Kino | »Maps to the Stars« von David Cronenberg (2014)
Was auf einer Sternenkarte aussieht, als läge es in dichter Nachbarschaft, ist realiter unvorstellbar weit voneinander entfernt; doch trotz der riesigen Distanzen steht jedes einzelne Objekt in Beziehung zu den anderen. David Cronenberg und Drehbuchautor Bruce Wagner nehmen diese himmlischen Konstellationen als Metapher für zwischenmenschliche Verhältnisse. Los Angeles, die Stadt der Engel, der Olymp der irdischen Götter wird zum haunted place, zur glänzend-monströsen Kulisse für eine weltraumkalte Betrachtung der conditio (in-)humana. Wie in einer antiken Tragödie, wie in einer Wagneroper (oder wie in einem Hollywoodschinken) ist alles in diesem Film bigger than life: der Zynismus und die Falschheit, die Verzweiflung und die Einsamkeit, das Unglück und das Begehren; sämtliche Personen des Dramas (allein die fantastischen Namen – Havana Segrand, Jerome Fontana, Azita Wachtel – weisen die Figuren als exotische Studienobjekte aus) sind in Rollen und Posen erstarrt, wofür sie ausnahmslos dankbar sein dürfen, denn ohne diese Stützkorsetts löste sich ihrer aller Existenz wohl auf wie ein Stäubchen im Feuer. Natürlich verteilt Cronenberg den einen oder anderen Seitenhieb auf die skurrilen Degenerationen des show business und seiner Betreiber, vor allem aber zieht er, mit galliger Ironie, Parallelen zwischen dem manischen Wiederholungszwang der Filmindustrie (Sequels und Remakes) und der Endlosschleife des menschlichen (besser gesagt: menschengemachten) Jammers: eine Tochter (Julianne Moore), die sich um jeden Preis in die verhaßte Mutter verwandeln will, Geschwister (Mia Wasikowska und Evan Bird), die wie ferngesteuert den Inzest der Eltern nachvollziehen – erst im Untergang scheinen diese Verfluchten so etwas wie Freiheit zu finden. (»Sur les marches de la mort / J’écris ton nom.«) »Maps to the Stars« erzählt mit einer Art ungerührtem Mitleid von Schlafwandlern der (Alp-)Traumfabrik, von Toten zu Lebzeiten; der Film gleicht einem schauerromantischen Märchen voller böser Geister, (Feuer-)Teufel und Widergänger, einem surrealen Nachtstück in hellem kalifornischen Sonnenlicht. PS: Wenn schon ein Vergleich mit Billy Wilder sein muß, dann nicht mit »Sunset Blvd.« sondern mit »Fedora«, Wilders melancholischem Spätwerk, das wie Cronenbergs schrecklich-schönes Meisterstück von erzwungener Verdoppelung, von fataler Gefangenschaft, von der Sehnsucht nach Erlösung handelt.
Posts mit dem Label Cronenberg werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Cronenberg werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
15. September 2014
5. Juli 2012
Der Milliardenjongleur fährt zum Friseur oder Ein Tag in der Welt der Hochfinanz
Kino | »Cosmopolis« von David Cronenberg (2012)
20. November 2011
Die Herren Analytiker geben sich die Ehre
Kino | »A Dangerous Method« von David Cronenberg (2011)
Ein seelenkundlicher Truffe du Jour aus der guten alten Zeit: Vor 1914 schien immer die Sonne, sanft wogten die Wellen auf dem See, der Rasen war stets frisch gemäht, die Doktoren trugen ordentlich getrimmte Bärte, die Fenster der Nervenkliniken boten herrliche Ausblicke, selbst eine Hysterikerin, die sich im Krampfanfall wand, blieb recht appetitlich anzusehen. Natürlich kannte die hochherrschaftliche Welt von Gestern auch Spannungen: Da war zum Beispiel ein psychiatrischer Vater-Sohn-Konflikt, ausgetragen in (mündlich wie schriftlich) wohlgesetzten Worten, oder auch die unerlaubte Leidenschaft eines Arztes für eine seiner Patientinnen, eine Begierde indes, die – noch wenn zur Lustbefriedigung der Ledergurt geschwungen wurde – stets Formbewußtsein wahrte. »A Dangerous Method«, die episodische Erzählung über diese (und andere) Ereignisse in den Praxen von Dr. Carl Gustav Jung (Zürich) und Dr. Sigmund Freud (Wien), umspannt rund ein Jahrzehnt, ein Zeitraum, der dem Zuschauer (besser gesagt: Zuhörer) von David Cronenberg durch die stilvolle Behäbigkeit der Inszenierung eindringlich erfahrbar gemacht wird. In den schönen, leeren Bildern bleibt viel Raum für eigene Gedanken, Assoziationen, Reminiszenzen. Zum Beispiel die Erinnerung an einen Dialog aus »Manhattan«: »Sie nennen Ihren Psychoanalytiker Donnie?« – »Ja.« – »Ich nenne meinen Doktor Chomsky. Sonst schlägt er mich mit dem Lineal.«
Ein seelenkundlicher Truffe du Jour aus der guten alten Zeit: Vor 1914 schien immer die Sonne, sanft wogten die Wellen auf dem See, der Rasen war stets frisch gemäht, die Doktoren trugen ordentlich getrimmte Bärte, die Fenster der Nervenkliniken boten herrliche Ausblicke, selbst eine Hysterikerin, die sich im Krampfanfall wand, blieb recht appetitlich anzusehen. Natürlich kannte die hochherrschaftliche Welt von Gestern auch Spannungen: Da war zum Beispiel ein psychiatrischer Vater-Sohn-Konflikt, ausgetragen in (mündlich wie schriftlich) wohlgesetzten Worten, oder auch die unerlaubte Leidenschaft eines Arztes für eine seiner Patientinnen, eine Begierde indes, die – noch wenn zur Lustbefriedigung der Ledergurt geschwungen wurde – stets Formbewußtsein wahrte. »A Dangerous Method«, die episodische Erzählung über diese (und andere) Ereignisse in den Praxen von Dr. Carl Gustav Jung (Zürich) und Dr. Sigmund Freud (Wien), umspannt rund ein Jahrzehnt, ein Zeitraum, der dem Zuschauer (besser gesagt: Zuhörer) von David Cronenberg durch die stilvolle Behäbigkeit der Inszenierung eindringlich erfahrbar gemacht wird. In den schönen, leeren Bildern bleibt viel Raum für eigene Gedanken, Assoziationen, Reminiszenzen. Zum Beispiel die Erinnerung an einen Dialog aus »Manhattan«: »Sie nennen Ihren Psychoanalytiker Donnie?« – »Ja.« – »Ich nenne meinen Doktor Chomsky. Sonst schlägt er mich mit dem Lineal.«
Abonnieren
Posts (Atom)