22. Februar 2016

Es ist, wie es ist

Kino | »Rudolf Thome – Überall Blumen« von Serpil Turhan (2016)

Die Cahiers du cinéma bezeichneten ihn 1980 als »le plus important des cinéastes allemands encore inconnus« – das Wort vom wichtigsten unbekannten deutschen Filmemacher entwickelte sich zum beliebten Rudolf-Thome-Klischee, das bis heute fleißig (und unoriginellerweise nun auch an dieser Stelle) reproduziert wird. Thome, Jahrgang 1939, hat zwischen 1964 und 2012 28 Spielfilme und sechs Kurzfilme gedreht; er hat mit Hanns Zischler und Bruno Ganz gearbeitet; Uschi Obermaier und Hannelore Elsner standen vor seiner Kamera; Marquard Bohm war bei Thome so cool wie Belmondo bei Godard und Iris Berben so sexy wie Elsa Martinelli bei Howard Hawks. Warum ist Thome, dessen Werk ein halbes Jahrhundert umspannt, der so kontinuierlich produzieren konnte wie wenige andere seiner Altersgenossen, jenseits einer überschaubaren Gruppe bewundernder Kritiker und Fans, letztlich ein, wenn auch wichtiger, Unbekannter geblieben? Zu lakonisch? Zu märchenhaft?  Zu kompromißlos? Man weiß es nicht. Man versteht es nicht. Es ist, wie es ist. Nun also ein Film über ihn. Einen weiteren Film von ihm wird es vermutlich nicht geben. Nach einem Personalwechsel bei der ARD-Tochter Degeto, die lange Zeit die Herstellung seiner schmal budgetierten Filme ermöglichte, ist Thomes Finanzierungsmodell praktisch von heute auf morgen weggebrochen. Im Frühjahr 2014 will er einen letzten Versuch unternehmen: noch einmal ein Drehbuch schreiben, vielleicht ein Crowfunding-Projekt wagen. Anlaß für Serpil Turhan (die als Schauspielerin und Regieassistentin mehrfach mit Thome zusammenarbeitete), ein seit längerem geplantes Filmporträt des Regisseurs in Angriff zu nehmen. Turhan besucht Thome auf seinem Bauernhof in Brandenburg, sie filmt ihn beim Schreiben des Drehbuchs, führt Gespräche mit ihm, über das Leben, die Liebe, das Älterwerden, das Filmemachen, vor allem aber begleitet sie ihn bei alltäglichen Verrichtungen: beim Rasieren und beim Radfahren, beim Beobachten von Rotschwänzchen (»Das begeistert mich!«) und beim Stibitzen von Schneeglöckchen (»Ich fühle mich wie ein Schuljunge, der etwas Verbotenes tut.«), beim Skypen mit seiner Tochter und beim regelmäßigen Befüllen seines Blogs, der über die Jahre von der begleitenden Arbeitsdokumentation peu à peu zum Hauptwerk wurde. In diesen zärtlich-insistierenden Blicken auf das Gewöhnliche, das ja bei genauer Betrachtung immer auch das Besondere ist, kommt Turhan nicht nur dem Menschen Rudolf Thome, seinem Eigensinn, seiner Ironie, seiner Begeisterungsfähigkeit, bemerkenswert nahe, sie fängt damit auch etwas vom inneren Wesen seines Schaffens ein. Den Filmemacher Thome wird sie mit ihrer (sehr konsequenten) Herangehensweise dennoch wohl nicht bekannter machen: Bis auf zwei kurze Ausschnitte spart Turhan Thomes (umfang-)reiches Œuvre radikal aus; eingehend setzt sie dagegen jene Scheune ins Bild, wo in einem melancholisch stimmenden Durcheinander Filmklappen, Requisiten, Kostüme und rostende Filmdosen lagern. Der Film endet im Spätherbst 2014 mit Thomes Entschluß, sein letztes Drehbuch »Überall Blumen« nicht zu realisieren. Eine gewisse Traurigkeit liegt in der Schneeluft, aber auch eine Art Zufriedenheit darüber, eine vernünftige Entscheidung souverän treffen zu können. Es ist, wie es ist.

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