2. August 2017

Elle

Zwei Filme von Tony Richardson mit Jeanne Moreau

Détruire, dit-elle: »Mademoiselle« (1966)

»Pauvre fille, elle mène une drôle de vie.« Mademoiselle öffnet ein Wehr, um das Dorf zu überschwemmen. Mademoiselle zerquetscht in der Hand das Gelege eines Rebhuhns. Mademoiselle legt Feuer in einem Stall. Mademoiselle versengt mit brennender Zigarette die Blüten eines Apfelbaums. Mademoiselle vergiftet das Brunnenwasser. Bevor Mademoiselle, die zugereiste Lehrerin einer kleinen Ortschaft in der tiefsten französischen Provinz, das Zimmer verläßt, um ihr Zerstörungswerk zu verrichten, wählt sie das passende Kleid, schminkt sich sorgfältig, steigt in hochhackige Schuhe, streift schwarze Netzhandschuhe über. Keiner der Dorfbewohner hat Mademoiselle im Verdacht. Der allgemeine Argwohn richtet sich gegen den italienischen Waldarbeiter Manou (Ettore Manni), dessen offensive Virilität den Männern Unbehagen bereitet und die Frauen – auch Mademoiselle – in den Bann schlägt ... Tony Richardson formt Jean Genets Reflexion über das Böse und die Einsamkeit, über Frustration und Sadismus, über Lust und Eifersucht zu einem unheimlich frostigen, dabei hochgradig sinnlichen Film. Statt Musik wirken die Geräusche, rauschendes Wasser und knisternde Flammen, Spechtklopfen und Vogelstimmen, krachende Axthiebe und lärmende Motorsägen, Donner und Glockengeläut; in David Watkins statischen Panavision-Bildern der arkadisch-archaischen Landschaft werden die Menschen häufig marginalisiert, zu winzigen Details verkleinert oder an den Rand gedrängt. Überlebensgroß erscheint indes Jeanne Moreau als »Mademoiselle«, in ihrer Grausamkeit, in ihrer Unergründlichkeit, in ihrem Verlangen, wenn sie Manous Sohn Bruno (der, in die Lehrerin heimlich verliebt, als einziger ihr Geheimnis ahnt) wiederholt vor versammelter Klasse demütigt, wenn sie den Schülern mit kalter Begeisterung von den Untaten Gilles de Rais’ erzählt, wenn sie das Objekt ihrer gnadenlosen Begierde dem Zorn der Menge ausliefert: »Mademoiselle, c’était lui?« – »Oui!«

Un chant d’amour: »The Sailor from Gibraltar« (1967)

»What do you do when you don’t know what you want.« Alan, in seinem Behördenjob gelangweilt, von seiner putzmunteren Freundin Sheila (Vanessa Redgrave) angeödet, mit seinem Leben generell unzufrieden, begegnet während eines Italienurlaubs der schönen, reichen Anna (Jeanne Moreau), die, auf der Suche nach einem verlorenen Geliebten, mit ihrer Segelyacht die Weltmeere durchkreuzt. Alan nutzt die sich ihm unverhofft bietende Chance und begleitet Anna, ihrerseits erotischen Eskapaden durchaus nicht abgeneigt, auf große Fahrt. In Athen, in Alexandria, in Äthiopien verfolgen sie vage Spuren des Verschwundenen, gehen Auskünften nach, die ihnen von mehr oder weniger zuverlässigen Informanten (darunter Orson Welles mit Fez und Kaftan als »Louis of Mozambique«) zugetragen werden. Tony Richardsons Adaption eines frühen Romans von Marguerite Duras läßt bewußt offen, ob es den Matrosen von Gibraltar (angeblich ein aus der Fremdenlegion geflohener Mörder) tatsächlich gab, oder ob er Annas Phantasie entsprungen ist, ein romantisches Ideal, Wunschbild der absoluten Liebe, Symbol für Geheimnis, Abenteuer, Freiheit, Unschuld. Auch wenn Ian Bannen in der (einigermaßen undankbaren) Rolle des mürrischen Alan kaum greifbare Präsenz entwickelt, gelingt Richardson, insbesondere dank Moreaus enigmatischer Strahlkraft, Raoul Coutards dokumentarisch-einfühlsamer Kamera und Antoine Duhamels mediterran-melancholischem Score, eine streckenweise reizvolle Reiseerzählung über Sehnsucht und Vorstellungen von Glück, über Illusionen und unbekannte Ziele: »It would be terrible if sailors didn’t exist.« – »We would have to invent them.«