Einige Filme von Paul Schrader
1979 | »Hardcore« (»Hardcore – Ein Vater sieht rot«)
»Turn it off! Turn it off!! TURN IT OFF!!!« oder »Völlige Verderbtheit, bedingungslose Erwählung, begrenzte Versöhnung, unwiderstehliche Gnade und die Beharrlichkeit der Heiligen.« Schraders Schmuddel-Meditation über Calvinismus und Pornographie: Die halbwüchsige Tochter des tiefreligiösen Mittelwestlers Jake VanDorn (George C. Scott) geht auf einer Klassenfahrt in Kalifornien verloren. Die Polizei ist ratlos. Ein schmierig-fusselhaariger Privatschnüffler (Peter Boyle) findet die Spur des Mädchens – und präsentiert dem schockierten Vater den Auftritt seines Kindes in einem billigen Hardcore-Streifen … Als Reinkarnation von Ethan Edwards begibt sich der moderne »searcher« auf eine Reise durch das neonbunte Inferno der amerikanischen Lustindustrie, tarnt sich mit Toupet, falschem Schnauz und großgemusterten Hemden, deren Kragenspitzen bis (fast) zum Bauchnabel reichen, trifft auf großkalibrige Typen mit so klingenden Namen wie ›Jism Jim‹ oder ›Big Dick Blaque‹ – und muß der schrecklichen Wahrheit ins Auge sehen. Die Welt des Sex und das Reich des Glaubens sind spiegelbildliche Universen, deren Bewohner ähnliche Blessuren tragen. Die sonderbare Unentschiedenheit des schroffen Werkes zwischen moralischem Thrill und zynischer Parodie sorgt gleichermaßen für Irritation wie für Intensität.
1980 | »American Gigolo« (»Ein Mann für gewisse Stunden«)
»Emotions come I don't know why.« Schrader präsentiert in geschmackvollen Bildern, erzählerisch aber relativ mitleidlos die Höllenfahrt eines schönen, eitlen, dummen Mannes, des professionellen Frauenbeglückers und scheinbaren Glückskindes Julian Kay (für die Rolle geboren: Richard Gere). Etwas gemildert wird die Fallhöhe allein dadurch, daß Los Angeles, der Ort, an dem dieser Pfau seine Federn spreizt, auch schon wie ein Kreis der Hölle wirkt. Gerettet (jedenfalls emotional) wird der tief (auf sich selbst zurück-)gefallene Engel des Stolzes durch die (echte) Liebe einer (verheirateten) Frau (mit sexy Zahnlücke: Lauren Hutton). Was durch Look (John Bailey), Kostüm (Giorgio Armani) sowie (freundlich gesagt) Musik (Giorgio Moroder) ganz dem Geist (?) seiner Zeit (den frühen Achtzigern, dem Laissez-faire der beginnenden ›Reagan Revolution‹) verhaftet scheint, erhält durch Schraders materiell präzisen, gleichwohl transzendentalen Style überraschend gültige, dem flüchtigen Moment dauerhaft enthobene Bedeutung: »Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?« (Nichts.)
1985 | »Mishima: A Life in Four Chapters« (»Mishima«)
Yukio Mishima war wohl eine der seltsamsten Figuren des an seltsamen Figuren nicht eben armen 20. Jahrhunderts: schwuler Erzreaktionär, westlich geprägter japanischer Nationalist, intellektueller Partylöwe, todesbesessener Ästhet, Gründer einer Privatarmee. »Wenn du schon Schriftsteller werden willst«, soll der Vater zum jungen Yukio gesagt haben, »dann gefälligst der beste Japans.« Schrader verarbeitet das Leben, das Werk und den, ebenso spektakulären wie fotogenen, Tod des Romanciers Mishima zu einem formal und narrativ ausgefallenen Kaleidoskop in vier Kapiteln – »Beauy«, »Art«, »Action«, »Harmony of Pen and Sword« –, das Dank einer luziden Kamera (John Bailey), einer überaus kunstvollen Ausstattung (Eiko Ishioka) und einer treibend-aufwühlenden Musik (Philip Glass) zu keinem Zeitpunkt papiern oder theoretisch bleibt. In die Parallelerzählung von prägenden biographischen Stationen und dramatischem letzten Lebenstag Mishimas schiebt Schrader geschickt drei fulminante kinematographische Kondensate von Werken des Dichters: Weiter als »Mishima« kann eine filmische Lebensbeschreibung vom Flachsinn gängiger Biopics kaum entfernt sein. Bemerkenswert: Ohne die Unterstützung von Francis Ford Coppola und George Lucas (!) hätte dieses exzentrische Werk wohl niemals realisiert werden können.
