Fünf Berlin-Filme aus der Zeit des Nationalsozialismus
1938 | »Die vier Gesellen« von Carl Froelich
»Wir empfinden es nicht als richtig, wenn das Weib in die Welt des Mannes eindringt.« (Adolf Hitler) Was nicht paßt, wird passend gemacht – in diesem Fall eine junge Frau, die mehr vom Leben will als einen Gatten und eine Schürze. Ingrid Bergman (in ihrem ersten und letzten deutschen Film) spielt Marianne, eine Berliner Gebrauchsgrafikerin, die nach dem Studium nicht daran denkt, den gönnerhaften Kunstlehrer (Hans Söhnker) zu heiraten, sondern ihren erlernten Beruf ausüben will. Zusammen mit drei Kommilitoninnen hebt sie eine eigene Agentur aus der Taufe – »Die vier Gesellen«, die sich gegenseitig Zusammenhalt und Treue schwören: »Geschäftsinteresse geht vor Privatinteresse!« Der Weg zum Erfolg ist lang und dornig, die große Stadt erweist sich als ebenso vielversprechend wie mitleidlos. Als nach zähem Ringen endlich die Früchte der Arbeit reifen, zerfällt der Frauenbund in seine Bestandteile: Der Traum von beruflicher (≈ menschlicher) Selbstfindung und -bestimmung platzt angesichts der ewig weiblichen (≈ natürlichen) Sehnsucht nach Einordnung ins Liebes- und Eheglück. Im Gewand einer launigen Komödie über die Zähmung einer »Widerspenstigen« betreibt Carl Froelich die bemerkenswert unverstellte Glorifizierung von rabiater Dressur: Marianne, die anfangs so optimistisch ausschreitet, so siegesgewiß strahlt, kann schließlich nur mehr reumütig lächelnd ihren freien Willen zur Disposition stellen, auf daß er von einem aufgeblasenen Herrn der Schöpfung herzlich aber hart gebrochen werde.
1939 | »Silvesternacht am Alexanderplatz« von Richard Schneider-Edenkoben
Von der Liebe und den Menschen schwer enttäuscht, will Herr Reinhardt (Carl Raddatz) seinem Leben in der Silvesternacht ein Ende setzen. Notarzt Dr. Storp (Hannes Stelzer) überredet seinen daseinsmüden Freund, den Abgang um einige Stunden zu verschieben und die Jahreswende mit ihm in der Rettungsstelle am Alexanderplatz zu verbringen. In den Straßen und Kneipen, in den Wohnungen und Vergnügungsetablissements rund um die verkehrsumflutete Berolina ereignen sich mehr oder weniger dramatische Vorkommnisse, kreuzen sich mehr oder weniger alltägliche Schicksale. Autor und Regisseur Richard Schneider-Edenkoben versucht die Quadratur des Kreises, indem er einerseits kiezige Milieuechtheit und urbane Quirligkeit in den aufwendigen Studiobauten zu erzeugen versucht, andererseits aber unmißverständlich klarlegt, daß der legendäre »Alex« längst kein sozialer Brennpunkt mehr ist: Die Nutten und die Luden, die Kriminellen und die Kriminaler, die einst den rauhen Charme der Gegend ausmachten, sind verschwunden; ein Tanzlokal mit gläserner Rutschbahn bildet inzwischen den Gipfel des Verruchtheit. In diesem Umfeld behandelt Dr. Storp zwielichtige Spiritisten, bringt er herzensgute Knastbrüder auf den richtigen Weg, leistet er Geburtshilfe, tröstet er deprimierte Ehefrauen, redet er gutbürgerlichen Schluckspechten ins Gewissen; nur die eigene Eifersucht kann er nicht kurieren, was beinahe zum Bruch mit seiner Verlobten führt, die lieber mit Freunden feiert, anstatt zu Silvester alleine zu Hause zu sitzen. Trotz der kaleidoskopischen Anlage des Films, bleiben die avantgardistischen Montagetechniken eines Alfred Döblin außen vor: Anstelle des schroffen Neben- und Gegeneinanders der Metropole herrscht volksgemeinschaftliche Versöhnlichkeit in der Kleine-Leute-Welt. Hier finden auch potentielle Selbstmörder zurück ins Leben.
1942 | »Zwei in einer großen Stadt« von Volker von Collande
Menschen am Sonntag im Krieg oder 13 Stunden in Berlin. Flieger Bernd (Karl John) nutzt einen kurzen Fronturlaub, um eine alte Flamme zu besuchen, die, wie sich herausstellen wird, längst mit einem anderen verlobt ist. Aber da ist auch die spröde Rot-Kreuz-Schwester Gisela (Monika Burg), der Bernd auf dem Bahnhof Friedrichstraße begegnet, und die just an diesem Tag von der fürsorglichen Oberhelferin ›Mutti‹ (Käte Haack) zur Zwangserholung geschickt wird. Am Wannsee treffen sich die beiden wieder. Gisela mag den forschen Bernd, aber es dauert ein Weilchen, bis sie dieses Gefühl 1. sich eingestehen und 2. ihm zeigen kann. Volker von Collandes leichtgewichtige, süß verlogene Kriegsromanze will nichts vom Kriege, nichts von Angst und Schrecken wissen: »Zwei in einer großen Stadt, / die ein goldner Traum verzaubert hat, / sehen Kummer nicht und Leid, / seh’n nur ihre Seligkeit. / Und die Welt ist nicht mehr kalt und glatt.« Berlin wird wie eine Touristenbroschüre aufgeblättert, zeigt sich von der idyllischen Seite: Badespaß und Dampfertour, Droschenkenfahrt und Zoobesuch. Der friedselige (Heimat-)Film beschwört die provinzielle Gemütlichkeit einer Herz-und-Schnauze-Metropole, wo noch im dichtesten Verkehrsgewühle niemand verloren geht, wo sich alle Mißverständnisse in Wohlgefallen auflösen, wo aus Einzelgängern »Doppelgänger« werden. Stolz und Pflicht schweben wie Schäfchenwolken im Himmelsblau über den Dächern der Stadt – da fallen das Dreingeben ins Schicksal und der unvermeidliche Abschied schließlich nur noch halb so schwer.
