30. Dezember 2012

Anna K. und die Liebe

Kino | »Anna Karenina« von Joe Wright (2011)

Ironisch-artifizielle Distanz à la Ophüls und Resnais trifft auf üppig-oberflächlichen Kinoschwulst der ganz alten Schule. Für seine »Anna Karenina«-Adaption macht Joe Wright die Leinwand zum Bühnenraum, verschiebt behende Kulissen, läßt unzählige Roben rauschen, wechselt sekundenschnell zwischen Verzauberung und Desillusionierung, zwischen naivem Trickeffekt und spätfeudaler Pracht, zwischen Studiokünstlichkeit und weiter Landschaft. Allein die Schauwerte veranschaulichen nichts, die Verfremdung bleibt ohne jeden analytischen Mehrwert, die Sprünge von drinnen nach draußen, die das hohle Adelstheater samt Karenina und Wronskij von der Vision des »guten Fürsten« Kostja und seiner reinen Liebe abgrenzen, sind so ostentativ wie platt – der epochale Konflikt zwischen persönlichem Glücksanspruch und gesellschaftlicher Konvention verpufft in vordergründigen Choreographien, individuelles (Melo-)Drama und soziales Panorama versinken im Strudel des visuell »Interessanten«. Daß Keira Knightley die tragische Titelfigur als strapaziös-affektierte Mischung aus nasekräuselnder Societyzicke und hypernervöser Paradestute anlegt, läßt diesen augenwischerischen Jahrmarkt der kinematographischen Eitelkeit vollends ungenießbar werden.

22. Dezember 2012

Mein Vater, der Schauspieler

DVD»Das Wispern im Berg der Dinge« von Michael Althen und Dominik Graf (1997)

Ein kurzer Film über den toten Vater. Ein kurzer Film über den deutschen Nachkrieg. Zusammen mit dem Kritiker Michael Althen nähert sich der Regisseur Dominik Graf seinem Vater Robert (1923-1966), einem Schauspieler, der nach Erfolgen auf der Bühne von Mitte der fünfziger Jahre bis zu seinem frühen Tod in einer Reihe von bemerkenswerten Filmen (»Jonas«, »Wir Wunderkinder«) und Fernsehspielen (»Unsere kleine Stadt«) auftrat. »Das Wispern im Berg der Dinge« unternimmt den Versuch, eine biographische Leerstelle zu füllen, oder, anders gesagt: aus dem Loch, das der Tod des Vaters in die Lebensgeschichte des Sohnes gerissen hat, Gedanken und Bilder, Erinnerungen und Imaginationen zu bergen, und das Material zum intimen Portrait eines Abwesenden zu formen. Darüber hinaus entwickeln die Autoren am Beispiel von Robert Graf das Bild einer paradoxen Generation: Gleichermaßen kaputt und dynamisch, sehen sich die Überlebenden der welthistorischen Katastrophe außer Stande, ihre traumatischen Erfahrungen, das Geschehene und das Getane, offen zu thematisieren oder freimütig zu verarbeiten; zwar richtet sich ein instinktiver Abwehrreflex gegen alles Heldische, Laute, Demonstrative, doch Schande und Schrecken der Vergangenheit liegt über Zeit und Menschen des Wirtschaftswunders wie ein Bann, der nicht gelöst werden kann. Vielleicht, so Althen und Graf, erklärt sich daraus nicht nur das unheimliche Schweigen der Kriegs- und Aufbaugeneration sondern auch die sonderbare Gegenwartslosigkeit, die irreale Synthetik des bundesdeutschen Nachkriegskinos sowie die sowie die radikal antiemotionale gestalterische Abstraktion der frühen TV-Erzählungen. Ein kurzer Film über den Verlust. Ein kurzer Film über das Verlorensein.

12. Dezember 2012

Nachhall eines Zeitalters der Extreme

Kino | »Skyfall« von Sam Mendes (2012)

Wie es sich für einen klassischen spy thriller gehört, kommt dem britischen Geheimdienst gleich zu Beginn von »Skyfall« zunächst einmal die berühmte hochgeheime Liste abhanden, auf der zur Freude aller Schurken minutiös sämtliche staatstragenden Geheimnisse verzeichnet wurden. Der Drahtzieher des Informationsdiebstahls entpuppt sich als eine Art gefallener Engel der inneren Sicherheit, der mit MI6-Chefin ›M‹ (Dame Judy Dench) noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Auf der Spur der blondierten Kanaille (Javier Bardem) passiert Doppelnull James Bond (Daniel Craig) nicht nur diverse (von Roger Deakins atemberaubend fotografierte) Settings, er verwickelt sich auch in ein veritables Mutter-Sohn-Drama, das ihn schließlich an die Wurzeln der eigenen Biographie führt … Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs hat das Genre des Agentenfilms ein Problem: die Weltordnung, von der es erzählte, ist nicht mehr da. Dennoch werden stetig weitere Agentenfilme gedreht. Jedes neue Werk gestaltet die eigenen Nichtigkeit auf spezifische Weise: etwa indem es über das Fehlen der Existenzgrundlage einfach hinwegtäuscht oder aber indem es den wunden Punkt offen thematisiert. In »Skyfall« findet gar ein offizielles Hearing statt, in dessen Verlauf ›M‹ die Notwendigkeit traditioneller geheimdienstlicher Tätigkeit verteidigt und damit nebenbei auf der Daseinsberechtigung von Agentenfilmen beharrt – auch wenn die frontale Auseinandersetzung der Systeme einer obskuren Bedrohung aus dem Reich der Schatten gewichen sei. Ironischerweise rechtfertigt sie Inhalte und Formen des 20. Jahrhunderts vor dem Publikum des 21. Jahrhunderts mit dem Zitat eines Poeten aus dem 19. Jahrhundert: »Made weak by time and fate, but strong in will / To strive, to seek, to find, and not to yield.« Sam Mendes zieht aus dem Dilemma die einigermaßen clevere Konsequenz, keinen Weltkonflikt zu schildern, sondern eine interne, fast intime Affäre nachzuzeichnen. Gleichwohl – es handelt sich immerhin um einen Bond-Film! – wird der kleine Haufen schmutziger Wäsche mit viel Pulver zur Explosion gebracht. Zwischen den Entladungen versucht Mendes, den liebgewordenen Schablonenfiguren so etwas wie Tiefe einzuhauchen. Wie in allen Trivialfilmen, die nicht trivial sein wollen, gerät ihm dabei das Gefühl zur Sentimentalität, die Bedeutung zur Behauptung, die Größe zur (Über-)Länge.