28. Mai 2016

À la recherche des parents perdus

DVD | »Avril et le monde truqué« (»April und die außergewöhnliche Welt«) von Franck Ekinci, Christian Desmares und Jacques Tardi (2015)

Was wäre, wenn ... der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 nicht stattgefunden hätte? Im Jahre 1941 herrschte Napoléon V. über das französische Kaiserreich, Paris gliche einer retrofuturistischen Belle-Époque-Metropole à la Jules Verne, und weil seit Jahrzehnten die besten Köpfe der Wissenschaften auf mysteriöse Weise verschwinden, wären bedeutende Entdeckungen und Erfindungen nie gemacht worden. Der fantastische Animationsfilm »Avril« spielt in einer Welt ohne moderne Physik, ohne Elektrizität, ohne Nutzung von Öl. Einzige Energiequellen sind Kohle und Holz; über unwirtlichen Städten und baumlosen Landschaften liegen Dampf und Qualm, Rauch und Ruß. Die junge Heldin, Tochter eines ebenfalls verschwundenen Forscherehepaares, wird auf der Suche nach den Eltern (die an einem Unverwundbarkeitsserum arbeiteten) zusammen mit ihrem sprechenden Kater Darwin, ihrem beherzten Großvater Pops und dem zwielichtigen Straßenjungen Julius in haarsträubende Abenteuer verwickelt, die in der unterirdischen Begegnung mit überraschend menschenähnlichen Echsen ihren dramatischen Höhepunkt finden. Comic-Künstler Jacques Tardi (»Adèle Blanc-Sec«, »Nestor Burma«, »Le cri du peuple«) (re-)mixt für das visuelle Universum seiner Steampunk-Uchronie – detailfreudig, ironisch und ohne dabei den ureigenen Stil zu verlieren – magischen Realismus, ökologische Dystopie und vergangene Zukunftsträume, die kristallklare Düsternis von Feuillade, die alptraumhaften Märchenwelten von Miyazaki und die expressiven Science-Fiction-Visionen von Fritz Lang zu einem eklektizistischen Grafiktrip der Extraklasse.

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