4. November 2012

Mabuse – eine deutsche Karriere

1922 | »Dr. Mabuse, der Spieler« von Fritz Lang

Ein fiebriges Panorama der deutschen Zerrüttung: Der verlorene Weltkrieg liegt wie ein Leichentuch über einer kaputten Zeit, in der Schieber, Schurken und Seelenfänger ihren Schnitt machen. Der brillante Nervenarzt Dr. Mabuse, eine Schöpfung des Schriftstellers Norbert Jacques, nutzt seine psychologischen (und hypnotischen) Fähigkeiten sowie seine außerordentliche asoziale Kompetenz zur Durchführung unzähliger Verbrechen: Börsenspekulation und Geldfälschung, Pressemanipulation und Betrug, Entführung und Mord. Finanzieller Erlös ist nur ein Teilaspekt seines kriminellen Tuns, der eigentliche Reiz liegt für ihn im Spiel mit Menschen und Menschenschicksalen, im Lustgewinn der Selbsterhöhung. »Es gibt keine Liebe, es gibt nur Begehren! Es gibt kein Glück, es gibt nur Willen zur Macht!« Das Genie des Bösen (verkörpert von Rudolf Klein-Rogge) wechselt ständig die Masken, ist schier allgegenwärtig. Sein Revier ist der Ort der Epoche: die rastlose Metropole (ein überhöhtes Berlin, das der Film nicht beim Namen nennt). Indem er Mabuses geschäftiges Treiben verfolgt, wird Fritz Lang zum Cicerone der (von Otto Hunte in Babelsberg gebauten) Großstadt, streift durch Börse und Casino, Revuetheater und Gefängnis, Luxusrestaurant und Spelunke, spiritistische Cercles und muffige Büros, feudale Stadtvillen und die Quartiere der Hungerleider. »Dr. Mabuse, der Spieler« löst das Versprechen seines Untertitels ein, ist »Bild der Zeit«, Kaleidoskop urbanen Lebens, Querschnitt durch die Gesellschaft. Lang zeigt sie alle: von dekadentem Adel und satter Finanzbourgeosie, über Bohème und Beamtentum, bis hinab zu kleinen Leuten und gemeinem Lumpenproletariat. Mabuse erscheint als Nemesis dieser zerschlissenen Welt, als Dämon ihres Untergangs, als Entwerter ihrer Werte. Vor der Hütern des Gesetzes, die ihn schließlich mit Mühe und Not einholen, flieht er in den Wahnsinn – ein letzter stolzer Hohn auf Staat und Recht.

1933 | »Das Testament des Dr. Mabuse« von Fritz Lang

Der Geist des radikalen Bösen ist ewig und alldurchdringend. In der Fortsetzung von »Dr. Mabuse, der Spieler« entfaltet der wahnsinnig gewordene Superschurke erneut seine destruktive Energie: Aus der Isolation einer Zelle im Irrenhaus von Professor Baum (Oscar Beregi) dirigiert der Umnachtete per Suggestion eine perfekt durchstrukturierte Verbrecherorganisation, der er – in einer Art écriture automatique – minutiöse Pläne für geniale Straftaten liefert. Der Berliner Kriminalkommissar Lohmann (Otto Wernicke), der schon in »M« den Kindermörder suchte, jagt nun den potentiellen Killer der staatlichen Ordnung. Längst genügt es Mabuse nicht mehr, sein Übermenschen-Ego durch dissoziale Frevelhaftigkeit zu kitzeln, er will Angst und Schrecken verbreiten, will die Seele der Menschen in ihren tiefsten Tiefen durch unerforschliche und scheinbar sinnlose Verbrechen verstören. Fritz Lang nutzt das Format des phantastischen Thrillers, um die plastische Darstellung einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krisensituation zu geben, um einen politischen Alptraum (der schon bald Realität werden wird) zu entwickeln: »Der letzte Sinn des Verbrechens ist es, eine unbeschränkte Herrschaft des Verbrechens aufzurichten.« Scharfsichtig illustriert der Film die Faszinationskraft des Dämons der Zerstörung: Die Szene, in der Mabuses Geist von seinem Arzt – als Wissenschaftler ein Inbegriff von Klarheit und Vernunft – Besitz ergreift, antizipiert symbolisch-anschaulich die unmittelbar bevorstehende historischen Katastrophe: »Wenn die Menschen vom Terror des Verbrechens beherrscht, vom Grauen und Entsetzen toll geworden sind, wenn das Chaos zum obersten Gesetz erhoben ist, dann ist die Stunde der Herrschaft des Verbrechens da.« Am 23. März 1933 beschließt der Reichstag das »Ermächtigungsgesetz«. Am 29. März 1933 wird die Aufführung von »Das Testament des Dr. Mabuse« in Deutschland verboten.

