Dämonische Leinwand | »Anita – Tänze des Lasters« von Rosa von Praunheim (1987)
»Ich habe den Tod getanzt!« Eine hochbetagte Fregatte (Lotti Huber) pöbelt durch die Fußgängerzone (Wilmersdorfer Straße) und streckt den Schaulustigen ihr leicht aus der Form geratenes Sitzfleisch entgegen: »Wer A sagt muß auch RSCH sagen!« Eine schockierte Passantin wimmert: »Das ist ja so schlimm. Die Frau ist doch krank.« … Einmal mehr verwischt Rosa von Praunheim die Grenze von schlechtem Geschmack und nackter Wahrheit – in diesem Fall, um vom kurzen Leben (und bleibenden Ruhm) einer legendären Berliner Nackttänzerin zu erzählen. Die exhibitionistische Seniorin, die von sich behauptet, Anita Berber zu sein, wird in die (schwarzweiße) Klapse verfrachtet, wo sie die Biographie der Zwanziger-Jahre-Ikone als (farbenfrohen) Stummfilm nachträumt: Anita, die vom Vater verstoßene kokainistische Körperkünstlerin, tanzt mit ihrem schwulen Geliebten Sebastian Droste die »Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase«, reüssiert als zeitgeistige Prophetin des wollüstigen Untergangs, als große Hure der bürgerlichen Spaßgesellschaft; dann gerät sie aus der Mode und verstirbt unter saftigen Gotteslästerungen (Rosa als Priester!) an galoppierender Schwindsucht im Kreuzberger Bethanien-Haus. Praunheim entwirft (begleitet von der ironisch-dramatischen Musik des Stummfilm-Vertoners Konrad Elfers) das kritisch-distanzlose Portrait eines absoluten Stars, eines Medien- und Verbrauchsprodukts, einer rigorosen Träumerin. »Eine sehr schwierige Frau«, meint der Nervenarzt (Mikael Honesseaau – spielt auch den verrufenen Droste) nach dem plötzlichen Herztod der alten Frau Kutowski alias Berber. Die Krankenschwester (Ina Blum – spielt auch die junge Anita) entgegnet: »Sie schien glücklich in ihrem Wahn.« In einem Wahn, der unsterblich macht.
Wiedergänge | »Gespenster« von Christian Petzold (2005)
Nina (Julia Hummer) hat keine Eltern, lebt im Jugendwohnheim, versinkt in Gedanken. Toni (Sabine Timoteo) treibt sich rum, ist immer unterwegs, nimmt sich, was sie braucht. Françoise (Marianne Basler) sucht, folgt Ahnungen, sieht überall ihre vor Jahren verschwundene Tochter Marie. Drei Wesen ohne Halt, ohne Platz, ohne Zeit: Gespenster. »Gespenster« erzählt einen Tag, eine Nacht und einen weiteren Tag: Françoise streift durch Berlin, Nina und Toni begegnen sich im laubrauschenden Tiergarten, die introvertierte Parkputzerin und die impulsive Diebin hauen zusammen ab, Françoise trifft auf Nina, erkennt wieder einmal Marie, und tatsächlich trägt Nina die Erkennungszeichen, die Narbe am Fuß, das Muttermal auf dem Rücken … Die drei Figuren (einige andere treten episodisch hinzu) umkreisen sich, schweben aufeinander zu, gleiten aneinander vorbei, bewegen sich im Geistertanz durch eine traumhaft-entfremdete Stadt. Die spröde Faszination des Film entsteht durch die akkurate Abbildung der Wirklichkeit bei gleichzeitiger Abwesenheit von greifbarer Gegenwart – irrealer Realismus, fokussierte Schemenhaftigkeit. Christian Petzold (Regie und Buch) und Hans Fromm (Kamera) betrachten den Park wie einen Wald, die Stadt wie einen Irrgarten, zeigen alltägliche Orte als »Hallräume der Seele«, folgen Phantomen durch ihre Sehnsüchte und Erinnerungen, erzählen ein geheimnisvolles Metropolen-Märchen vom Verlieren des Weges, vom Verschwinden in sich selbst, vom Jenseits im Diesseits.
Blut | »Wir sind die Nacht« von Dennis Gansel (2010)
Das Babel der Easyjetter als Kulisse einer modern-mondänen Vampirschmonzette: Die elegante Blutsaugerin Louise (Nina Hoss) rekrutiert auf der Tanzfläche eines Berliner Clubs Nachwuchs in Gestalt der streetsmarten Prekariatstochter Lena (Karoline Herfurth), die ihrerseits Gefallen an dem feschen Polizisten Tom (Max Riemelt) findet … Dennis Gansel rührt Versatzstücke aus stilbewußten (Gegen-) Klassikern des Genres (wie »The Hunger«, »Near Dark« oder »Interview with the Vampire«) routiniert zusammen und inszeniert das Potpourri, nicht ohne formales Geschick, als hochglänzendes Blut-und-Moden-Melodram, als flotte nächtliche Sightseeing-Tour durch die internationale Partyhauptstadt. Dem wummernden Mythos der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts soll (zumindest filmische) Unsterblichkeit angedeihen, während interessante Themen(-paare) wie Vergänglichkeit und Dauer, Sex und Gender, Verschmelzen und Emanzipation nur im Vorbeiflug angerissen werden. Ohne Anspruch auf tiefere Bedeutung bietet »Wir sind die Nacht« immerhin gelungenen High-End-Trash made in Berlin: Sei Kiez, sei Kult … Eigentlich fehlt nur ein Gastauftritt von Klaus Wowereit.
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