1990 | »The Comfort of Strangers« (»Der Trost von Fremden«)
Befremdlich-bestrickendes venezianisches Rondo nach einem Roman von Ian McEwan über zwei Paare (die Jungen: Rupert Everett & Natasha Richardson, die Älteren: Christopher Walken & Helen Mirren), die sich in einem sexualisierten Ballett aus Anziehung und Abstoßung auf einen definitiven Höhepunkt zubewegen. Schrader inszeniert die in Schönheit sterbende Lagunenstadt als schwülen Abgrund tödlicher Leidenschaft, stattet seine stilvoll-morbide Etüde (Kamera: Dante Spinotti, Musik: Angelo Badalamenti) über Erziehung und Begierde, Lust und Zerstörung, Gewalt und Geschlechterbilder mit erlesenen Requisiten aus: angefangen bei samtenen Fortuny-Lampen, über weiße Armani-Anzüge und handbestickte seidene Hausmäntel bis hin zu imaginären mascara-gefärbten Schnurrbärten.
2002 | »Auto Focus«
Die sexuelle Revolution frißt ihre Kinder … Schrader verfolgt wiederum mit insistierendem Blick die menschliche Talfahrt eines gefühlsbehinderten Mannes, lehnt sich diesmal an historisch verbürgtes Geschehen an. Greg Kinnears Darstellung des dauergrinsend-verlogenen, immergeil-weibstollen, fick- und videobesessenen TV-Stars Bob Crane (beliebter Darsteller der Sixties-Sitcom »Hogan’s Heroes«), eines inwendig vereinsamten Typen, der sein ganzes Leben lang nichts rafft und noch als Leiche glaubt, daß Männer einfach nur Spaß haben sollten, hat seltene, abgründige Größe. Willem Dafoe gibt die falschlächelnde Nemesis des erotomanen Antihelden so reptilienhaft-unheilschwanger, wie man es von ihm erwarten darf. »Auto Focus« ist eine klaustrophobische Charakterstudie über Sucht, Entfremdung und totalen Ich-Verlust, eine bitter-komische Tragödie ohne Katharsis.
2007 | »The Walker«
Schrader liefert eine Um- und Neuinterpretation seines ewigen lonely drifter als näselnder fifty-something mit toupetverbrämter Halbglatze. Nach dem »Taxi Driver« (to drive!) Travis Bickle, dem »American Gigolo« Julian Kay (ein ›K‹ à la Kafka), dem »Light Sleeper« John Le Tour (tour = Reise, Fahrt) nun also »The Walker«. Nach N.Y. und L.A. diesmal Washington D.C. Nach urbaner Gewalt, Prostitution und Drogen nunmehr Politik. Im Grunde immer wieder der gleiche Film – immer wieder ein Mann allein in der Welt, alleine gegen die Welt. Carter ›Car‹ Page III – künstlich bis zur Echtheit gespielt von Woody Harrelson –, unwürdiger Sproß einer Dynastie von Stützen der Gesellschaft, gerät in den Strudel einer Intrige, die ihn Freiheit und Ehre (ja, die hat er) kosten könnte. Aber Car (»I’m not naïve ... I’m superficial.«) wartet nicht auf Erlösung, er wehrt sich: Der schwule Verächter und scharfzüngige Profiteur des Systems wird zum letzten Moralisten im Sumpf der Interessen ... Eher um ihn herum als an seiner Seite: Kristin Scott Thomas, Lily Tomlin, Lauren Bacall – die Schranzen und Parzen des Politbetriebs. Ein seltenes Vergnügen, ihnen allen beim oberflächlich-hintergründigen Tun zuzuschauen.
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