7. März 2016

Playtime in Moskau und Tiflis

Kurzfilme von Michail Kobachidse

Michail Kobachidse (englische Umschrift: Mikheil Kobakhidze), geboren 1939 in der georgischen Hauptstadt Tiflis, studierte von 1959 bis 1965 an der Moskauer Filmhochschule, u. a. bei Sergei Gerassimow und Tamara Makarowa. Zwischen 1961 und 1969 realisierte Kobachidse fünf Kurzfilme, allesamt ohne Dialog, nur mit Musik und Geräuschen unterlegt. Das letzte dieser Werke (»Musikanten«) war ursprünglich (unter dem Titel »Krieg und Frieden«) als Episode seines ersten Langfilmprojektes »Hoppla!« geplant. Doch nachdem die sowjetische Zensur seiner Arbeit Formalismus und die völlige Abwesenheit sozialistischer Ideologie attestiert hatte (bereits sein Film »Achteinhalb« war 1963 aus nämlichen Gründen verboten und vernichtet worden), durfte der Regisseur keine weiteren Filme mehr in seiner Heimat drehen. Kobachidse verlegte sich in der Folgezeit auf das Schreiben von Animationsfilmen und mußte immer wieder Gelegenheitsjobs annehmen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. 1996 wurde eine Retrospektive seines schmalen Gesamtwerks auf den Filmfestspielen von Venedig gezeigt. Im selben Jahr übersiedelte Kobachidse nach Frankreich, wo 2003 sein sechster und bis heute letzter Kurzfilm »En chemin« entstand.


1961 | »Molodaja ljubow« (»Junge Liebe«)

Kobachidses Debüt, eine filmstudentische Fingerübung. Die jungen Liebenden bewohnen gemeinsam eine winzige Wohnung. Er versteckt sich hinter dem Schrank, sie kommt nach Hause, er spielt ihr harmlose Streiche, läßt Dinge verschwinden und wieder auftauchen, sie zweifelt an ihrem Verstand, bemerkt seine Anwesenheit und revanchiert sich. Ein kleines Ballett des Neckens und Narrens, ein Possenspiel von Liebe und Leichtsinn, eine minimalistische Marivaudage ohne Worte.

1962 | »Karuseli« (»Das Karussell«)

Junge Leute in der Stadt. Kobachidse setzt die Bewegungen eines Jungen und eines Mädchens, ihr Tändeln und Bändeln, ihr Nachstellen und Ausweichen, ihr mäanderndes Vor-, Hinter- und Nebeneinanderlaufen auf den Straßen und im Vergnügungspark gegen den durchorganisierten Gleichtakt der Masse. Expressive Arrangements und poetische Alltagsbeobachtungen, dazu die charmante Spielerei mit Geräuschen: das Vogelgezwitscher des Pärchens, das Löwengebrüll eines Aufschneiders, der bekommt, was er verdient. Ein kurzer Moment der Achtlosigkeit bereitet der scheuen Romanze ein vorzeitiges Ende, und eine melancholischen Totale ver(sinn)bildlicht die Flüchtigkeit des Glücks.

1965 | »Qortsili« (»Die Hochzeit«)

Eine Etüde über Wunsch und Wirklichkeit. Ein junger Mann sieht im Bus eine junge Frau. Er flirtet sie an, sie lächelt zurück, er fühlt sich ermutigt, sie läßt ihn zappeln, ihre Mutter schaut ungehalten auf das heitere Geplänkel. Wiederum kombiniert Kobachidse, ohne Dialoge, Impressionen des gewöhnlichen Lebens mit tatiesker Situationskomik. Der junge Mann imaginiert seine Zukunft mit der jungen Frau, plant die Bezirzung der mürrischen Alten. Doch die Realität kommt der Vision in die Quere, die Utopie wird von den Gegebenheiten besiegt.

1967 | »Qolga« (»Der Regenschirm«)

Eine karstige Berglandschaft, durch die sich eine Bahnstrecke windet, bildet den Schauplatz dieser pantomimischen Beziehungsdramödie über die Nähe von Seligkeit und Wehmut. Der Wärter einer winzigen Blockstelle bezaubert eine Frau mit seinem Flötenspiel. Ein weißer Schirm fliegt herbei, tanzt durch die Luft, nimmt Fühlung auf, umkreist das Paar, entschwebt wieder. Kobachidses Spielanordnung wird abstrakter und symbolischer zugleich: Das Flugobjekt scheint ein Zeichen für den Zauber der Liebe wie auch für ihre Ungewißheit zu sein. Ein anderer Mann tritt auf, fängt den Schirm, hält ihn über die Frau, die es sich gefallen läßt. Egal für wen sie sich entscheiden wird – ein Schatten des Zweifels ist auf die Reinheit des Glücks gefallen.

1969 | »Musikobesi« (»Die Musikanten«)

Zwei Männer in einem weißen Raum. Sie bemerken sich, sie rennen begeistert aufeinander zu, sie tanzen vor Freude, endlich einen anderen gefunden zu haben. Bald schon geraten sie in Streit, sie verfolgen sich, sie fechten, sie bekriegen sich. Kobachidse nähert sich dem Trickfilm: Seine brüderlich-feindlichen Protagonisten wirken wie Figuren in einem animierten Slapstick. Das Musizieren bringt die Männer wieder zusammen, sie rennen begeistert aufeinander zu, sie tanzen in Eintracht, schließlich bewegen sie sich in entgegengesetzten Richtungen aus dem Bild. Eine klinisch-burleske Studie über die (Un-)Möglichkeiten menschlichen Zusammenlebens.

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