26. Februar 2017

Kino aus der Zwischenzeit (4)

Westdeutsche Filme der 1980er Jahre

Acht Spielfilme in vier Jahren: zwischen 1982 und 1986 stürmt Eckhart Schmidt, von der Kritik zumeist angefeindet, vom Publikum nur selten wertgeschätzt, mit geradezu Fassbinderschem Arbeitsfuror die bundesdeutschen Kinoleinwände. Fünf dieser Filme, von »Der Fan« bis »Alpha City« (beide hier gewürdigt), bilden einen Werkkomplex von eigenwilligen Genre-Fantasien; ohne Furcht vor etwaigen Geschmacksverirrungen erforscht der Regisseur (der stets sein eigener Autor ist) die Grenzbereiche von Pulp und Pathos, Pop und Gewalt, Melodram und Horror. Schmidts Arbeiten sind radikale Kunstprodukte, archivarische Zeitgeiststudien, fiebrige Hymnen an die Liebe und den Tod, unerschrockene Erkundungsfahrten in eine Welt, die sich als Labyrinth unbeherrschbarer Leidenschaften erweist.

1983 | »Das Gold der Liebe« von Eckhart Schmidt

»Der Tod, das muß ein Wiener sein«, bemerkte einst Georg Kreisler. Insofern nimmt es nicht Wunder, daß Eckhart Schmidt die Stadt an der Donau zum Schauplatz eines neo(n)surrealistischen Totentanzes bestimmt: Von den sirenenartigen Stimmen zweier Popstars (Gabi und Robert von »Deutsch Amerikanische Freundschaft«) gelockt, gerät die junge Patricia (Alexandra Curtis), auf der Suche nach ihren Idolen und nach dem fernen Gold der Liebe, in eine undurchschaubare Mord-(und Passions-)geschichte, wird verfolgt und gejagt, mehrfach getötet (»Sie wird den Morgen nicht erleben. Leiche zu Leiche.«) und immer wieder zu neuem Leben erweckt ... In einem von jedem erzählerischen Vernunftdiktat befreiten, mit New-Wave-Sounds (»Ich und ich im wirklichen Leben.«) und knatternden Störgeräuschen vollgepumpten Assoziationsstrom driftet (oder schlafwandelt) die engelsreine Heldin durch eine ewige Nacht, begegnet, neben anderen finsteren Gestalten, einer schwarzledernen Killerprinzessin (mit flinkem Messer und blutverschmiertem Mund: Marie Colbin), einem fetten Selbstmörder, der auf dem Kaffeehaustisch die Pistolenkugeln ordnet (Udo Proksch – Hofzuckerbäcker, Schiffeversenker, Erfinder der Senkrechtbestattung) und André Heller, der auf die Herumirrende seit jeher schon im Café Hawelka zu warten schien, um ihr hintergründig zuzuraunen: »Ich weiß, was du suchst, aber vielleicht findest du ganz etwas anderes.« Wahn und Traum, Ohnmacht und Rausch, Horror und Romantik – in Schmidts genreexperimentellem »Todesarten-Projekt«, einem Coming-of-Age-Abenteuer der ganz anderen Art, gleicht Wien einer Nekropole von grell-morbider Grandezza, einer überwirklichen Unterwelt, in der die mondbeschienene Geisterstunde kein Ende nehmen will: »Hallo, liebe Kinder, hier ist der Weihnachtsmann.«

1984 | »Die Story« von Eckhart Schmidt

»Heutzutage brauchst du ein ganzes Kilo, um den Kick zu merken.« – »Das sind die Achtziger.« ... Zwei Jahre bevor Helmut Dietl der Münchner Boulevardpresse und den obskuren Objekten ihres Interesses ein zeitlos gültiges Denkmal setzt, nimmt Eckart Schmidt, mit simmelesker Lust an genußvoll-moralisiernder Thriller-Kolportage, die Mechanismen des Revolverjournalismus und die hedonistische Lebensweise einer ausgebrannten Gesellschaft unter die filmische Lupe: »Ich glaube an die Lüge als den allmächtigen Motor der Auflage. Ich glaube aus tiefstem Herzen und voller Brust an alle Medien, die den Markt nicht kontrollieren, sondern ihn selbst beherrschen.« Raoul (Tomi Davis), rasender Reporter bei der MZ, hat eine Enthüllungsstory über Münchens »verschnupfte Disco-Schickeria« auf die Titelseite geknallt; am folgenden Tag findet er seine Freundin Raphaela von Unbekannten mit einer tödlichen Drogendosis abgespritzt. Ob dieses Schicksalsschlags der Sprache beraubt, heftet sich Raoul, einem lebenden Toten gleich, an die Fersen der in seinem Artikel genannten Koksnasen: Welche/r von ihnen mag für die Mordtat verantwortlich sein? Brauerei-Erbe Alexander A. (dynamisch-dekadent: Ulrich Tukur) oder Musiker Benny S.? Filmemacher Roger W. (schnauzbärtig-schlagkräftig: Jürger Draeger) oder Top-Model Sylvia F.? Oder vielleicht Werbe-Kaiser Franz H. (leutselig-glatt: Roger Fritz)? Letztendlich hängen alle mit allen zusammen, bilden ein Netzwerk, dessen allumfassender Macht sich auch Chefredakteur (gewissenlos: Georg Marischka) und Verlegerin (gesinnungslos: Christiane Maybach) des Blattes nicht entziehen können. Angesichts der mycelartig ausgebreiteten Verschwörung sieht sich Raoul zu einer spektakulär-erlösenden Verzweiflungstat genötigt; in ihrer Folge wird der tragische Held wieder mit seiner Geliebten vereinigt – und ist auch noch für eine (sicherlich gewinnbringende) Schlagzeile gut: »Na schön, machen wir einen Märtyrer aus ihm.«

