5. Mai 2014

Look at all the lonely people

DVD | »Talking Heads« von Alan Bennett (1988/1998)

»Sprechende Köpfe« gelten in fiktionalen Formaten des Fernsehens weithin als Inbegriff des visuellen Stumpfsinns und der banalen Geschwätzigkeit: Gesprochen wird, wenn nichts zu zeigen ist. Alan Bennetts BBC-Serie »Talking Heads«, die – noch dazu in Form von Monologen! – nichts anderes bietet, als der Titel erwarten läßt, verwandelt die vermeintliche inszenatorische Un-Attraktion, mittels ironisch-tieflotender Texte und brillanter Darsteller, in delikate Bildschirmkunst. In zwei Staffeln à sechs Folgen (deren jeweilige Länge zwischen 30 und 45 Minuten schwankt) gewährt Bennett Einblicke in die Welt des kleinen und mittleren (nordenglischen) Bürgertums, läßt zwölf Personen aus ihrem Leben erzählen, aus einem Alltag, der unversehens Deformationen, Schrecken und Absurdität enthüllt. Intimität und Konzentriertheit der Stücke finden ihre gestalterische Entsprechung in den aufs Wesentliche reduzierten Dekorationen, im sparsamen Einsatz von Musik und Kamerabewegungen, im meisterlichen Underplay der Schauspielerinnen und Schauspieler. Da ist zum Beispiel der alternde Graham (Alan Bennett), dessen geistig leicht verwirrte Mutter von einem früheren Verehrer umschwärmt wird, der den Sohn aus dem Haus drängen will (»A Chip in the Sugar«); Irene (Patricia Routledge), deren einziger Kontakt zur Welt die anonymen Brief sind, mit denen sie die Nachbarschaft terrorisiert, erlebt wahre Freiheit erst im Gefängnis (»A Lady of Letters«); Susan (Maggie Smith), eine alkoholkranke Pfarrersfrau, findet vorübergehend Trost in den Armen eines jungen indischen Lebensmittelhändlers (»A Bed Among the Lentils«); Muriel (Stephanie Cole), muß nach dem Tod ihres Gatten nicht nur erleben, wie der nichtsnutzige Sohn das Erbe vernichtet, sie realisiert auch häßliche Details aus der Familiengeschichte (»Soldiering On«); die Schauspielerin Leslie (Julie Walters), die mit einem lange zurückliegenden Kurzauftritt bei Polanski renommiert, lügt sich ihre Rolle in einem (deutschen!) Softporno schön (»Her Big Chance«); Doris (Thora Hird), eine nörgelnde Seniorin mit Sauberkeitswahn, sieht sich von der Wohlfahrt in Gestalt einer nachlässigen arabischen Hauspflegerin gedemütigt (»A Cream Cracker under the Settee«). Trotz aller Anpassung und Disziplin werden die tapfer-traurigen Protagonisten zu Zeugen der Auflösung ihrer mühsam gehegten Ordnung: Nebensätze, Atempausen, insistierende Blicke deuten die stillen Katastrophen an. In der zweiten Staffel der Serie, zehn Jahre nach der ersten entstanden, wirken die geschilderten Schicksale düsterer, der Humor schwärzer. Miss Fozzard (Patricia Routledge), mit der Pflege eines schwerkranken Bruders belastet, erhält Verständnis (und finanzielles Zubrot) von einem fetischistischen Fußpfleger (»Miss Fozzards Finds Her Feet«); die gewinnsüchtige Antquitätenhändlerin Celia (Eileen Atkins) läßt sich den Fund ihres Lebens durch die Lappen gehen (»The Hand of God«); Wilfred (David Haig), ein therapierter Kinderschänder, erliegt erneut der Versuchung seiner Dämonen (»Playing Sandwiches«); Marjory (Julie Walters) hält ihr Heim in aseptischer Reinlichkeit und begreift, daß ihr Mann nicht nur ein Hundefreund sondern auch ein Serienmörder ist (»The Outside Dog«); Rosemary (Penelope Wilton), unglücklich verheiratet und subtil unterdrückt, erblüht in der kurzen Freundschaft zu einer Nachbarin, die ihren repressiven Gatten getötet hat (»Nights in the Gardens of Spain«); Violet (Thora Hird), die älteste Bewohnerin eines Seniorenheims, erwartet den Geburtstagsgruß der Queen, während sie an jenes königliche Telegramm zurückdenkt, das ihr den Tod eines geliebten Menschen auf dem Schlachtfeld verkündete (»Waiting for the Telegram«). Es sind minimalistische Sittenbilder, die Bennett ohne jede Sentimentalität ausbreitet, herzbewegende, fatale, kuriose Episoden über soziale Vereinsamung und seelische Not, dramödiantische Fälle von menschlicher Sprachlosigkeit, die ihr Ventil in intensiven Selbstgesprächen findet. Naivität ist den »Talking Heads« dabei nicht zu unterstellen: Sie alle wissen nur zu gut, welch bizarrer Wirklichkeit sie mit blumigen Umschreibungen und aparten Euphemismen einen Anschein von Normalität zu verleihen suchen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen