte auch fast jede Folge von »Derrick« tragen.

15 Folgen

R Regie | D Darsteller (in allen Folgen: Horst Tappert und Fritz Wepper) | E Erstausstrahlung | +++ ausgezeichnet++ sehenswert  | + mäßig

Waldweg
R Dietrich Haugk D Wolfgang Kieling, Lina Carstens, Hilde Weissner, Herbert Bötticher E 20. Oktober 1974 | Herr Manger (Kieling), Lehrer an einer idyllisch im Forst gelegenen Haushaltsschule, wird vom ewig Weiblichen überwältigt. »17, 18, das ist ja das Alter, in dem sie am Aufregendsten sind«, weiß auch Kollege Dackmann (Bötticher), der seine Libido allerdings im Zaume zu halten versteht, sich auf das genußfrohe Betrachten der jeunes filles en fleurs beschränkt. Manger aber, vielleicht allzu streng erzogen von einer passiv-repressiven Mutter (Carstens), bei der er als Erwachsener immer noch wohnt, erlebt die – durchaus wirkungsbewußte – Lockerheit der Mädchen als hemmungslose Zurschaustellung, als Aufforderung zum Übergriff. So verwandelt er sich im dunklen Wald der Verlockung in einen Wolf, nicht in einen großen, bösen freilich, sondern in eine traurige, vom eigenen Jagdtrieb gehetzte Kreatur. | ++ 

Johanna
R Leopold Lindtberg D Lilli Palmer, Helmuth Lohner, Helga Anders E 3. November 1974 | Ein jüngerer Mann, eine ältere Frau. Er unbemittelt, sie wohlhabend. Das kann nicht gut gehen. Tut es auch nicht. Alfred Balke (Lohner) erdrosselt seine Gattin Martha (Palmer). Des Geldes wegen. Damit er mit seiner attraktiven Geliebten Roswitha (Anders) ein süßeres Leben genießen kann. Aber der Täter, schon immer unausgeglichen, schon immer ein Schwächling, gerät in nervliche Bedrängnis, als Johanna (Palmer), die Schwester der Ermordeten, auftaucht, um bei ihrem Schwager Wohnung zu nehmen: Gleich einer rächenden Wiedergängerin konfrontiert sie den Verbrecher mit seiner charakterlichen Minderwertigkeit und treibt ihn – der zu einer weiteren Gewalttat nicht fähig ist – unbeirrt an den Rand des seelischen Zusammenbruchs. | ++ 

Stiftungsfest
R Helmut Käutner D Siegfried Lowitz, Bruno Dietrich, Herbert Fleischmann, Andrea Rau E 1. Dezember 1974 | »Wo man singt, da laß dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.« Mag sein. Doch auch Sänger haben Triebe, die ihnen und anderen zum Verhängnis werden können: August Bark (Lowitz) beispielsweise, jovialer Vorsitzender eines Gesangsvereins, eine feuchtfröhlich schwitzende Seele von Mensch, hat nicht nur Gesang auf den Lippen sondern auch Gelüste. Irene (Rau), die aufreizende Freundin seines Sohnes Helmut (Dietrich), bekommt die stichflammenhaft hervorschießende Begierde des geilen Bocks tödlich zu spüren. August – bald beduselter Orpheus, bald spießbürgerlicher Dionysos, zuletzt nur ein kleinherziges Häufchen Elend – glaubt eine Nacht lang, seiner Verantwortung entfliehen zu können. Schließlich gibt keinen Beweis für seine (auch ihm selbst) unbegreifliche Tat. Aber das Bekenntnis drängt heraus – wie ein Lied, das gesungen werden will. | +++

Mitternachtsbus
R Theodor Grädler D Werner Kreindl, Hartmut Becker, Bruni Löbel, Rudolf Platte, Lambert Hamel E 12. Januar 1975 | Es war einmal in einem kleinen Ort am Rande der Stadt. Ein Mädchen ist schwanger. Ihr Freund (Becker) will weder sie noch das Kind. Er bietet ihr 3.000 Mark. Sie soll »es« wegmachen lassen. Sie weigert sich. Da macht er sie weg. Der Vater des unbeherrschten Schlappschwanzes, ein handfester Gastwirt (Kreindl), nimmt die Sache in die Hand: Er lenkt den Verdacht auf den herzensguten Dorftrottel Bruno (Hamel), dessen alkoholisch-gebrochener Vater (Platte) sich breitschlagen läßt, seinen geistesschwachen Sohn gegen Schnaps zu verkaufen. Mütter gibt es nicht in dieser ganz und gar freudlosen Fabel – sie sind wohl vor langer Zeit schon schreiend davongelaufen vor diesen ganz normalen Monstern, die bezahlen wollen, wenn sie lieben sollten, und töten, wenn man das Geld nicht nimmt. | +++

