Die dritte Folge der Rubrik »Studio D«, die sich in loser Folge mit Personen und Programmen der deutschen Fernsehgeschichte beschäftigt, erinnert an die Drehbuchautorin Helga Feddersen. Die 1930 in Hamburg geborene Schauspielerin ist vor allem als »Ulknudel« im kollektiven Gedächtnis geblieben, als pferdegebissige Blödelkomödiantin an der Seite von Matadoren der klamottigen Fernsehunterhaltung wie Dieter Hallervorden oder Frank Zander. Daß Helga Feddersen nicht nur die Disco-Parodie »Du, die Wanne ist voll« mitquäkte und in der »Plattenküche« hantierte, sondern auch für Regisseure wie Helmut Käutner und Peter Beauvais, Ottokar Runze und Rainer Werner Fassbinder vor die Kamera trat, ist weitgehend in Vergessenheit geraten – ebenso wie ihre Tätigkeit als TV-Autorin.
Sämtliche Drehbücher, die Helga Feddersen zwischen Ende der 1960er und Mitte der 1970er Jahre verfaßte, spielen in Hamburg oder an der Nordseeküste, alle wurden von der Fernsehspielabteilung des Norddeutschen Rundfunks unter Ägide von Egon Monk und seinem Nachfolger Dieter Meichsner realisiert. Man könnte ihre Arbeiten als »dokumentarische Volksstücke« beschreiben, als »Chronik der laufenden Ereignisse« aus dem Leben der kleinen Leute an der Waterkant.
Die Texte werden durch knappe filmographische Angaben ergänzt: R Regie K Kamera A Ausstattung S Schnitt P Produktion D Darsteller | Länge | Datum der Erstausstrahlung
Vier Stunden von Elbe 1
Helga Feddersens erstes Fernsehspiel hat zwei erzählerische Achsen: ein Haus, das Seemannsfrauenheim in Brunsbüttelkoog (vier (See-)Fahrtstunden vom Feuerschiff ›Elbe 1‹ entfernt gelegen), und einen Mann, den ledigen Schiffskoch Gustav Andresen. Das Haus, geleitet von Gustavs patenter Schwägerin Klara wird zur Transitstation zahlreicher, schlaglichtartig beleuchteter (Frauen-)Schicksale; der Mann beschließt, aus seiner maritimen Beziehungslosigkeit auszubrechen, indem er, während eines dreiwöchigen Landgangs, per Annonce eine »verständnisvolle Partnerin« fürs Leben sucht. Helga Feddersen – die sich die (Neben-)Figur der Lore Elvers, einer von der Liebe immer wieder enttäuschten Junggesellin, auf den Leib geschrieben hat – zwängt ihre Figuren nicht in das Korsett einer funktionalen Dramaturgie, sie nimmt die Position der Beobachterin und Zuhörerin ein, registriert neugierig, aber ohne Sensationslust, das Reden und Handeln, das Zagen und Hoffen der Charaktere, die durch die liebevolle Betrachtung große Unmittelbarkeit gewinnen. Eberhard Fechner, der das Drehbuch nimmt wie ein Dokument, und sein Kameramann Rudolf Körösi spüren sensibel den Attitüden, Tonlagen und Gemütsverfassungen dieser Menschen nach, der Seemannsfrauen, die an den ewigen Trennungen still oder heulend verzweifeln, der Oma, Mutter, Tante und Gattin eines frischgebackenen 3. Offiziers, die für ihren Goldschatz vor lauter Stolz schon vorab die Kapitänstressen kaufen, der alten Muttchen, die im Heim Nachtwache halten, nicht zuletzt des bindungswilligen Schiffskochs Gustav, dem immer wieder seine »Berufsfigur« im Weg steht, und der schließlich bei einer alten Bekannten, der herbzarten Kioskbesitzerin Elli, seinen Heimathafen findet.