1960 | »Die 1000 Augen des Dr. Mabuse« von Fritz Lang

Knapp 30 Jahre und einen massenmörderischen Weltkrieg nach dessen letztem Auftritt schickt Fritz Lang (angestiftet vom Berliner Produzenten Artur ›Atze‹ Brauner) seinen mythisch-brillanten Super-Verbrecher wieder auf die Leinwand: Die dritte Dr.-Mabuse-Variation ist die »Inszenierung einer Inszenierung« – der große Plan des gemeingefährlichen Genies beruht auf totaler Überwachung und zerstörerischer Manipulation der Ausgeforschten. Schauplatz ist das Hotel Luxor, dessen Grundstein noch die Nazis legten – eine gebaute Erinnerung an die Schrecken der Vergangenheit, ein Menetekel für die Zukunft. Die Intrigen des mysteriösen Strippenziehers werden allerdings mehr besprochen denn gezeigt, auch macht Langs Faszination für labyrinthische Strukturen – in erzählerischer und architekturaler Hinsicht – eher den Eindruck eines (wenn auch eleganten) Selbstzitats. Dennoch sind »Die 1000 Augen des Dr. Mabuse« sehens- und bemerkenswert: wegen Gert Fröbes flapsiger Performance als Kommissar Kras, wegen des Auftritts von Howard Vernon als Killer, der seinen Opfern per Luftgewehr tödliche Stilette injiziert, wegen der Nonchalance, mit der Peter van Eyck mal eben ein paar Atomkraftwerke kauft, wegen des abgefeimten Maskenspiels von Wolfgang Preiss – und nicht zuletzt weil Mabuses Wahlspruch – »Sinn des Verbrechens ist die Herrschaft des Verbrechens!« – immer noch als Motto aller die gesellschaftliche Integrität bedrohenden destruktiven Energien dienen könnte, mag es sich um Terrorismus handeln oder um eine andere jener autoaggressiven Kräfte, die jedes soziale Gefüge früher oder später zu entwickeln scheint.

1961 | »Im Stahlnetz des Dr. Mabuse« von Harald Reinl

Nachdem Fritz Lang in seinem letzten Spielfilm den Superschurken des Weimarer Kinos stil- und gehaltvoll reaktiviert hatte, verramscht Produzent Artur Brauner den Kapitalverbrecher in einem absurd-primitiven Trash-Thriller. Gert Fröbe gibt wiederum den jovialen Kommissar (nun wieder mit dem Namen Lohmann), der den kriminellen Umtrieben des lichtscheuen Übeltäters Einhalt zu gebieten versucht. Dr. Mabuse verfügt über eine Droge, die seine Opfer willenlos macht, und gedenkt seine terroristische Macht unter Beweis zu stellen, indem er ein Kernkraftwerk in die Luft jagt. Zentrum seiner dunklen Machenschaften ist ironischerweise das Staatsgefängnis. Harald Reinl inszeniert den Unsinn flott und visuell recht effektvoll, doch »Im Stahlnetz des Dr. Mabuse« entbehrt jeglicher Signifikanz: Mabuse ist nicht mehr Metapher für das Böse in der Welt, nicht mehr Personifizierung der (gesellschaftlichen Selbst-) Zerstörung, sondern nur mehr ein beliebiger Buhmann aus dem B-Film-Panoptikum.

1962 | »Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse« von Harald Reinl

Totgesagte leben länger … Die freche Filmkunst-Verwurstung à la ›Atze‹ Brauner bekommt in »Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse« einen ridikülen Stich ins Wissenschaftlich-Utopische: In seinem dritten CCC-Abenteuer preßt der unverwüstliche Dr. Mabuse dem durch einen Unfall gräßlich entstellten Professor Erasmus das Geheimnis der Unsichtbarkeit ab. Die krause Story – in der ein suspekter Clown sein Wesen treibt und eine schöne Tänzerin mit den Tod unter der Bühnenguillotine bedroht wird – bewegt sich mit alptraumhafter Inkonsequenz zwischen Revuetheater, Leichenschauhaus, Laboratorium, Gruselhotel und Flughafen (wo eine »hochgestellte Persönlichkeit« von einer Tarnkappen-Armee abgemurkst werden soll). Dem scheinbar omnipotenten Erzscheusal nützt das kriminelle Genie wieder einmal nichts: Letzten Endes triumphiert wie gehabt das rechtschaffene Mittelmaß in Gestalt der staatlichen Ordnungsmacht.

1962 | »Das Testament des Dr. Mabuse« von Werner Klingler

Déjà vu: Der wahnsinnige Dr. Mabuse (Wolfgang Preiss) sitzt in einer Zelle der Nervenklinik von Professor Pohland (Walter Rilla) und notiert seine Pläne zur Herrschaft des Verbrechens. Die kriminellen Projekte werden minutiös ausgeführt – doch von wem? … Mit dem Remake des hellseherischen Fritz-Lang-Klassikers von 1933 läuft Produzent Artur Brauner nach zwei belanglosen Mabuse-Trivialisierungen endlich zu großer kleiner Form auf, indem er Werner Klingler eine ironisch-burleske Pulp-Parodie der meisterhaften Vorlage inszenieren läßt: Der Erzhalunke lauert wie eine Spinne in einem Netz aus Schatten; Mortimer (Charles Regnier), der Adlatus des phantomhaften Bösewichts, trägt ein keckes Gaunerhütchen und schmaucht noch im Abnippeln eine Zigarre erster Sorte; Ganoven heißen (ganz plakativ) Paragraphen-Joe oder Lachgas-Frankie, Kurzschluß-Henry oder Jeton-Eddie (»gespielt« von Rolf Eden); es werden Goldtransporter wie Nilpferde gejagt und Diamanten geräubert, es werden Eisenbahnwaggons entführt und Kommissare lustvoll gefoltert; Gert Fröbe (bauernschlau) und Harald Juhnke (begriffsstutzig) verkörpern die Repräsentanten von Recht und Ordnung, die (ohne sich mit kriminalistischem Ruhm bekleckert zu haben) das Böse schließlich im Sumpf versinken sehen … vorerst, wie man vermuten darf. Anders als das Original will die Neuverfilmung nicht metaphorisch über ihre Zeit sprechen, nicht sinnbildlich die reale Welt reflektieren. »Das Testament des Dr. Mabuse« kreiert bewußt eine parallele Zeit, eine imaginäre Welt – und setzt das Drama vom zerstörerischen Irrwitz menschlichen Strebens als quatschiges Possenspiel ins Werk.

Artur Brauner bringt noch zwei weitere Filme unter dem Mabuse-Label in die Kinos: »Scotland Yard jagt Dr. Mabuse« (Regie: Paul May, 1963) und »Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse« (Regie: Hugo Fregonese, 1964) – Ausschuß vom CCC-Fließband. Der Mythos ist dennoch nicht totzukriegen: Immer wieder spukt der Geist des Doktors durch die Filmgeschichte, so etwa in Ulrike Ottingers satirischer Medienrevue »Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse« (1984) als Frau Dr. Mabuse oder in Claude Chabrols spröder Fritz-Lang-Hommage »Dr. M« (1990) als Dr. Marsfeld. Eine von Produzent Christian Becker (»Der WiXXer«) 2008 angekündigte Neuverfilmung des Mabuse-Stoffes »als großer und zeitgemäßer Kino-Action-Thriller mit gesellschaftskritischen Anspielungen« wurde bislang nicht realisiert.

2 Kommentare:

  1. Der Mythos ist dennoch nicht totzukriegen: Immer wieder spukt der Geist des Doktors durch die Filmgeschichte

    Und in einer Folge von "Kottan ermittelt" spielt Otto Grünmandl einen Dr. Buesam - wer sich wohl hinter diesem Anagramm verbirgt?

    AntwortenLöschen