Tod am Bahngleis 
R Alfred Weidenmann D Peter Kuiper, Günter Strack, Mascha Gonska, Arthur Brauss E 9. Februar 1975 Entlang einer S-Bahnstrecke im Münchner Süden werden die Leichen erwürgter junger Frauen gefunden. Die Ermordeten liegen, wie aufgebahrt, immer ganz dicht am Gleiskörper, immer im rechten Winkel zu den Schienen; sie wurden nicht mißbraucht, lediglich ihre Blusen sind ein Stück weit geöffnet. Der Täter, ein einfältig-freundlicher Streckenarbeiter (Kuiper), von den Kollegen taktlos veralbert, von der Mutter grausam verachtet, hat seine weiblichen Opfern beinahe zärtlich vom Leben zum Tode befördert. Seine Fähigkeit zur Hingabe, seine Liebesbedürftigkeit, dauerhaft lächerlich gemacht oder zurückgewiesen, kippt um in Gewalt: Mord als Resultat einer männlichen Sanftmut, die ihren menschlichen Ausdruck nicht finden kann. | ++

Nur Aufregungen für Rohn
R
Wolfgang Becker D Thomas Fritsch, Helmut Käutner, Gustl Halenke, Thomas Astan E 9. März 1975 | Gelegenheit macht Diebe. Notwendigkeit macht Mörder. Eigentlich will der nette blonde Student Rohn (Fritsch) seinen Nachbarn, den netten grauhaarigen Geldboten Seibach (Käutner) lediglich berauben, doch als ihm der Alte wegen eines am Ort des Überfalls verlorenen Kugelschreibers auf die Schliche kommt und die Benachrichtigung der Polizei ankündet, bleibt dem bedrängten Delinquenten keine andere Möglichkeit, als zu töten, um die eigene Haut zu retten. »Was tun Sie mir an?« ist die panische Frage des hilflosen Täters an sein entschlossenes Opfer, das seinerseits gar nicht anders kann, als die Meuchelei sehenden Auges herauszufordern: ein Teufelskreis der Konsequenz. | ++ 

Madeira

R Theodor Grädler D Curd Jürgens, Susanne Uhlen, Elfriede Kuzmany, Inge Birkmann E 6. April 1975 | Jürgens als mörderischer Witwentröster: Ergreifend und jämmerlich, wie der reife Charmeur Bubach den einsamen weiblichen Herzen mit sonorer Stimme von der klimatisch bevorzugten Trauminsel im Atlantik vorschwärmt, woraufhin die betörten Damen stante pede ihre Konten auflösen. Fast scheint es so, als ginge es dem kultivierten Herrn gar nicht um den pekuniären Gewinn, der ihm wie selbstverständ­lich zufällt, fast scheint es so, als betreibe er ein psychologisches Experiment, um herauszufinden, ob es möglich wäre, Kaffeehausbekanntschaften kraft schöner Worte zur Aufgabe der Existenz zu bewegen. Eine eindringliche Studie der Sehnsucht – nach Nähe, nach Geld –, die – so oder so – keine Erfüllung findet. | +++

Zeichen der Gewalt
R
Theodor Grädler D Gaby Dohm, Joachim Bißmeier, Raimund Harmstorf, Sybil Danning, Jan Hendriks E 4. Mai 1975 | Indem sie seine Gattin mit dem Tode bedrohen, erpressen zwei Gauner den Rechtsanwalt Rieger (Bißmeier), seinem Klienten Hausmann (Harmstorf) eine Knarre in den Knast zu schmuggeln. Der Untersuchungshäftling schießt sich brutal frei und taucht ab. Der entehrte Jurist tötet sich selbst, woraufhin seine Witwe (Dohm) aktiv die Ermittlungen unterstützt, um den Schuldigen zu fassen – der sich als emotional Besessener erweist. Hausmann, Geschäftsführer einer Nachtbar, fiebert nach der Freiheit im Grunde nur, weil er seine sinnliche Frau (Danning) nicht entbehren kann, die auf der Bühne des Clubs allabendlich die Hüllen fallen läßt: Der gewalttätige Berserker, vor dem alle kuschen, ist Sklave seiner Triebe, die ihm letztlich zum Verhängnis gereichen. | ++

