7. April 2014

Damals im Fernsehen

TV | »Es werde Stadt!« von Martin Farkas und Dominik Graf (2014)

»Was haben wir das Fernsehen einst geliebt.« Anläßlich der 50. Vergabe des Marler Grimme-Preises schauen Regisseur Dominik Graf und Kameramann Martin Farkas nicht nur zurück in die Annalen des Fernsehens, sie ziehen Bilanz, erörtern den Stand der Dinge, wagen einen (betrübten) Ausblick – und: sie verbinden, indem sie ein aufmerksam-gefühlvolles Portrait der Stadt Marl zeichnen, am Beispiel eines Gemeinwesens die Geschichte des Mediums mit der Geschichte der Bundesrepublik. Beide, so vermitteln die Autoren, haben einst zu Hoffnungen Anlaß gegeben, beide sind in die Jahre gekommen, beide sehen einer höchst ungewissen Zukunft entgegen. Marl, eine Planstadt für das Personal des Wirtschaftswunders, ein provinzstolzes Brasilia am Nordrand des Ruhrgebietes, und das Fernsehen der frühen Jahre, ein Laboratorium zur Verschmelzung von Avantgarde und Popularität – zwei visionäre Ideen der Nachkriegsmoderne, zwei Freiräume, in denen Geld und Geist keine Gegensätze darstellen, Orte des Aufbruchs, der Bildung und der Kultur: neue Architektur, neue Medien, neue Menschen. Der schöne Traum ist nicht von langer Dauer: Die dramatischen Veränderungen der wirtschaftlichen Strukturen lassen mit dem gesellschaftlichen Reichtum auch die Basis für Offenheit und Vielfalt, für Freiheit und Experimente schwinden. Das Ende von Bergbau und Industrie macht aus Marl eine bevölkerte Geisterstadt, so fern und so rätselhaft schön wie eine antike Tempelanlage; die Einführung des kommerziellen Fernsehens – in der Lesart des Films eine gezielte politische Maßnahme zur Brechung des aufklärerischen Willens der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten – verwandelt die Medienlandschaft in einen umkämpften Markt, führt in der Folge zu Formatierung und Standardisierung von Programmen, zum Verlust des Selbstbewußtseins von Redaktionen und Produzenten, zu massivem Quotendruck und einer fast neurotischen Angst vor jedem inhaltlichen oder formalen Wagnis. Farkas und Graf verzichten zur Untermauerung ihrer Kernthese (»Wir waren schon einmal mit allem wesentlich weiter.«) fast völlig auf Sendeausschnitte, nennen einfach nur Namen, die an das einstige künstlerische Niveau erinnern: Heinrich Breloer, Roman Brodmann, Helmut Dietl, Rainer Erler, Eberhard Fechner, Rolf Hädrich, Peter Lilienthal, Helmut Käutner, Horst Königstein, Egon Monk, Michael Pfleghar, Edgar Reitz, Georg Stefan Troller, Bernhard Wicki. Zudem kommen zahlreiche Fernsehmacher, -kritiker und -funktionäre zu Wort, die über Vergangenheit und Gegenwart des Mediums reflektieren. Das Konzert der Stimmen, die Aufeinanderfolge der sprechenden Köpfe rückt »Es werde Stadt!«, stärker als Dominik Grafs frühere Essayfilme, in die Nähe konventioneller TV-Dokumentationen; wie ein bewußter, spielerischer Bruch mutet da die eingefügte Geschichte der vergessenen Fernsehansagerin Inger Stolz an, die als Allegorie eines vormaligen, geradezu erotischen Verhältnisses zwischen Machern und Publikum, zwischen Sender und Empfänger figuriert. Heute, nach dem Zerfall von Stadt- und Medienutopien, nachdem die Kunst ihre Funktion als Sinnstifterin und Verständigungsmittel der Gegenwartskultur weitgehend verloren hat, erscheint das »Dschungelcamp« Grimme-Preis-würdig: als getreues Abbild der real-existierenden postindustriellen (Konsum- und Konkurrenz-)Gesellschaft. »Aber«, fragt Graf in seiner unnachahmlich raunenden, ironisch-melancholischen Artikulation, »wer hat diese Gesellschaft eigentlich gewollt?« Den Glauben an die Kraft des Mediums zur »Verbesserung der Welt« mag der zehnfache Grimme-Preisträger dennoch nicht aufgeben. Viel Zeit bleibt ihm und uns nicht mehr: »Haltet euch ran, Freunde.«

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