Kino | »Après mai« von Olivier Assayas (2012)
»Making life easy by making it worse.« 1971. In einem Vorort von Paris. Drei Jahre nach der versandeten Revolte vom Mai 68 probt eine Gruppe von Gymnasiasten immer noch den Aufstand. Es geht gegen das Establishment und die Polizei, es werden Flugblätter verteilt, Plakate geklebt, Fassaden besprüht, auch schon mal Molotow-Cocktails geworfen. Im Mittelpunkt der sich entfaltenden Erzählung: Gilles, der Maler werden will, vielleicht auch Filmregisseur. Er sucht seinen Weg zwischen Politik und kreativer Entfaltung, zwischen sozialem Engagement und Individualismus, zwischen Sinn und Sinnlichkeit, zwischen der anachronistischen Welt der Eltern und einer noch gestaltlosen Zukunft. Seine Freundin Laure wird ihn verlassen, um sich mit einem reichen Bohèmien im Drogenrausch zu verlieren; sein Kumpel Alain, auch er ein angehender Künstler, verliebt sich auf der Reise nach Osten in die die tanzende Amerikanerin Leslie; Christine folgt einem Kollektiv revolutionärer Cinéasten; Jean-Pierre geht in den Untergrund … Die exzellenten Darsteller, (fast) durchweg Debütanten, erfüllen Olivier Assayas’ poetische Rekonstruktion seiner eigenen Jugend mit Dynamik und Energie, mit pulsierendem Leben. »Après mai« ist sicherlich auch ein klassischer Coming-of-Age-Film, dabei aber viel mehr als das: ein vielschichtiger Gesellschaftsroman, eine Momentaufnahme der Welt nach dem verpufften großen Knall, ein mit leichter Hand gewebtes komplexes Beziehungsgeflecht, eine Grand Tour von Paris nach London, von Italien nach Afghanistan, eine sinnliche Kulur- und Ideengeschichte zwischen Marxismus und Situationismus, zwischen Rock und Avantgarde – eine sensible, niemals sentimentale Darstellung von Aufbruch und Bewußtwerdung, eine großartige, mitreißende Huldigung an die rauhe, zarte Schönheit des Unfertigen.
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