3. Juli 2014

Standbild (4)

Morgue

Innen. Leichenhalle. Tag. Der Boden des fensterlosen Raums ist mit hellgrauen, quadratischen Steinplatten belegt, die Wände und ein schmaler Bodenstreifen entlang der Wandkanten sind weiß gefliest. In einer Ecke des Raums steht eine Rollbahre, deren Unterbau aus weißlackierten Rundrohren gefertigt ist. Ihre vier, mehrfach miteinander verstrebten Beine sind auf tellergroße, stahlgraue Metallräder montiert. Die Liegefläche ist mit einem weißen Tuch verhüllt, das die Form eines ausgestreckten Körpers nachbildet. Deutlich sind unter den Falten des Stoffs der Kopf, die Brüste, die auf dem Bauch gefalteten Hände und die Beine zu erkennen. Rechts an der Wand zeichnet sich übergroß das klar konturierte Schattenbild des Gestells und des darauf ruhenden, zugedeckten weiblichen Leichnams ab, so als beschiene ein in Bodenhöhe positionierter Scheinwerfer das Objekt. Auf dem Fußende der Bahre liegen, dicht nebeneinander, doch ohne sich zu berühren, als einzige Farbtupfer im eintönigen Weißgrau des Raums drei Orangen. Ebendiese Früchte sind der inzwischen Verstorbenen aus ihrer Korbhandtasche gefallen, unmittelbar nachdem sie, ihrem verärgerten Geliebten nachlaufend, von einem vorbeirasenden weißen Sportwagen erfaßt und tödlich verletzt worden war.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen