Kino | »Die Wand« von Julian Pölsler (2012)
Eine Frau (Martina Gedeck) begleitet ein befreundetes Ehepaar in dessen Jagdhaus im Gebirge. Die Freunde gehen ins Dorf, um eine Besorgung zu machen. Sie kommen nicht zurück. Am folgenden Tag will die Frau, zusammen mit dem Hund Luchs, den Verschwundenen folgen. Auf dem Weg stößt sie gegen eine unsichtbare Wand. Eine übernatürliche Kraft schließt die Frau zugleich ein (in ein Tal zwischen majestätischen Bergen) und aus (von der Außenwelt, wo sich eine namenlose Katastrophe zu ereignen schien). »Die Wand« ist der Bericht der Frau über ihr isoliertes Leben hinter dieser Wand, ein Leben, das von Tag zu Tag, von Monat zu Monat, von Jahreszeit zu Jahreszeit bäuerlicher, archaischer wird: säen, ernten, mähen, jagen in der Gesellschaft von Hund, Kuh, Katze, Krähe … Der Film »Die Wand« basiert auf dem Roman »Die Wand« von Marlen Haushofer, und wie kaum eine andere Literaturadaptionen zuvor bringt der Film von Julian Pölsler die Sprache des Romans zu Gehör. Die Stimme von Martina Gedeck intoniert die Schilderungen der Frau: Ruhig, mit fast protokollhafter Gleichmut beschreibt sie Momente von tiefer Erschütterung und grenzenloser Angst, Gefühle von Befremden und Befreiung, Situationen von magischer Schönheit und jäher Brutalität. Im Mit-, Zu- und Gegeneinander von Stimme und Bildern sowie in der geschickten Parallelführung von Bericht- und Ereignisebene liegen die Kraft der filmischen Erzählung, die das Irrationale ihrer Prämisse klugerweise nicht auflöst. Ob »Die Wand«, dieses radikale Anti-Idyll, eine Parabel auf die existenzielle Einsamkeit des Menschen ist oder die Allegorie einer Depression oder ein Menetekel globalen Unheils oder das Dokument einer Emanzipation oder eine ins surreale gewendete Heimaterzählung – es bleibt dem Betrachter vorbehalten, seine Schlüsse zu ziehen, und angesichts der überwältigenden Eindrücke von Wald und Wiese, Sonne und Schnee, Himmel und Stein das (sein) Verhältnis von (zu) Freiheit und Gefangenschaft, von (zu) Weite und Beschränkung, von (zu) Mensch und Tier, von (zu) Zivilisation und Natur zu reflektieren.
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