26. November 2012

Steinzeitballaden

Vier Berliner Nachkriegsfilme 

1946 | »Die Mörder sind unter uns« von Wolfgang Staudte

Die Stunde Null, die keine ist. Schatten der schuldhaften Vergangenheit liegen über der zerstörten Stadt, über den geschlagenen Menschen. Ernst Wilhelm Borchert als Chirurg Dr. Mertens (= der Trübsinn) – ein Arzt, der kein Blut sehen kann, ein Mann, der über seine schlimmen Kriegserinnerungen zum Säufer wird. Hildegard Knef als junge KZ-Überlebende Susanne Wallner (= die Zuversicht), die dem gebrochenen Mediziner aufmunternde Stütze, gutes Gewissen, schließlich verständnisvolle Gefährtin ist. Der Mörder (einer stellvertretend für viele) erscheint als gemütlicher Dicker (Arno Paulsen), der als Wehrmachtsoffizier am Weihnachtsabend 1942 irgendwo im Osten ein Dorf ausradieren ließ. Nach Kriegsende ist Ferdinand Brückner (so heißt der joviale Killer) schnell wieder obenauf, verarbeitet Stahlhelme zu Kochtöpfen. Am Weihnachtsabend 1945 soll der Täter für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden ... Der erste deutsche Film nach der bedingungslosen Kapitulation, entstanden bei der sowjetisch lizensierten Defa. Wolfgang Staudte orientiert sich weniger am kargen Verismus des italienischen Nachkriegsfilms, eher an der delikaten Stimmungsmalerei des traditionellen Studiokinos. Nie (außer vielleicht in den Bombennächten) waren die Ruinen von Berlin so effektvoll illuminiert wie in diesem neoexpressionistischem Trümmermelodram, das auf die erzieherische Moral hinausläuft, nichts zu vergessen, aber stets auch hoffnungsvoll nach vorne zu schauen.

1946 »Irgendwo in Berlin« von Gerhard Lamprecht

Die zerbombte Stadt als grenzenloser Abenteuerspielplatz: In den Ruinen spielen die Zehnjährigen das nach, was sie kennen, was sie erlebten: Krieg. Die Erziehungsberechtigten haben ausgedient, sind überfordert oder kriminell, im besten Falle wohlmeinend und doch wie gelähmt angesichts des Schlamassels, das sie angerichtet haben. Gerhard Lamprecht, der 15 Jahre zuvor Erich Kästners »Emil und die Detektive« adaptiert hatte, greift Motive des Klassikers auf, gibt Beispiele von jugendlicher Freundschaft und Solidarität. Aber eine konsistente Story ist in der Trümmerlandschaft mit ihren sittlichen Gefährdungen und tödlichen Gefahren nicht mehr zu erzählen: »Irgendwo in Berlin« reiht Episoden, setzt Schlaglichter, entwirft Portraitskizzen. Gustav erwartet sehnsüchtig die Rückkunft seines Vaters, der den zerstörten Garagenhof wiederaufbauen soll; der deprimierte Heimkehrer indes sieht keinen Sinn in einem Neuanfang; Gustavs Freund Willi hat Heimat und Eltern verloren, stromert durch die Schuttwüste, haust bei einer freundlich-besorgten Ladenbesitzerin, deren mieser Untermieter den Jungs Feuerwerk gegen Lebensmittel verkauft; ein traumatisierter Soldat steht reglos am Fenster, hält Wacht … Lamprecht scheut sich nicht, die Tränendrüsen zu massieren, um eine kathartische Wirkung zu erzielen: Der (dritte) Defa-Film schließt als gefühlsbetontes Pamphlet, mahnt pathetisch, es endlich besser zu machen, die geistige Lähmung zu überwinden, die destruktiven Energien in Kräfte für den Wiederaufbau umzupolen.

1947 »Razzia« von Werner Klingler

Im Berlin der unmittelbaren Nachkriegszeit sind Kriminalkommissar Naumann (Paul Bildt) und seine Mitarbeiter (einer davon ist sein Schwiegersohn in spe) einer Schieberbande auf der Spur, die mit Alkoholika und Medikamenten auf dem Schwarzmarkt großen Reibach macht. Zentrum der professionellen Schmuggelei ist das Vergnügungsetablissement ›Alibaba‹, dessen zwielichtiger Chef auch über interne Informationen aus dem Polizeipräsidium verfügt … Weit entfernt von jedem Noir-Appeal, verbindet Werner Klinglers Defa-Krimi Impressionen von Originalschauplätzen des Schleichhandels (am zerstörten Reichstag, am Brandenburger Tor) mit einer nicht sonderlich komplexen Intrige (die auch zwischenmenschliche bzw. innerfamiliäre Komplikationen und den Tod des Chefermittlers einschließt) und etwas Tingeltangel zum braven Zeitbild. Der moralische Zeigefinger ragt allseits aus dem Trümmerschutt, aber immerhin sorgen originelle Nebendarsteller wie der nur scheinbar gemütliche Arno Paulsen (als fetter Spediteur) oder der quäkstimmige Walter Gross (als »flotter Willi«) für reichlich Berliner Hintertreppenflair.

1947 »… und über uns der Himmel« von Josef von Báky

»Was soll denn werden? / Es muß doch weitergeh’n!« Mit einem Rucksack voller Lebensmittel (= Schieberware) kehrt Hans Richter (Hans ›Hoppla, jetzt komm’ ich!‹ Albers) aus dem Weltkrieg zurück ins zertrümmerte Berlin. Zunächst nutzt der ehemalige Kranführer das Schwarzhandelsgut, um die eigene Wohnung wieder auf Vordermann zu bringen (»Ein Griff, ein Pfiff, ein Kniff – und fertig ist die Laube.«) und um die verwitwete Studienratsgattin von nebenan zu beeindrucken (»Heute paßt vieles zusammen, was früher keine Garnitur abgegeben hätte.«) – dann findet er Geschmack am leichtverdienten Geld, infolgedessen er der Rückkehr in den Brot(los)beruf eine Karriere als Geschäftemacher vorzieht. Richters (zunächst kriegsblinder, dann wieder klarsehender) Sohn bläst dem losen Alten schließlich den Marsch der Lauterkeit, und am Ende kommt alles wieder ins kleinbürgerliche Lot … Der erste deutsche Nachkriegsfilm unter amerikanischer Lizenz: eine Mischung aus Studiokünstlichkeit und Ruinenrealismus, aus zeitkritischem Durchhalteroman und lehrhafter Standpauke. Daß der »blonde Hans« lediglich vorübergehend auf Abwege geraten kann (und dann auch nur aus väterlicher Sorge um seine Liebsten), versteht sich dabei im Grunde von selbst. Wie in alten Ufa-Zeiten erhellt ein schimmernder Lichtreflex Albers’ vertrauenswürdige Augen, und Josef von Báky inszeniert den sympathischen Filou als eine Art Münchhausen im Schutt: immer kregel, immer patent, nie um eine Ausrede verlegen und noch im Zwielicht lebensmutig strahlend. Ein Lied darf er auch singen, zur besinnlich-optimistischen Dreigroschenmusik von Theo Mackeben: »Der Wind weht von allen Seiten. / Na, laß den Wind doch weh’n. / Denn über uns der Himmel, / Läßt uns nicht untergeh’n.«

Fortsetzung folgt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen