24. Februar 2017

Führer, Kino, Untergang

Kino | »Hitlers Hollywood« von Rüdiger Suchsland (2017)

»Was weiß das Kino, was wir nicht wissen?« (2) Zwei Jahre nach seiner an Siegfried Kracauers Schriften anknüpfenden Dokumentation zum Kino der Weimarer Republik widmet sich Rüdiger Suchsland einem weiteren Kapitel deutscher Filmgeschichte: dem Kino im »Dritten Reich«, der siebten Kunst im Spannungsfeld von Masse, Macht und Propaganda. Im Gegensatz zum Vorgängerwerk verzichtet »Hitlers Hollywood« auf Interviews; nur gelegentlich unterbrechen Zitate von Kracauer, Susan Sontag oder Hannah Arendt (»Was die Massen überzeugt, sind keine Fakten, noch nicht einmal erfundene Fakten, sondern die Konsis­tenz der Illusion.«) die knapp zweistündige Montage von Filmausschnitten. Um so größeren Raum nimmt der Kommentartext ein, der praktisch keinen Moment des Films unbesprochen läßt. Wie schon in »Von Caligari zu Hitler« scheint Suchsland keinerlei Erwartungen in Beobachtungsgabe und Urteilskraft des Publikums zu setzen: jedes einzelne Klammerteil von »Morgenrot« (1933) bis »Kolberg« (1945), von den amerikanisierten »Glückskindern« bis zum infamen »Jud Süß«, von der verspätet-neusachlichen »Großstadtmelodie« bis zum lustvoll-todessehnsüchtigen »Opfergang« (ein »deutsches ›Vertigo‹« – holla!) wird erklärt, ausgelegt, eingeordnet, so als befürchtete der Autor, die Zuschauer könnten der nationalsozialistischen Propaganda ohne belehrende Erläuterung vielleicht doch noch erliegen oder möglicherweise eigenständig Gedanken fassen. Durch die schiere Vielzahl der zitierten Filme ergibt sich kaum je die Gelegenheit zur argumentativen Vertiefung; die Ideologiekritik bleibt entsprechend schematisch, zumal Einschätzungen selten aus dem vorgeführten Material abgeleitet werden, sondern das Material zumeist der optische Unterfütterung suggestiver Einschätzungen dient. Da klingt jedes Gelächter gezwungen, da kommt jeder Tod einer Verklärung gleicht, wenn ein Film in exotischem Setting spielt, nennt Suchsland ihn »exotistisch«, wenn ein Film wie »Die Frau meiner Träume« in leuchtendem Agfacolor schwelgt, wird dieses Schwelgen als »hysterisch« etikettiert. Aber inwiefern unterscheidet sich die Hysterie eines Regisseurs wie Georg Jacoby von der eines Michael Powell oder eines Vincente Minnelli, die zur gleichen Zeit ähnlich exaltierte Filme (freilich in Technicolor) inszeniert haben? Wenn Marika Rökk Pirouetten dreht, gleicht sie Suchsland zufolge einem Brummkreisel. Aber was genau trennt die Paprika-Erotik der flotten Ungarin vom handfesten sex appeal der ähnlich stabil gebauten Betty Grable? Und warum läßt eine Reihe von Tänzerinnen in einem Ufa-Film, anders wohl als die chorus line in einem Hollywood-Musical, an Aufmarsch und Gleichschritt denken? So gerinnt der Versuch einer kritischen Entzauberung der Illusion zur geradlinigen Anti-Propaganda, wobei auch Widersprüche nicht ausbleiben: das Kino des »Dritten Reiches«, wird anfangs behauptet, habe keine Ironie, keine Fantasy, keinen auteur (außer Joseph Goebbels) gekannt; später wird die Ironie eines Darstellers wie Hans Albers gewürdigt, der Film »Münchhausen« als Fantasy bezeichnet, der Regisseur Veit Harlan ein auteur genannt. Rüdiger Suchslands Engagement und seine intensiven Recherchen verdienen zweifellos Hochschätzung, die visuelle Qualität der von ihm verwendeten Ausschnitte ist makellos – für eine mögliche Fortsetzung des Projektes in die Nachkriegszeit wäre ihm, neben dem Mut zur Konzentration auf weniger, dafür aber eingehender betrachtete Filmbeispiele insbesondere ein größeres Vertrauen in das Erkenntnisvermögen seiner Zuschauer zu wünschen.

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