23. Juni 2022

Von Männern, Frauen und allen anderen

Drei Filme von Blake Edwards

Blake Edwards, der in wenigen Wochen 100 Jahre alt geworden wäre, war einer der kommerziell erfolgreichsten Hollywood-Regisseure seiner Generation (Pink!) – und hat zudem einige der größten Flops der Filmgeschichte auf der Rechnung. (Seine musikalische Spionagedramödie »Darling Lili« brachte Paramount an den Rand des Bankrotts.) Edwards’ Karriere war eine Art Wechselbad von Triumph und Desaster, was dem Umstand geschuldet sein mag, daß die Mogule der Traumfabrik, die einfach nur einem Komödienlieferanten wollten, sich einem genialischen, bisweilen genialen Künstler gegenüber sahen. Wundersamerweise rappelte sich Edwards, wie die Helden seiner atemberaubenden Slapstick-Farcen, trotz aller Schlappen immer wieder auf und schüttelte nonchalant Meisterwerke aus dem Ärmel, so zum Beispiel Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als er eine besonders gute Strecke hatte. Once upon a time ...


1979 | »10« (»Die Traumfrau«)

»I don’t like ... middle age.« George Webber (Dudley Moore), erfolgreicher Komponist eingängiger Songs (»I’m very big in elevators.«), Bewohner einer schmucken Villa in Beverly Hills, liiert mit der selbstbewußten Sängerin Sam (Julie Andrews), trägt schwer an der Tatsache, 42 geworden zu sein. Alles um ihn herum duftet nach Jugend, Anmut, Sex, George fühlt sich alt, alt, alt. »He’s just going through male menopause«, meint sein bester Freund, der Textdichter Hugh (Robert Webber), der sich der Gesellschaft eines knackigen (wenn auch flatterhaften) Lovers erfreut. Die Midlife-Crisis wird akut, als George die (in seinen Augen) makellos schöne Jenny (Bo Derek) erblickt, sich seine unbestimmte Sehnsucht (nach Leidenschaft? nach Unschuld? nach Erlösung?) mithin leibhaftig manifestiert: »She was the most beautiful girl I had ever seen.« Dumm nur, daß sich das betörende Objekt der Begierde gerade auf dem Weg zum Traualtar befindet ... Edwards’ »romantische Komödie« (die eher einer wehmütigen Klamotte gleicht) zeichnet das ebenso nachsichtige wie gnadenlose Portrait eines Mannes in den zweitbesten Jahren, eines Mannes, der sich seiner selbst nicht mehr sicher ist, der nicht weiß, wer er ist, was er will, wo (und ob) er steht. Ziemlich unbarmherzig blickt Edwards daneben auf die Welt, in der George lebt, in der er versucht, er selbst zu sein, zu bleiben oder (wieder) zu werden, eine Welt der monotonen Oberflächenreize, der fremdbestimmten Libertinage, der wortreichen Sprachlosigkeit, eine Welt, die Prokofjew und Ravel zu Anbietern von Fickmusik degradiert. Was bleibt da der getriebenen Seele, nach vielen Irrungen und Wirrungen? Die Bejahung des Unvermeidbaren: nach Hause gehen, älter werden, sich lieben lassen. Nicht das Schlechteste, möglicherweise. PS: »Nobody’s perfect.« – »Thank God.«

1981 | »S.O.B.« (»Hollywoods letzter Heuler«)

»I am going to show my boobies. Are you here to see my boobies?« Keine andere als Julie Andrews (der asexuelle Unschuldsengel aus »Mary Poppins« und »The Sound of Music«) ist es, die diese freimütigen Sätze spricht – in Edwards’ autobiographisch grundierter und dabei erfrischend herzloser Hollywood-Satire (deren rätselhafter Titel ein Akronym für den Begriff »standard operational bullshit« darstellt) spielt sie Sally Miles, Ehefrau und Star des zum ersten Mal glücklosen Produzenten Felix (!) Farmer (Richard Mulligan), der mit Werken wie »Love on a Pogo Stick«, »Invasion of the Pickle People« oder »Odyssey of Pain« reich und berühmt wurde. Nach der Mega-Pleite seines jüngsten Streifens, des zuckrigen Musicals »Night Wind«, unternimmt er zunächst mehrere Versuche sich zu entleiben, dann erkennt Felix in einem Moment der Erleuchtung das Problem: »We sold them schmaltz, they prefer sadomasochism.« Er beschließt, dem Publikum zu geben, was des Publikums ist, und die blitzsaubere Familienunterhaltung (»Polly wolly doodle all the day!«) mit reichlich äußeren Werten zu pimpen. Edwards sublimiert seine eigene Höllenfahrt über die Fließbänder der Traumfabrik zu einem alptraumhaft-burlesken Sex-Lügen-und-Zelluloid-Sittenbild, das weder falsche geschmackliche Rücksichten nimmt, noch vor echter Sentimentalität zurückscheut. Neben Andrews’ Brüsten (ja, sie hat welche) brillieren William Holden als zynisch-loyaler Regisseur, Robert Preston als weltklug-vitaminverspritzender Modearzt, Robert Webber als sensibel-hysterischer PR-Mann, Robert Vaughn als beinharter Studioboß im Fummel und Shelley Winters als Agentin, die jede Schweinerei befürwortet, wenn sie nur »künstlerisch gerechtfertigt« ist. PS: »Fare thee well, fare thee well, fare thee well, my fairy fay.«

1982 | »Victor/Victoria«

»A woman pretending to be a man pretending to be a woman?« – »Ridiculous!« –»Preposterous!« – »In fact it’s so preposterous no one would ever believe it.« Paris, im Winter 1934: Die englische Opernsängerin Victoria Grant (glam: Julie Andrews) ist am Ende – kein Engagement, kein Geld, keine Aussicht auf eine warme Mahlzeit. In dieser Situation kommt ihr Leidensgenosse, der Chansonnier Carroll »Toddy« Todd (camp: Robert Preston), auf eine ebenso absurde wie glorreiche Idee: Aus der arbeitslosen Diva wird der schwule polnische Graf Victor Grazinski, der in seinem Land als Travestiekünstler angeblich eine Berühmtheit ist und sich als solche/r nun anschickt, die Nachtclub-Bühnen von Gay Paree zu erobern. Die Rechnung geht auf – Victor/ia wird über Nacht zum Star –, dann aber taucht in Person des Chicagoer Unterweltlers King Marchand (tough: James Garner) ein Herzkönig auf, der das geschlechtliche Rollenspiel zum emotionalen Drahtseilakt macht: »Crazy world / full of crazy contradictions.« ... Edwards nimmt das Thema der sexuellen Identität nicht ernster als nötig, plakative Showeffekte sind ihm allemal wichtiger als subtile Introspektion, Klischees bedient er im gleichen Maße wie er sie unterläuft, Stereotype werden im selben Moment absichtlich genutzt und spöttisch entlarvt. Bissige Dialoge, groteske Slapstickeinlagen, nostalgisch-elegante Panavision-Bilder (Dick Bush), stylisch-opulelente Art-Déco-Kulissen (Rodger Maus) und schwungvoll-ironische Revue-Nummern (Henry Mancini) fügen sich zu einer romantisch-musikalischen Komödie über Schein und Sein, zu einem deliziösen Cocktail aus Glamour und Esprit, Doppelbödigkeit und Demaskierung. PS: »Au revoir.« – »Me too.«

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