Paddenberg
R Franz Peter Wirth D Peter Pasetti, Anaid Iplicjan, Heinz Bennent, Ernst Jacobi E 1. Juni 1975 | Gespenster der Vergangenheit oder Tödliche Wiederbegegnung nach 30 Jahren: Der treuherzige Kunstmaler Hofer (Bennent) trifft auf den imposanten Unternehmer Paddenberg (Pasetti), der ihm unter dem Namen Goldinger in der Kriegsgefangenschaft zum bewunderten Freund geworden war. Der Erkannte legt – aus bestimmten Gründen – keinen Wert auf die Erneuerung der Bekanntschaft und schießt dem alten Kameraden ins Herz. Weit gefährlicher als die polizeiliche Ermittlung wird dem Verbrecher die kühle Witwe des Opfers (Iplicjan), die ihr Wissen um die Identität des Mörders, den sie als viriles Gegenbild ihres energielosen Mannes zu bewundern scheint, vermeintlich zu eigenem Vorteil nutzen will. Das psychologische Duell zweier Machtmenschen endet mit den kleinmütigen Tränen des Täters: Direktor Paddenberg zeigt Schwäche, womit er seinen Untergang besiegelt. | +++

Hoffmanns Höllenfahrt
R
Theodor Grädler D Klaus Löwitsch, Judy Winter, Pierre Franckh, Ingrid Steeger E 29. Juni 1975 | Eigentlich will »Onkel« Hoffmann (Löwitsch) die angetüterte Nachbarstochter Anneliese (Steeger) nur nach Hause fahren, dann aber wirft sich ihm das Früchtchen an den Hals. Er kann nicht anders, als die Situation auszunutzen. Sie will es doch auch! Oder doch nicht? Schon droht die Launenhafte, alles ihrem Vater zu erzählen. Da landet sie als Leiche auf dem Schrottplatz. Hoffmann, dessen Verspätung am Mordabend nicht unbemerkt bleibt, schwitzt nun vor Anspannung, während seine kleine Welt in Stücke fällt. Der Sohn will plötzlich nicht mehr mit ihm frühstücken, die Tochter verweigert den Gutenachtkuß, die Gattin (Winter) mag das Ehebett nicht mehr mit ihm teilen: Hat sich Hoffmann nicht immerschon von Frauen aus der Fassung bringen lassen? War er es nicht, der einst als erster Annelieses knospende Brüste bemerkte? »Es ist doch nichts bewiesen!« stammelt der Verdächtige – und läßt böse Ahnung zur Gewißheit werden. | ++

Pfandhaus
R Dietrich Haugk D Max Mairich, Doris Kunstmann, Klaus Maria Brandauer, Johanna von Koczian E 27. Juli 1975 | La femme et le pantin oder Wenn Frauen Männer zur Verzweiflung treiben: Der kleine, unattraktive Pfandhausbesitzer Gustl Karruska (Mairich) liebt das große, schöne Fräulein Mangold (Kunstmann), die zwar sein Geld und seine Villa zu schätzen weiß, ihre körperlichen Bedürfnisse aber anderswo befriedigt. Der Gehörnte greift in tiefem Schmerz zur Waffe, erledigt jedoch nicht den potenten Rivalen (Brandauer) sondern einen Unbeteiligten. Der feixend mit dem Leben davongekommene Kontrahent läßt den unglücklichen Mörder für seine erfolglose Tat bezahlen, indem er das Haus des reichen Mannes zum Territorium seiner nun ganz offen genossenen Lust macht. Die tragische Komödie der Erniedrigung findet ihren Höhepunkt in einem allseits würde­losen Pas de troi. PS: Derrick hat eine Freundin! Sie tut nichts zur Sache. | ++

