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15. September 2014

Capitale de la douleur

Kino | »Maps to the Stars« von David Cronenberg (2014)

Was auf einer Sternenkarte aussieht, als läge es in dichter Nachbarschaft, ist realiter unvorstellbar weit voneinander entfernt; doch trotz der riesigen Distanzen steht jedes einzelne Objekt in Beziehung zu den anderen. David Cronenberg und Drehbuchautor Bruce Wagner nehmen diese himmlischen Konstellationen als Metapher für zwischenmenschliche Verhältnisse. Los Angeles, die Stadt der Engel, der Olymp der irdischen Götter wird zum haunted place, zur glänzend-monströsen Kulisse für eine weltraumkalte Betrachtung der conditio (in-)humana. Wie in einer antiken Tragödie, wie in einer Wagneroper (oder wie in einem Hollywoodschinken) ist alles in diesem Film bigger than life: der Zynismus und die Falschheit, die Verzweiflung und die Einsamkeit, das Unglück und das Begehren; sämtliche Personen des Dramas (allein die fantastischen Namen – Havana Segrand, Jerome Fontana, Azita Wachtel – weisen die Figuren als exotische Studienobjekte aus) sind in Rollen und Posen erstarrt, wofür sie ausnahmslos dankbar sein dürfen, denn ohne diese Stützkorsetts löste sich ihrer aller Existenz wohl auf wie ein Stäubchen im Feuer. Natürlich verteilt Cronenberg den einen oder anderen Seitenhieb auf die skurrilen Degenerationen des show business und seiner Betreiber, vor allem aber zieht er, mit galliger Ironie, Parallelen zwischen dem manischen Wiederholungszwang der Filmindustrie (Sequels und Remakes) und der Endlosschleife des menschlichen (besser gesagt: menschengemachten) Jammers: eine Tochter (Julianne Moore), die sich um jeden Preis in die verhaßte Mutter verwandeln will, Geschwister (Mia Wasikowska und Evan Bird), die wie ferngesteuert den Inzest der Eltern nachvollziehen – erst im Untergang scheinen diese Verfluchten so etwas wie Freiheit zu finden. (»Sur les marches de la mort / J’écris ton nom.«) »Maps to the Stars« erzählt mit einer Art ungerührtem Mitleid von Schlafwandlern der (Alp-)Traumfabrik, von Toten zu Lebzeiten; der Film gleicht einem schauerromantischen Märchen voller böser Geister, (Feuer-)Teufel und Widergänger, einem surrealen Nachtstück in hellem kalifornischen Sonnenlicht. PS: Wenn schon ein Vergleich mit Billy Wilder sein muß, dann nicht mit »Sunset Blvd.« sondern mit »Fedora«, Wilders melancholischem Spätwerk, das wie Cronenbergs schrecklich-schönes Meisterstück von erzwungener Verdoppelung, von fataler Gefangenschaft, von der Sehnsucht nach Erlösung handelt.

5. Juli 2012

Der Milliardenjongleur fährt zum Friseur oder Ein Tag in der Welt der Hochfinanz

Kino | »Cosmopolis« von David Cronenberg (2012)