1942 | »Die große Liebe« von Rolf Hansen
»Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n, / Und dann werden tausend Märchen wahr.« Während eines kurzen Berlin-Aufenthaltes trifft der schneidige Jagdflieger Paul (Viktor Staal) auf die extravagante Sängerin Hanna (Zarah Leander) – er sieht sie auf der Bühne, erwartet sie nach der Vorstellung, folgt ihr in die U-Bahn, begleitet sie zu einem Abendempfang, landet schließlich mit ihr im Luftschutzkeller ihres Mietshauses. Das ungleiche Paar findet sich, verliert sich, verpaßt sich immer wieder, bleibt aber, trotz ausgefallener Hochzeit und fortgesetzter Trennung, eben doch: ein Paar – »fern und doch nicht fern«, füreinander bestimmt in den (wenigen) guten und den (vielen) schweren Tagen, die der Krieg den Verliebten zu bieten hat. Zwischen Berlin und Paris, zwischen Rom und Ostfront erfüllt sich »Die große Liebe« in Opfermut und in Pflichttreue, im Warten und im Verzicht, in unverlierbarer Hoffnung auf ein Wiedersehen, irgendwann, irgendwo. Rolf Hansen mischt mit propagandistischem Geschick Romanze, Revue und Kriegsfilm, gestaltet mit emotionaler Wirkungssicherheit ein doppeltes Melodram: So wie sich Hanna nach dem fast immer abwesenden Paul verzehrt, verzehrt sich Hannas musikalischer Begleiter Alexander (Paul Hörbiger) nach der anderweitig interessierten Diva. Die Liebe (≈ das Leben) in den Zeiten des Krieges erscheint als ewiges Später, als unweigerliches Woanders, als lustvoll leidendes Durchhalten: »Davon geht die Welt nicht unter, / Sieht man sie manchmal auch grau. / Einmal wird sie wieder bunter, / Einmal wird sie wieder himmelblau.«
1943 | »Großstadtmelodie« von Wolfgang Liebeneiner
Einen »Berlin-Film« annonciert der Untertitel, und in der Tat dient die dünn gezwirbelte Handlung vor allem als Aufhänger für vielerlei stimmungsvolle Großstadtimpressionen. Wolfgang Liebeneiner inszeniert den in sonniger Vorkriegszeit spielenden Film um seine Ehefrau Hilde Krahl in der Rolle einer ambitionierten Nachwuchsfotografin: Nachdem sie es mit einer zufällig geschossenen Reportageaufnahme aufs Titelblatt der ›Berliner Illustrirten Zeitung‹ brachte, beschließt Renate, die Enge ihres süddeutschen Heimatstädtchens zu verlassen, um berufliches (und privates) Glück in der großen Stadt zu suchen – und schwupp steht sie mit Tirolerhütchen mitten im Verkehrstrubel auf dem Potsdamer Platz: Straßenbahnen von links, Busse von rechts, Autos von überall. Die Metropole hat nicht auf die Neuzugängerin gewartet, gibt sich hektisch, kaltschnäuzig, abweisend, will erobert werden. Renate nimmt die Herausforderung an, trotzt allen Widerständen, setzt sich durch, indem sie, peu à peu, einen eigenen Blick auf die Stadt entwickelt, wird somit zur Berlinerin. In der selbstverständlichen Anerkennung weiblicher Autonomie bewahrt die Erzählung eine Ahnung von urbaner Modernität, indes sich die filmische Betrachtung Berlins weitgehend mit der Aneinanderreihung von Oberflächenreizen begnügt: Renates Auge und das Objektiv der Kamera sehen keinen komplexen Organismus sondern ein Potpourri poetischer Motive: Berlin am Wasser, Berlin bei Nacht und, immer wieder, (glückliche) Gesichter in der Menge: begeisterte Zuschauer beim Sechstagerennen, versonnene Arbeiter bei einem Fabrikkonzert der Philharmoniker, jubelnde Menschen bei einer Goebbels-Rede. Liebeneiners beschwingte Melodie der Großstadt ist frei von Dissonanzen, damit letztlich auch frei von Realität – daß zum Zeitpunkt der Uraufführung bereits Zehntausende von jüdischen Berlinern deportiert worden waren, daß schon Dutzende von Bombenangriffen das Antlitz Berlins ramponiert hatten, scheint eine gleichnamige Stadt in einem Paralleluniversum zu betreffen.
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