Ein Koffer aus Salzburg
R
Alfred Weidenmann D Ralf Schermuly, Jacques Breuer, Max Eckard, Traugott Buhre, Friedrich Joloff E 24. August 1975 | Eine Putzfrau der Bundesbahn wird erschossen, nachdem sie den Salzburger Zug reinigte. Der flüchtige Täter trägt einen Metallkoffer bei sich, der offenbar Schmuggelware enthält. Psychologisches Einfühlungsvermögen ist bei der Ermittlung nicht unbedingt vonnöten, eher schon technisches Verständnis und analytische Kombinationsgabe. Eine gewisse visuelle Spannung bezieht der unpersönliche Fall aus dem Kontrast zwischen dem popmodernen Lebensumfeld der ausgekochten Pascher – Drogenkurier Scharwedder (Schermuly) residiert im knallfarbigen ›Schwabylon‹ – und der grauen Kleinbürgerlichkeit, in der die Hinterbliebenen des Opfers – ein schuld­beladen-betäubter Ehemann (Eckard) und ein impulsiv-penetranter Sohn (Breuer) – (nicht wirklich) zuhause sind. | +

Kamillas junger Freund
R
Alfred Vohrer D Luitgard Im, Gerd Böckmann, Karl Walter Diess, Siegfried Wischnewski, Harry Meyen E 21. September 1975 | Das finanzstarke Elend von vereinsamten Gattinnen wohlsituierter Herren nutzt der glatte Gigolo Kaub (Böckmann) nicht nur zur einfachen Bereicherung, er lauscht den mitteilungsbedürftigen Frauen auch intime häusliche Informationen ab, die seinen Komplizen zur Vorbereitung und Ausführung smart-brutaler (und einträglicher) Überfälle dienen. So fällt die emotionale Wurstigkeit der Ehemänner – des dickfelligen Schrotthändlers (Wischnewski), des frostigen Arztes (Meyen) – mit Wucht auf sie selbst zurück auf: Jeder zahlt für seine Schuld. Aber auch jene, die keine gefühlsmäßigen Verbindlichkeiten haben, werden gelegentlich zur Kasse gebeten, so wie die beherzte Hausangestellte, deren sinnloser Tod die Mordkommission auf den Plan ruft. | ++

Der Tag nach dem Mord
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Helmuth Ashley D Alexander Kerst, Oliver Grimm, Krista Keller, Anita Lochner E 19. Oktober 1975 | Gymnasiast Horst (Grimm) liebt die Mitschülerin Andrea (Lochner), die seinem besten Freund, dem Automechaniker Mario, zugetan ist. Horst paßt den Nebenbuhler ab und rammt ihm im Rausch der Eifersucht einen Schraubenzieher in den Bauch. Der apodiktische Vater (Kerst) des weichlichen Totschlägers vertuscht die Tat, gibt seinem Sohn ein Alibi und bearbeitet seine geschiedene Frau (Keller), es ihm gleichzutun – doppelt gelogen hält besser. Eingekeilt zwischen die Protagonisten eines kalten Ehenachkrieges, bedrückt von einem herrschsüchtigen Erzeuger und einer gefühlsarmen Mutter, muß dem fahrlässigen Kapitalverbrecher das Geständnis schließlich als revolutionärer Selbstbefreiungsakt aus dem gutbürgerlichen Familiengefängnis erscheinen. | ++

Alarm auf Revier 12
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Zbynek Brynych D Gerd Haucke, 
Rosemarie Fendel, Mascha Gonska, 
Nikolaus Paryla E 14. Dezember 1975 | Haucke als bulliger Haustyrann Ross, der Frau (Fendel) und Tochter (Gonska) eine miefig-enge Hölle der Angst bereitet. Nach acht Jahren Haft wegen diverser Eigentumsdelikte macht sich der gewaltige Familienvater mit seinen Spießgesellen sogleich wieder an die Arbeit, erschießt nebenbei noch den spillerigen Schwiegersohn in spe (Paryla), weil dieser den despotischen Brocken an die Polizei verpfeifen wollte. Die Ermittlungen führen in eine obskure Kneipe, wo das Gesindel Billard spielt und die Musicbox mit repetitiver Starrsinnigkeit »Theo, wir fahr’n nach Lodz« dudelt: »Da packen wir das Glück beim Schopf
 / Und hauen alles auf den Kopf.« PS: Wie oft bei Brynych brechen die Beteiligten immer wieder unvermittelt in beunruhigendes (und befreiendes) Gelächter aus. | +++

»So ist der Mensch, wie ich es sehe, das gefährdetste Geschöpf überhaupt.« (Herbert Reinecker)

Fortsetzung folgt …

7 Kommentare:

  1. Ich habe mich übrigens immer gefragt, wie Fritz Wepper nach "Cabaret" (1972) so tief sinken konnte. Ob er eine gewisse Sicherheit benötigte?

