YouTube | »Nachrede auf Klara Heydebreck« von Eberhard Fechner (1969)
»Auf der Suche nach einem Menschen, den es nicht mehr gibt.« Am 10. März 1969 stirbt in Berlin-Wedding, Grüntaler Straße 59a, kleiner Aufgang, vierter Stock, eine alte Frau durch eine Überdosis Schlaftabletten. Einer von jährlich 13.000 Selbstmorden in Deutschland. Wer war die Frau? Wie hat sie gelebt? Warum wollte sie sterben? Klara Heydebreck wurde am 16. Juli 1896 geboren. Sie war evangelisch, ledig, hatte keine Kinder. Über fünfzig Jahre lebte sie im selben Haus. Dort sagt man über sie: »Die kenn ick ja jar nich.« »Sie hat ja kaum mit jemand jesprochen.« »Im Haus hat sie jar nich Kontakt jehabt.« »Die wohnte sehr zurückgezogen.« Der Regisseur Eberhard Fechner will mehr über diese Frau erfahren. Aus Erzählungen von Verwandten und Nachbarn, aus Berichten von Ärzten und Amtsträgern, aus dem minutiösen Studium von Briefen, Fotografien, Zeugnissen, Notizheften, Sparbüchern rekonstruiert »Nachrede auf Klara Heydebreck« eine Biographie, legt so die familiäre, soziale, materielle, psychologische Basis einer Existenz unter konkreten historischen Bedingungen bloß. Aussagen und Dokumente fügen sich in der Montage der brillanten Schnittmeisterin Brigitte Kirsche zum Porträt einer eigenwilligen, neugierigen, selbstbestimmten, kunstsinnigen Frau, die zur unverstandenen, schrulligen, ängstlichen, abgesonderten Alten wurde – weil sie die (auch über sie) herrschenden Umstände nie beeinflussen konnte, weil sich das Leben den Vorstellungen, die sie von sich und ihrem Dasein hatte, hartnäckig entzog. Daß Klara Heydebreck ausgerechnet wegen ihres einsamen Freitodes die teilnahmsvolle Aufmerksamkeit, welche sie zu Lebzeiten kaum je genoß, in Form eines herausragenden Dokumentarfilms zuteil wird, darf als bittere Ironie aber auch als späte Gerechtigkeit begriffen werden.
Ich liebe Fechner und seine Dokumentarfilme, seit ich 1977 den faszinierenden Zweiteiler COMEDIAN HARMONISTS sah. Immer wieder erstaunlich, wie er aus Interviews mit den unterschiedlichsten Leuten eine durchgehende Erzählung herausdestillierte. Sozusagen das Anti-Direct-Cinema, der Gegenentwurf zu Klaus Wildenhahn.
AntwortenLöschenWas mir noch fehlt, ist DER PROZESS, der sicher keine leichte Kost sein dürfte.
An der Entwicklung der Methode hatte wohl die Cutterin Brigitte Kirsche einen entscheidenden Anteil. »Klara Heydebreck« ist ja recht spontan entstanden. Fechner, der schon einige Fernsehspiele inszeniert hatte, erbot sich, einen Dokumentarfilm zu machen, da es keine MIttel für ein szenisches Projekt gab. Das Thema Selbstmord stand fest. Fechner suchte einen Fall und führte innerhalb von sechs Tagen sämtliche Gespräche. Die eigentliche filmische Konzeption entstand dann im Schneideraum.
LöschenIch habe einiges von ihm gesehen, die »Comedian Harmonists« natürlich, »Klassenphoto« und »Wolfskinder«. »Der Prozeß« fehlt mir auch noch. Ich finde es ausgesprochen schade, daß die Dokus von Fechner nicht komplett auf DVD vorliegen. Immerhin sind die Kempowski-Adaptionen erschienen – die sind ja auch primig. Zu »Klara Heydebreck« gibt es (wie zu den »Comedian Harmonists«) übrigens eine Buchveröffentlichung.