R Eberhard Fechner K Rudolf Körösi A Herbert Kirchhoff S Brigitte Kirsche P Egon Monk D Klaus Höhne, Carsta Löck, Helga Feddersen, Elke Twiesselmann, Regine Lutz | 105 min | 7. März 1968
Gezeiten
Szenen zweier Ehen: In »Gezeiten« verfolgt Helga Feddersen einerseits die Geschichte des Schiffskochs Gustav Andresen weiter – der Vater wird und sich (nach langem Zögern) dazu entschließt abzumustern, um zusammen mit seiner Gattin Elli die Gastwirtschaft »Zu Anker« (!) zu eröffnen –, zum anderen erzählt sie von dem (durchaus schwierigen) Zusammen- und Getrenntleben der Bröhans, des notorisch eifersüchtigen Kapitänsanwärters Peter und seiner Frau Yvonne, die als Chemikerin in einem Zementwerk arbeitet. Wiederum verkneift sich Feddersen jede Seefahrerromantik, schildert unsentimental-humorig Alltag und Arbeit der Fahrensleute, etwa die schadenfreudigen Ausbildungsinitiationsriten oder die frotzelige Kumpanei der »Kolonne Freß«. Das Seemannsfrauenheim, mittlerweile von Lore – die Zuneigung zu dem netten holländischen Schiffer Henk gefaßt hat – betrieben, gerät aus dem Fokus der Erzählung: Die kaleidoskopische Milieustudie weicht einer doppelten Beziehungsdramödie, die auch herbe Schicksalsschläge nicht ausspart. Die Autorin und der Regisseur Eberhard Fechner bewahren dabei, zu Wasser und zu Lande, ihre sympathetische Beobachtungsschärfe und ihre Freude am charakteristischen Detail.
R Eberhard Fechner K Rudolf Körösi A Herbert Kirchhoff S Wolfgang Skerhutt P Dieter Meichsner D Klaus Höhne, Elke Twiesselmann, Vadim Glowna, Verena Buss, Helga Feddersen | 90 min | 22. Februar 1970
Joachim Hess inszenierte 1971 Helga Feddersens Fernsehspiel »Sparks in Neu-Grönland«, die Geschichte des bärbeißigen Herrn Spark (Robert Meyn), eines Hamburger Kaufmanns im Ruhestand, der auf Drängen seiner Familie in eine Vorstadtsiedlung gezogen ist und nichts lieber möchte, als in seine alte Gegend zurückzukehren. Danach schloß die Autorin ihre »Waterkant-Trilogie« ab.
Im Fahrwasser
Der ehemalige Schiffskoch Gustav Andresen fühlt sich wie ein »fish out of water« – der tonnenschwere alte Anker, der vor seiner Gastwirtschaft als Werbezeichen plaziert wird, erscheint wie ein Symbol von Bedrückung und Sehnsucht. Mißmutig untersagt Gustav seiner Frau Elli die Feiern zum dreijährigen Bestehen des Lokals: »Ich feier keinen Jahrestag für an Land.« Auch Lore, mittlerweile mit dem Frachterkapitän Henk van der Meyden verheiratet und auf Fahrt gegangen, hat Probleme: Henks grimmige Mutter weigert sich partout, dem (nicht mehr ganz so) jungen Paar das Kommando zu überlassen. Helga Feddersen schildert diese Anpassungsschwierigkeiten mit gewohnter Aufmerksamkeit für Befindlichkeiten und Zwischentöne, doch das Klima der Erzählung wirkt zunehmend rauher, in die heitere Betrachtung der Dinge des Lebens mischt sich immer wieder Melancholie. Regisseur Georg Tressler greift den dokumentarisch inspirierten Inszenierungsstil der beiden Vorgänger auf und zeigt, wie die einzelnen Lebensläufe – nach mancherlei Driften und Strudeln – schließlich ins »Fahrwasser« finden: Gustav wird nach einer letzten, enttäuschenden Heuer endgültig zu Frau und Kind ans Ufer gespült, Lore, die sich nicht ausbooten läßt, erobert beherzt einen Platz in ihrer Bord-Familie.