Vor ungefähr 30 Jahren, mit dem neoliberalen Siegeszug von Thatcherism und Reaganomics, löste sich die Finanz- von der Realwirtschaft: Spekulanten, Firmenjäger, Investoren wie Ivan Boesky oder George Soros wurden die heimlich bewunderten Schreckgespenster des durchstartenden Turbokapitalismus; auf der Leinwand und im Roman, wo der von ihnen repräsentierte amoralische Materialismus postwendend mißbilligende Verarbeitung fand, hießen sie Gordon Gecko, Sherman McCoy oder Patrick Bateman. Heute, ein paar Systemabstürze, platzende Blasen und Staatspleiten später, sind die Zahlen, die bewegt werden, um einige Nullen angeschwollen, haben vollends ihre (Be-)Greifbarkeit verloren – als virtuelle Datenströme rauschen sie ununterbrochen um den Globus, so gewaltig wie ein Jetstream, so unfaßbar, so bedrohlich wie Radioaktivität. Einer, der diese Zahlen im Griff hat (oder im Griff zu haben glaubt), ist Eric Packer, 28. Im Gegensatz zu den eitel-exponierten Vorgängern betreibt er seine geschäftlichen Transaktionen philosophisch-emotionslos in abgepufferter Anonymität, wie ein lebensfernes Ritual, wie einen abstrakten Kult um eine wesenlose Substanz. David Cronenberg porträtiert den jungen Magnaten (gemütsarm: Robert Pattinson) als Prototypen der digitalen Epoche, zeigt ihn auf dem Hochpunkt der Karriere, von dem es – in der spezifischen Geometrie seiner Sphäre – nur ein Schritt zum Tiefpunkt ist, verfolgt seine Strech-Limo-Irrfahrt durch ein glamourös-apokalyptisches New York. Die Odyssee – eine Kette von kurzen Begegnungen, schnappschußhaft eingefangenen Ereignissen, kalten Kopulationen, eine zu einem gleichnishaften Tag zusammengedrückte Lebensreise auf der verzweifelten Suche nach spürbarer Ver-Körperung im Hier und Jetzt, nach einer Erfahrung, die anscheinend nur mehr in der Zerstörung der eigenen physischen Existenz zu machen ist – führt, vorbei an karnevalesk-brutalen kapitalismuskritischen Demonstrationen, ins schmuddlige Herz der Finsternis … Wohl nicht ganz zufällig beschwört die additive Dramaturgie von »Cosmopolis« mit ihrem Rückgriff auf Yuppie-in-distress-Filme wie »Into the Night«, »After Hours« oder »Something Wild« eine Erinnerung an die geldgeilen 1980er Jahre herauf, doch die damalige launige Verhackstückung des Zeitgeistes ist einer zeremoniellen Zergliederung gewichen. Dabei wird ohne Pause geredet und sinniert – über Gott und Geld, Zukunft und Gegenwart, Leben und Tod, Gier und Gesellschaft, Gesetzmäßigkeit und Asymmetrie, indes der Erkenntniswert trotz geschliffener Dialoge eher bescheiden bleibt. Zudem klebt Cronenbergs Adaption eines Romans von Don DeLillo über weite Strecken der Fahrt gestalterisch recht unfrei am fortwährend gesprochenen Wort, bleibt in der Summe fast ebenso blaß wie der seelisch vereiste Protagonist. Man mag darin die künstlerische Konsequenz des Films erkennen.

20. November 2011

Die Herren Analytiker geben sich die Ehre

Kino | »A Dangerous Method« von David Cronenberg (2011)

Ein seelenkundlicher Truffe du Jour aus der guten alten Zeit: Vor 1914 schien immer die Sonne, sanft wogten die Wellen auf dem See, der Rasen war stets frisch gemäht, die Doktoren trugen ordentlich getrimmte Bärte, die Fenster der Nervenkliniken boten herrliche Ausblicke, selbst eine Hysterikerin, die sich im Krampfanfall wand, blieb recht appetitlich anzusehen. Natürlich kannte die hochherrschaftliche Welt von Gestern auch Spannungen: Da war zum Beispiel ein psychiatrischer Vater-Sohn-Konflikt, ausgetragen in (mündlich wie schriftlich) wohlgesetzten Worten, oder auch die unerlaubte Leidenschaft eines Arztes für eine seiner Patientinnen, eine Begierde indes, die – noch wenn zur Lustbefriedigung der Ledergurt geschwungen wurde – stets Formbewußtsein wahrte. »A Dangerous Method«, die episodische Erzählung über diese (und andere) Ereignisse in den Praxen von Dr. Carl Gustav Jung (Zürich) und Dr. Sigmund Freud (Wien), umspannt rund ein Jahrzehnt, ein Zeitraum, der dem Zuschauer (besser gesagt: Zuhörer) von David Cronenberg durch die stilvolle Behäbigkeit der Inszenierung eindringlich erfahrbar gemacht wird. In den schönen, leeren Bildern bleibt viel Raum für eigene Gedanken, Assoziationen, Reminiszenzen. Zum Beispiel die Erinnerung an einen Dialog aus »Manhattan«: »Sie nennen Ihren Psychoanalytiker Donnie?« – »Ja.« – »Ich nenne meinen Doktor Chomsky. Sonst schlägt er mich mit dem Lineal.«