1. Januar 2022

Schwarz sehen (8)

Drei Nachkriegsfilme von Yves Allégret (1907-1987)

1948 | »Dédée d’Anvers« (»Die Schenke zum Vollmond«)

Ein fatalistisches Hafenmelodram, ein nebelumschleiertes Notturno in der poetisch-realistischen Tradition von Carné und Prévert: Die wehmutsvolle Dirne Dédée (Simone Signoret) – von ihrem Luden Mario (Marcel Dalio als larmoyanter Macho) nach Strich und Faden ausgenutzt, von Monsieur René (Bernard Blier als beherzter Schankwirt des Amüsierschuppens ›The Big Moon‹) still verehrt – erwartet von den Männern nichts mehr außer ihrem Geld. Allégret zeigt seine Protagonistin (auf Stöckelschuhen und im Marabumantel) als leicht ramponierte Schönheit, der nur, wenn die verdammten Kerle sich in den schummerlichtigen Straßen von Antwerpen gegenseitig blutig schlagen, ein befriedigtes Lächeln über das verlockend aufgeschminkte Gesicht huscht. Die Liebe zu dem italienischen Kapitän Francesco (Marcello Pagliero als ehrbarer Schmuggler) trifft Dédée wie eine Hoffnungsstrahl, mit der unerwarteten Begegnung scheint sich für sie das Tor in eine bessere Zukunft zu öffnen. Doch die Gesetze des Rührstücks wollen es anders: Eifersucht lodert, Schüsse fallen, ein Toter sinkt auf das naßglänzende Pflaster des Quais. So symbolisiert der Hafen nicht den Ort eines möglichen Aufbruchs sondern eine finstere Sackgasse, aus der auch kaltblütige Rache keinen Ausweg weist.

1949 | »Une si jolie petite plage« (»Ein hübscher kleiner Strand«)

Ein kleiner Flecken am Meer, ein verlassener Strand im Winter, ein schwarzes Drama unter endlosem Regen. Ein junger Mann (Gérard Philipe), einsam und unendlich traurig, kommt zur Unzeit (»En été, c’est une si jolie petite plage.«) als Gast in den trostlosen Badeort. (Ist es eine Flucht? Ist es eine Rückkehr? Oder beides?) Er sucht Ruhe und Vergessen, findet jedoch nichts als Trübsinn und quälende Erinnerungen. Nach und nach, in flüchtigen Blicken und beiläufigen Dialogen, durch alltägliche Geräusche und ein schmalziges Chanson, in Szenen, die wie Spiegelungen einer häßlichen Vergangenheit erscheinen, enthüllt sich die Vorgeschichte des rätselhaften Besuchers: Da sind ein geschundener Waisenjunge und der Glaube an einen Ausweg, eine schöne Frau und das trügerische Versprechen auf Glück, und da ist – ein Mord. Allégrets Film über die Nachsaison des Lebens, ein kleines Meisterwerk des poetischen Pessimismus (von Henri Alekan erlesen in schwermütigstem Schwarzweiß fotografiert), macht wenig Hoffnung auf ein besseres Morgen und erlaubt (fast) keine Illusionen über das Wesen der Menschen: Im großen und ganzen sind sie alle so gemein wie die Hotelwirtin (Jane Marken), die sich für ihr lausiges Städtchen ein Tuberkulose-Sanatorium wünscht – denn die Schwindsucht ist (wie übrigens die Bosheit) eine Krankheit, die dauert …

1950 | »Manèges« (»Eine Frau im Sattel«)

»C’est pas possible ... c’est pas possible ... c’est pas possible.« Robert (Bernard Blier), Besitzer eines Reitstalls in Neuilly, nicht weit vom Bois de Boulogne, steht kummervoll am Krankenbett seiner geliebten Frau Dora (Simone Signoret), die bei einem Unfall lebensgefährlich verletzt wurde. Am Vorabend der allesentscheidenden Operation vernimmt er aus dem Mund seiner Schwiegermama (Jane Marken) die wahre Geschichte seiner Ehe: Von Anfang an war der Gatte für seine Angetraute und deren Mutter (die nichts dabei findet, die eigene Tochter, gleich einer Zuhälterin, legitim anschaffen zu schicken) lediglich ein williger Goldesel, ein Einfaltspinsel, der das schrille Hohngelächter, das ihm entgegenschallt, für fröhliche Wertschätzung nimmt. »Les femmes et le patin« könnte dieses schwarzgallige (bisweilen geradezu karikaturenhafte) Sittendrama über die Abgründe weiblicher Berechung heißen – aber handelt es sich um einen misogynen Film? Wohl eher um ein zutiefst misanthropisches Werk: Kommen Frauen als raffgierige Schlangen oder verlogene Luder daher, zeigen sich Männer als blinde Trottel oder lüsterne Strolche. In der lichtlosen Welt des Yves Allégret sind die Menschen nicht nur von Gott und allen guten Geistern verlassen, sie scheinen auch nichts Besseres verdient zu haben.

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