R Georg Tressler K Wolfgang Zeh A Karl-Hermann Joksch S Elke Düring P Dieter Meichsner D Klaus Höhne, Elke Twiesselmann, Helga Feddersen, Josef Jansen, Tilly Perin-Bouwmeester | 80 min | 25. Dezember 1971
Bismarck von hinten oder Wir schließen nie
»Familie ist die Keimzelle, daraus entsteht alles … Leben und Tod.« – »Ja, ja, nu hör mal auf.« – »Bin ich nu Witwer, oder nich?« – »Ja, ja, bist du« – »Glück und Unglück, das kommt alles aus der Keimzelle.« Von zwei dieser Keimzellen ist in Helga Feddersens beschaulichem Hamburger Kiezreport die Rede: Die Knüppels – Vater: Schaffner bei der Bundesbahn, Mutter: Hausfrau – werden mit der Schwangerschaft ihrer 16jährigen Tochter konfrontiert; die Eltern des Kindsvaters, die Eheleute Dreier, müssen sich – als Besitzer einer kleinen Wäscherei – mit der wachsenden Konkurrenz durch Selbstbedienungswaschsalons auseinandersetzen. Beide Familien leben, ein paar Hausnummern voneinander entfernt, mit Blick auf die Rückseite des Bismarck-Denkmals. Außerdem treten auf: Nutten und Gastarbeiter, Soldaten und Gewerbeschüler, ein philosophischer Lokführer und die stets frohgemute Oma Sorgenfrei. »Hier ist Betrieb, hier geht das Leben rund um die Uhr«, sagt Feddersen, die als Erzählerin einmal kurz ins Bild winkt, über die Gegend zwischen Reeperbahn und Holstenwall, in der sie ihre ineinander verquickten Dramolette aus der Kleinbürgerwelt ansiedelt. Ein unaufgeregter Film über Süßes und Bitteres, über private Sorgen und sozialen Wandel, über das Leben, wie es immer weitergeht: »Bergauf, bergab, zuletzt ins … Naja, aber damit hat es sicherlich noch lange Zeit.«
R Joachim Hess K Frank Banuscher A Mathias Matthies S Karin Baumhöfner D Hans-Jürgen Diedrich, Christa Wehling, Christof Wackernagel, Jutta Wirschaz, Uwe Dallmeier P Dieter Meichsner | 90 min | 1974
Anfang der 1980er Jahre schrieb Helga Feddersen zwei Serien für das Vorabendprogramm des NDR (»Kümo Henriette« und »Helga und die Nordlichter«), dann eröffnete sie ein eigenes Theater in Hamburg, das sie mit großem Erfolg betrieb. Als sie an Krebs erkrankte, mußte sie ihre Bühnentätigkeit beenden. 1990 ist Helga Feddersen in ihrer Heimatstadt gestorben. »Element of Crime« widmeten ihr den Song »Vier Stunden vor Elbe 1«: »Drüben am Horizont verschwindet eine Landschaft. / Ein Schnitt in die Brust ist der Abschied, doch diesmal fällt er aus.«
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9. Dezember 2014
24. Oktober 2012
Bildnis einer Unbekannten
YouTube | »Nachrede auf Klara Heydebreck« von Eberhard Fechner (1969)
»Auf der Suche nach einem Menschen, den es nicht mehr gibt.« Am 10. März 1969 stirbt in Berlin-Wedding, Grüntaler Straße 59a, kleiner Aufgang, vierter Stock, eine alte Frau durch eine Überdosis Schlaftabletten. Einer von jährlich 13.000 Selbstmorden in Deutschland. Wer war die Frau? Wie hat sie gelebt? Warum wollte sie sterben? Klara Heydebreck wurde am 16. Juli 1896 geboren. Sie war evangelisch, ledig, hatte keine Kinder. Über fünfzig Jahre lebte sie im selben Haus. Dort sagt man über sie: »Die kenn ick ja jar nich.