2. Februar 2015

Wohlstand für (fast) alle

Zwei Fernsehspiele von Rainer Erler

1962 | »Seelenwanderung«

Die von Karl Wittlinger geschriebene »Parabel für das Fernsehen« blendet zurück in die frühen Nachkriegsjahre: Zwei Habenichtse, der dicke Bum und der dünne Axel (Wolfgang Reichmann und Hanns Lothar), sitzen zusammen in der Kneipe, saufen sich einen an, sinnieren über ihr trauriges Los. Bum identifiziert seine Nächsten­liebe als Ursache der Not: Eine Seele von Mensch sei zu gut für diese Welt. Dann solle er sich des Störfaktors doch entledigen, rät Axel. Also denkt Bum seine Seele in einen Schuhkarton, der, gut verschnürt, im Leihhaus für fünf Mark Pfandkredit versetzt wird. »Mit fünf Mark sind Sie dabei«, lautete ein berühmter Slogan der fünfziger Jahre. Auch Bum ist nun dabei und verwandelt, von allen Zwängen befreit, den kleinen Betrag in ein sagenhaftes Vermögen. Obwohl es von der Veräußerung einer Seele erzählt, läßt das Stück, halb Kabarett, halb Moralpredigt, weniger an Fausts Teufelspakt denken als an die Geschäfte von Peter Schlemihl, von Peter Munk, von Balduin (dem Studenten von Prag), die Schatten, Herz, Spiegelbild gegen Geld und Fortkommen tauschten. Bum freilich schließt den Handel nicht mit einem zweifelhaften Fremden sondern gleichsam mit sich selbst: Der rasante bundesdeutsche Aufschwung, so insinuiert »Seelenwanderung«, gründet auf dem mutwilligen Ausschalten von menschlicher Regung. Natürlich bleibt der Katzenjammer nicht aus, und schließlich ist es der auf der Strecke des Booms gebliebene Axel, der die arme Seele erlösen muß. Rainer Erler inszeniert seinen ersten abendfüllenden Film mit auffallender visueller Phantasie (Kamera: Günther Senftleben) als elegisch-ironisches Traktat über Wirtschaft und Wunder, über Metaphysik und Materialismus; die auf einer Müllhalde spielende große Abrechnungsszene zwischen den gewesenen Freunden weist voraus auf spätere, zivilisationskritische Werke des Regisseurs: Am Ende bleibt vom ganzen Wohlstand nichts als ein riesiger Haufen Dreck.

1963 | »Orden für die Wunderkinder«

Nach dem vierten Gefängnisaufenthalt beschließt Heiratsschwindler Ferdinand Ziegler (Carl-Heiz Schroth), das Metier zu wechseln. Angeregt durch die feierliche Atmosphäre einer Ordensverleihung, befördert sich der kultivierte ältere Herr kurzerhand zum Oberregierungsrat im Ministerium des Innern, organisiert entsprechendes Briefpapier samt Stempel und verleiht Verdienstkreuze an Staatsbürger, die (es) verdient haben – wobei er die solchermaßen Ausgezeichneten im gleichen Atemzug freundlichst um eine Kostenbeteiligung an der Übergabezeremonie ersucht. Der selbsternannte Amtsträger handelt (nicht ganz uneigennützig) im Sinne des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuß, der das Verleihen von Ehrenzeichen als »einfaches Gebot der Staatsräson« bezeichnete, könnte es doch dazu beitragen »ein integrierendes Band zwischen dem Staat und seinen Bürgern zu knüpfen« und »somit die Staatsmoral stützen«. Rainer Erler zieht – mit einem kräftigen Seitenhieb auf Bürokratismus und Beamtenblindheit – den Wert der Dekorierungen einerseits unterhaltsam in Zweifel, pinselt der Klimbim doch vor allem die Bäuche derjenigen, die ihr Herz nur im Hinblick auf Prestige und Karriere an das zierende Blech hängen, andererseits beschreibt die elegante Satire das Knüpfen eben des von höchster Stelle beschworenen »integrierenden Bandes«, welches ethische Grundsätze allerdings eher abschnürt als aufschmückt. Die gestalterische Stilisierung der amüsanten Hochstapler(auto)biographie (bemerkenswert ist insbesondere die von Rolf Zehetbauer besorgte Ausstattung) betont das komisch-karikierende Element des Spiels, ohne jedoch dem Spottbild von bornierten Staatsdienern und ruhmsüchtigen Wohlstandsbürgern die kritische Schärfe zu nehmen.

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