DVD | »Der Rote Kakadu« von Dominik Graf (2006)
»Es ist herrlich in dieser großen Zeit des Sozialismus zu leben.« Dresden, Sommer 1961, ein paar Monate vor dem Mauerbau: Der (mit dem Drang zum Höheren gesegnete) junge Theatermaler Siggi verliebt sich in die (von der Staatsmacht verhinderte) junge Dichterin Luise, die mit dem (wild in den Tag hineinlebenden) jungen Arbeiter Wolle verheiratet und (trotz dessen erotischen Eskapaden) emotional aufs Engste verbunden ist. Die spannungsvolle Dreierkonstellation bildet zwar den dramaturgischen Kern des Films, aber »Der Rote Kakadu« ist in allererster Linie das Porträt einer Zeit, eines Ortes, einer historischen Situation und einer ganzen Reihe von Menschen, die zu dieser bestimmten Zeit an diesem bestimmten Ort in dieser bestimmten historischen Situation leben (müssen). Basierend auf einem Stoff des Regisseurs Michael Klier, der eigene (Jugend-)Erinnerungen zu einem Drehbuch verarbeitete, umreißt Dominik Graf eine Welt zwischen hoffnungsvollem Aufbruch und revolutionärem Glücksanspruch auf der einen sowie ideologischer Determination und brutaler Angstmacherei auf der anderen Seite, eine Welt, die den Kosmos erobert und gleichzeitig die irdischen Grenzen verrammelt, eine Welt, in der die Wunden, die der Krieg schlug, so präsent sind, wie die Verheißungen der Zukunft, wo der Glaube an die Liebe und an Bessere im Menschen so real ist wie das Wissen um Vergänglichkeit und um die Möglichkeit des Verrats. Und dann ist da natürlich die Musik, die von der Combo im ›Roten Kakadu‹ gespielt wird oder auf der Wiese vom tragbaren Plattenspieler erschallt, die Musik, die Freiheit bedeutet, Selbstbestimmung und Herrschaftslosigkeit, die Musik als Utopie … Graf koppelt geschickt und schlüssig die Melancholie der Rückschau mit skurriler Situationskomik und krasser Dramatik, er blickt mit Feingefühl und Verständnis auf seine Charaktere: auf den schwulen Dramaturgen, den sein »Anderssein« auf politischen Kurs brachte, und auf die nymphomane Sekretärin, die, noch wenn sie die eigene Entlassung tippt, nur ihren Unterleib im Kopf hat, auf die kaputt-verzickte Schauspielerin, die die Vergangenheit in spiritistischen Sitzungen beschwört, und auf den enteigneten Unternehmer, für den es doch noch nicht zu spät ist. Und Graf liebt seine Hauptdarsteller, er liebt Max Riemelt, Jessica Schwarz und Ronald Zehrfeld, er widmet ihnen, ein halbes Jahrhundert nach der Neuen Welle, sein deutsch-deutsches »Sie küßten und sie schlugen sich«, sein »Dresden gehört uns«, sein »Schießen Sie auf das asoziale Element«, seine »Außenseiterbande«.
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