« »Sie hat ja kaum mit jemand jesprochen.« »Im Haus hat sie jar nich Kontakt jehabt.« »Die wohnte sehr zurückgezogen.« Der Regisseur Eberhard Fechner will mehr über diese Frau erfahren. Aus Erzählungen von Verwandten und Nachbarn, aus Berichten von Ärzten und Amtsträgern, aus dem minutiösen Studium von Briefen, Fotografien, Zeugnissen, Notizheften, Sparbüchern rekonstruiert »Nachrede auf Klara Heydebreck« eine Biographie, legt so die familiäre, soziale, materielle, psychologische Basis einer Existenz unter konkreten historischen Bedingungen bloß. Aussagen und Dokumente fügen sich in der Montage der brillanten Schnittmeisterin Brigitte Kirsche zum Porträt einer eigenwilligen, neugierigen, selbstbestimmten, kunstsinnigen Frau, die zur unverstandenen, schrulligen, ängstlichen, abgesonderten Alten wurde – weil sie die (auch über sie) herrschenden Umstände nie beeinflussen konnte, weil sich das Leben den Vorstellungen, die sie von sich und ihrem Dasein hatte, hartnäckig entzog. Daß Klara Heydebreck ausgerechnet wegen ihres einsamen Freitodes die teilnahmsvolle Aufmerksamkeit, welche sie zu Lebzeiten kaum je genoß, in Form eines herausragenden Dokumentarfilms zuteil wird, darf als bittere Ironie aber auch als späte Gerechtigkeit begriffen werden.
»Auf der Suche nach einem Menschen, den es nicht mehr gibt.« Am 10. März 1969 stirbt in Berlin-Wedding, Grüntaler Straße 59a, kleiner Aufgang, vierter Stock, eine alte Frau durch eine Überdosis Schlaftabletten. Einer von jährlich 13.000 Selbstmorden in Deutschland. Wer war die Frau? Wie hat sie gelebt? Warum wollte sie sterben? Klara Heydebreck wurde am 16. Juli 1896 geboren. Sie war evangelisch, ledig, hatte keine Kinder. Über fünfzig Jahre lebte sie im selben Haus. Dort sagt man über sie: »Die kenn ick ja jar nich.« »Sie hat ja kaum mit jemand jesprochen.« »Im Haus hat sie jar nich Kontakt jehabt.« »Die wohnte sehr zurückgezogen.« Der Regisseur Eberhard Fechner will mehr über diese Frau erfahren. Aus Erzählungen von Verwandten und Nachbarn, aus Berichten von Ärzten und Amtsträgern, aus dem minutiösen Studium von Briefen, Fotografien, Zeugnissen, Notizheften, Sparbüchern rekonstruiert »Nachrede auf Klara Heydebreck« eine Biographie, legt so die familiäre, soziale, materielle, psychologische Basis einer Existenz unter konkreten historischen Bedingungen bloß. Aussagen und Dokumente fügen sich in der Montage der brillanten Schnittmeisterin Brigitte Kirsche zum Porträt einer eigenwilligen, neugierigen, selbstbestimmten, kunstsinnigen Frau, die zur unverstandenen, schrulligen, ängstlichen, abgesonderten Alten wurde – weil sie die (auch über sie) herrschenden Umstände nie beeinflussen konnte, weil sich das Leben den Vorstellungen, die sie von sich und ihrem Dasein hatte, hartnäckig entzog. Daß Klara Heydebreck ausgerechnet wegen ihres einsamen Freitodes die teilnahmsvolle Aufmerksamkeit, welche sie zu Lebzeiten kaum je genoß, in Form eines herausragenden Dokumentarfilms zuteil wird, darf als bittere Ironie aber auch als späte Gerechtigkeit begriffen werden.
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