    Es fällt mir gerade auf, dass ich mir nur die erste Folge anschaute und nach meiner Enttäuschung eine lange Pause einlegte. Im positiven Sinne skandalös war dann der "Derrick" mit Lilli Palmer, der sich der Drogensucht annahm. Und später bemerkte ich bei seltenen Sichtungen, dass man - wie du richtig andeutest - für die Aufklärung automatisch in eher vornehme Viertel hinausfahren musste (eine Masche, die der "Tatort" aufnahm, um jene als Täter zu entlarven, die der Zuschauer gerne entlarvt sah). - Eigentlich hätte ich, wenn ich heute darüber nachdenke, eher die "Derrick"-Abende in der Badewanne verbringen sollen. ;) Aber damals konnte ich mich bereits in mein Zimmer zurückziehen, weil ich im Hinblick auf Mathe-Prüfungen büffeln musste.

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  2. Ich habe »Derrick« in den 1970ern nicht gesehen. War noch zu klein. (Im Bad habe ich damals noch gebadet, und im Fernsehen gab es »Väter der Klamotte«.) Von heute aus betrachtet, würde ich sagen, daß Reinecker auf seine Art (≈ ungewollt) eine ebenso treffende (und exaltierte) Beschreibung des Zeitgeistes lieferte wie Fassbinder. Anders als »Der Kommissar«, der bis zum Schluß von seiner starken Schwarzweiß-Ästhetik zusammengehalten wurde, hat sich »Derrick« allerdings irgendwann verläppert. (Vielleicht aber liegt die Spätphase des Reineckerschen Wirkens einfach nur noch nicht lange genug zurück, um sie wertzuschätzen.)

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  3. Jetzt hab ich doch Lust bekommen, mir die ersten 2 oder 3 Boxen mit dem ollen Moralphilosophen ("Harry, in welcher Welt leben wir eigentlich?") zu kaufen. Vorher muss ich aber noch den KOMMISSAR beenden (bin gerade bei Box 3) und irgendwann ICH, CLAUDIUS, KAISER UND GOTT einschieben, den ich zum Geburtstag bekam. DERRICK hab ich seinerzeit genauso regelmäßig gesehen wie vorher den KOMMISSAR, bis ich irgendwann in den 80er Jahren absprang. Aber während der KOMMISSAR einige Male komplett wiederholt wurde, wobei ich auch immer eine größere Zahl an Folgen sah, gab es von DERRICK ja nur sporadische Wiederholungen einzelner Folgen bei "Derrick-Nächten" im ZDF. Da gibt es also einiges zum (Wieder-)Entdecken.

    @Whoknows: Der "skandalöse DERRICK" mit Lilli Palmer und den Drogen war in Wirklichkeit ein KOMMISSAR ("Grauroter Morgen" mit Palmer, Hans Caninenberg und Sabine Sinjen). Das kommt davon, wenn man seine Zeit in der Badewanne vertrödelt! :-Þ

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    1. Das ist mir jetzt echt ein wenig peinlich, werter Co-Admin, zwang man mich doch zur Sichtung der betreffenden Folge (Motto: Wir halten Whoknows vom Drogenkonsum fern).- Befindet sich denn wenigstens in der Box von "Ich, Claudius, Kaiser und Gott" in Wirklichkeit "Caligola" von Tinto Brass? ;)

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  4. Ich denke, ich werde mir noch die zweite »Derrick«-Box, mit der ich jetzt begonnen habe, zu Ende anschauen und mich dann auch wieder einmal dem »Kommissar« widmen. Ich habe weder die eine noch die andere Serie zur Entstehungszeit verfolgt – für den »Kommissar« war ich zu jung, einige »Derrick«-Folgen habe ich Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre wohl gesehen, aber besonders interessiert hat mich das Ganze damals nicht. Den »Kommissar« habe ich irgendwann auf 3sat entdeckt und war recht begeistert – von der Optik, von Erik Ode und vom Aufmarsch der deutschen Film- und Bühnenprominenz. Aber auch der frühe »Derrick« hat mich jetzt wirklich positiv überrascht. Man muß natürlich den Reineckerschen Sound mögen ... ;)

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  5. Habe jetzt vorerst nur den Einführungstext und die Kurzreviews zu den ersten vier, auch von mir kürzlich gesehenen Episoden gelesen und muss sagen: Ganz, ganz toll!

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    1. Vielen Dank. :-) Muß mit Derrick bald mal weitermachen … 

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