5. Januar 2023

Märchen aus der Wirklichkeit (Nachtrag)

Noch ein Meisterwerk von Rudolf Thome (Regie) und Max Zihlmann (Buch)

Vor langer Zeit habe ich über drei Filme von Thome und Zihlmann geschrieben (hier) – heute geht es um ein weiteres Werk des Gespanns, mit dem die fruchtbare Zusammenarbeit zu einem vorläufigen Abschluß kam. Der Text versteht sich auch als kleines Memento für Roger Fritz und Max Zihlmann, zwei Protagonisten der »Münchner Schule«, die beide unlängst verstorben sind.
 

1972 | »Fremde Stadt«

»Man with a million – but what to do?« Ein Mann (Roger Fritz) kommt mit dem Intercity am Münchner Hauptbahnhof an. Souverän bewegt er sich durch die Menge, groß, gutaussehend, mittellanges Haar, Trenchcoat. Er nimmt ein Taxi und läßt sich zu einem Hotel fahren. Es ist ihm egal, wo er wohnt: »Ich bin fremd hier.« Den Koffer trägt er lieber selbst aufs Zimmer. Darin sind zwei Millionen D-Mark, die Beute eines Banküberfalls in Düsseldorf. Der Mann – ein gewesener stellvertretender Filialleiter, der den eigenen Tod im Indischen Ozean inszenierte – betrachtet sein Gesicht im Spiegel und sagt zu sich: »Philipp ... Philipp Kramer. Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen.« Der Mann begibt sich auf die Suche nach einer Frau, Sybille Lerchenfeld, seiner Verflossenen (Karin Thome), die ihn unter dem Namen Franz kannte. Er trifft sie mit dem gemeinsamen Sohn vor einer Schule. Sie fragt: »Phlipp Kramer – wer ist das?« Er antwortet: »Ein Mann mit Zukunft.« ... Eine B-Film-Variation in Schwarzweiß und CinemaScope, ein ironisch-saloppes Spiel mit Motiven und Settings, mit Klischees und Schablonen, ein Kriminalfilm ohne vordergründigen Thrill (»Würdest du auf jemanden schießen?« – »Das kann man vorher nicht sagen.«), ein Beziehungsfilm ohne menschliches Drama (»Na, du Bankräuber.« – »Gangsterbraut!«), ein Genrefilm ohne gattungsmäßige Festlegung (»Das ist alles zu viel für mich.« – »Für mich auch.«). Thome und Zihlmann erzählen einerseits trocken, fast emotionslos registrierend, andererseits voller Lust auf Abschweifungen, mit aller Zeit der Welt für Randbeobachtungen und Nebenfiguren, wie etwa den Zimmerkellner, der eigentlich Schauspieler werden wollte, die Barbekanntschaft, die Captagon einwirft, um beim Flirten nicht einzuschlafen, den Untermieter, der Zierfische züchtet und damit eines Tages reich zu werden hofft. Verwicklungen ergeben sich durch weitere (mehr oder weniger schrullige) Personen, die dem Raubgut nachjagen: ein Kriminalbeamter, der Spekulationsschulden zu begleichen hat, ein anderer Polizist, der von einer Weltumseglung träumt, ein Gaunerpärchen, das im Porsche Ralleys fahren will. Geld als Projektionsfläche für Wünsche, Bedürfnisse, Sehnsüchte, als Treibstoff für Verwandlungen: »Ich bin ein anderer«, erkennt Philipp alias Franz, der als neuer Mensch in Liebes- und Lebensdingen an früher anknüpfen kann, ohne in alte Muster zurückzufallen. Als es nach einer Verfolgungsjagd durch die labyrinthische B-Ebene unter dem Stachus zum Showdown auf der benachbarten U-Bahn-Baustelle kommt, wirkt das Geld gar als mirakulöser Impulsgeber für eine (zunächst im kleinen Kreis erprobte) soziale Utopie: »Warum teilen wir nicht?« – »Ja, warum nicht?« – »Wir fangen am besten mit den großen Scheinen an.«

2 Kommentare:

  1. Mit alter Frische im neuen Jahr! So soll es sein. :-)

    Der Text versteht sich auch als kleines Memento für Roger Fritz und Max Zihlmann, zwei Protagonisten der »Münchner Schule«, die beide im vergangenen Jahr gestorben sind.

    Roger Fritz starb schon vorletztes Jahr, dafür letztes Jahr noch Klaus Lemke. Jetzt sind neben Thome immerhin noch Eckhart Schmidt, May Spils und Werner Enke übrig. Hab ich wen vergessen?

    Neulich habe ich nach langer Zeit wieder mal SUPERGIRL gesehen (der war beim RBB in der Mediathek) und fand ihn wieder toll. Aber FREMDE STADT fehlt mir noch. Hat da Philipp Kramer auch ein neues Gesicht, so wie Bogart in DARK PASSAGE, oder nur einen neuen Namen?

    Als es nach einer Verfolgungsjagd durch die labyrinthische B-Ebene unter dem Stachus zum Showdown auf der benachbarten U-Bahn-Baustelle kommt

    So einen U-Bahn-Bau muss man natürlich mal ausnutzen. Die KOMMISSAR-Folge SCHREI VOR DEM FENSTER (mit Maria Schell und Veit Relin) hat das auch gemacht, so wie Michael Winner im Sommer 1972 in Wien für SCORPIO.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Alte Frische? Eher gute Vorsätze. ;-) ... Danke für den Hinweis auf Fritzens Todesjahr. Time flies ... Philipp Kramer hat kein neues Gesicht. So kompliziert geht es bei Thome/Zihlmann nicht zu. Da reicht ein neuer Name für eine neue Existenz ... Das Kurios-Tolle an der U-Bahn-Szene ist, daß die Arbeiter im Hintergrund völig unbeeindruckt weiterschaffen, als sei ein Gaunertreffen auf der Baustelle das Allernormalste auf der Welt. (Vielleicht ist es das ja auch ...)

      Löschen