1985 | »Loft« von Eckhart Schmidt

»Laßt, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren.« Ein mit markant-männlicher Stimme vorgetragener Prolog spricht von Apokalypse, Chaos, Angst, von Städten in Flammen, einer Welt ohne Hoffnung, kommendem Ende, vom Krieg aller gegen alle, vor dem sich, wer kann, in leere Vergnügungen und hemmungslose Leidenschaften flüchtet ... Auf dem Weg zu einem Ausstellungsbesuch eilen Raoul und Raphaela, er schnöselig-blond, sie blasiert-brünett, durch rauchverhangene Straßen. Die glutrote Illumination des Aufzugs, der in die mit expressiv-aggressiven Bildern vollgehängte Fabriketage hinauffährt, gibt eine Vorahnung von der Hölle, in die das amüsierwillige Schickimicki-Pärchen stürzen wird ... Der Kriegsfilm als Kammerspiel: Nachdem sie, an der präsentierten Kunst nur mäßig interessiert, im Hinterzimmer eine schnelle Nummer geschoben haben und das restliche Publikum die Vernissage verlassen hat, fallen, gleich blutgierigen Todesengeln, die Bewohner des Lofts über ihre ignoranten Besucher her: Furio, der charismatische Hitzkopf, und Kiddy, die rotzige Fanatikerin, Joker und SM, zwei mordlustige Plagegeister, schließlich Daddy, eine Art sterbender Gottvater, der im leidvollen Abgang Dante zitiert: »Durch mich gehts ein zur Stadt der Schmerzerkornen, durch mich gehts ein zur Qual für Ewigkeiten, durch mich gehts ein zum Volke der Verlornen.« Drastische Effekte nicht scheuend, steigert Eckhart Schmidt, während ein sakral-minimalistischer Industrial-Score lärmt und wütet, die Feindseligkeiten von der heftigen sexuellen Attacke zum gnadenlosen Massaker – wobei die überrumpelten Opfer ihren Peinigern an unerbittlicher Brutalität schon bald nicht mehr nachstehen. Nacht der Rache, Nacht der Sünden: im huis clos der Galerie, wo sich das ganze Weltall zu entzünden scheint, erheben sich die ewig Betrogenen gegen die immer Begünstigten: »Ich will, daß es aufhört«, wimmert Kiddy irgendwann. »Es hört aber nicht auf«, keift Furio, auf das schöne reiche (mittlerweile etwas derangierte) Paar weisend, »solange sie dafür sorgen, daß Lüge Wahrheit heißt, Totschlag Leben und Krieg Frieden.«

4 Kommentare:

  1. Weißt Du eigentlich, was es mit den Raouls und Raphaelas auf sich hat, die bei Schmidt ja noch öfter vorkommen? Zusammen gibt es da mindestens ein Dutzend.

    Hast Du NEONSTADT schon auf dem Radar? Der darf in dieser schönen Reihe eigentlich nicht fehlen.

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    1. "Raoul" ist, wie immer mal wieder zu lesen ist, wohl als Hommage an den von Schmidt sehr verehrten Raoul Walsh zu verstehen. Zum ersten Mal taucht der Rollenname schon in seinem allerersten Film "Jet Generation" auf, und Schmidt selbst verwendet ihn ja auch in seinem Pseudonym "Raoul Sternberg". Für die "Raphaela" habe ich keine Erklärung; Schmidt hat seine Produktionsfirma ebenfalls auf diesen Namen getauft. Was die obsessive Verwendung der beiden Namen betrifft, gibt es eine gewisse Verwandtschaft zu Claude Chabrol, bei dem eine Zeitlang alle Protagonisten Charles und Hélène hießen.

      "Neonstadt" steht schon seit langem auf meiner Most-Wanted-Liste, aber der Film ist mir bislang leider noch nicht untergekommen.

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    2. NEONSTADT habe ich vor einiger Zeit mal aufgenommen. Allerdings fehlen am Anfang einige Minuten (es sind jetzt 92 Minuten auf der Datei), und Bild und Ton sind mit zunehmender Laufzeit asynchron. Wenn Du ihn trotzdem haben willst, kann ich ihn ja mal an geeigneter Stelle hochladen.

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    3. Supernettes Angebot – vielen Dank! :o) Ich weiß nicht, ob ich mit der »Zwischenzeit« gleich weitermache (die neuerliche Beschäftigung mit Schmidt ergab sich direkt aus der kürzlich gesehenen Dominik-Graf-Doku), außerdem geht's mir mit der Vollständigkeit ein bißchen wie Alvy Singer: »I ... you know ... I can't go in in the middle.« Aber wenn ich's gar nicht mehr aushalten kann, melde ich mich bei Dir.

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