14. Juni 2015

À l’heure allemande

Einige französische Filme über die Zeit der deutschen Besatzung

1969 | »L’armée des ombres« (»Armee im Schatten«) von Jean-Pierre Melville

Scènes de la vie de résistance … Jean-Pierre Melville verfolgt – unpathetisch, aber keinesfalls leidenschaftslos – die Aktivitäten einer Widerstandsgruppe im besetzten Frankreich. Die episodische Erzählung umfaßt einen Zeitraum von vier Monaten zwischen dem 20. Oktober 1942 und dem 23. Februar 1943 und führt von Marseille nach Paris, von Lyon nach London (wo General de Gaulle, der Anführer der France libre, sein Hauptquartier aufgeschlagen hat), durch Hinterzimmer und Geheimverstecke, durch deutsche Internierungslager und Foltergefängnisse. Melville, während des Krieges selbst Mitglied der Résistance, schildert dabei keine Partisanenaktionen im eigentlichen Sinne: keine Nachrichtenbeschaffung, keinen Sabotageakt, kein Attentat; Pierre Lhommes Kamera zeigt, in dunklen, entsättigten Bildern, ausschließlich Menschen in Gefahr, Menschen auf der Flucht, Menschen in der Falle, Menschen, die in Erfüllung einer höheren Pflicht schreckliche Dinge tun müssen. Kaum je verraten die Gesichter von Lino Ventura, Paul Meurisse, Simone Signoret und all den anderen etwas über die Emotionen der Protagonisten dieses bei aller formalen Distanziertheit sehr persönlichen, sehr anrührenden Films. Es ist ein unsichtbares Band von stiller Kameradschaft und wortlosem Mitgefühl, das die Armee der Schatten verbindet. Auch wenn ihr klandestines Tun vergeblich scheint, bleibt es doch ohne Alternative – so gehen Gerbier, Jardie, Mathilde und all die anderen den vorgezeichneten Weg, aufrecht und unbeirrt, bis zum bitteren Ende.

1971 | »Le chagrin et la pitié« (»Das Haus nebenan«) von Marcel Ophüls

Chronique d’une ville française sous l’occupation … Marcel Ophüls nimmt Clermont-Ferrand, Heimat des Michelin-Männchens und Hauptstadt der Auvergne, als Ausgangs- und Angelpunkt für ein filmisches Panorama der Besatzungszeit. Seine gut vierstündige Dokumentation hinterfragt beharrlich, aber ohne Rechthaberei, die Nachkriegsmythologie einer Nation, die angeblich aus einem Heer von Résistance-Kämpfern und einer Handvoll verirrter Deutschenfreunde bestand. Der erzählerische Bogen spannt sich von der katastrophalen Niederlage gegen die Truppen der Wehrmacht und der Abwicklung der Dritten Republik, über die Etablierung des ›État français‹ durch den greisen Marschall Pétain, der statt der konstitutionellen Devise »Liberté, Égalité, Fraternité« das konservative Motto »Travail, Famille, Patrie« wählte und in der Zusammenarbeit mit den Deutschen die einzige Chance sah, einen Rest von Souveränität zu bewahren, bis hin zur Befreiung Frankreichs durch die Alliierten und dem glanzlosen Ende des Vichy-Regimes im Schloß von Sigmaringen. In den Aussagen einer großen Zahl von Zeitzeugen läßt Ophüls die Widersprüche dieser düsteren Epoche lebendig werden; er hört ihnen allen aufmerksam zu: den Gaullisten, Kommunisten und Faschisten, den Adligen, Bürgerlichen und Bauern, den Widerständlern, Mitläufern und Verrätern, dem vorgestrigen deutschen Offizier, dem schwulen britischen Spion dem distinguierten französischen SS-Mann. Das vielfältige Konzert der Stimmen führt freilich nicht zur filmischen Unverbindlichkeit. Ophüls legt klar, daß Frankreich der einzige im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen besiegte Staat war, dessen Regierung, offen oder insgeheim unterstützt von der Mehrheit des Volkes, sich freiwillig zur (reibungslos funktionierenden) Kollaboration mit den nationalsozialistischen Besatzern entschloß, daß es neben der später glorifizierten Résistance viel Indifferenz, viel Pragmatismus, viel Perfidie gab: Mit »Le chagrin et la pitié« geht die Heldenerzählung vom kollektiven Abwehrkampf gegen die feindlichen Okkupanten ein für alle Mal zu Ende.

Obwohl koproduziert vom Staatsfernsehsender ORTF, wurde »Le chagrin et la pitié« aufgrund politischer Interventionen in Frankreich nicht ausgestrahlt. Der NDR sendete 1969 eine gekürzte Fassung. 1971 kam der Film, dank der Unterstützung von Louis Malle und François Truffaut, in die französischen Kinos. Erst nach der Wahl François Mitterands zum Präsidenten konnte das Werk auch im französischen Fernsehen gezeigt werden. 

1974
 | »Lacombe Lucien« (»Lacombe, Lucien«) von Louis Malle

Echoes of France … Sommer 1944. Die Alliierten sind in der Normandie gelandet, die deutschen Truppen weichen zurück. Weiter südlich, in einer kleinen Stadt im Midi, sucht der 17jährige Bauernsohn Lucien (Pierre Blaise) Anschluß an die Résistance. Vom örtlichen Chef des Widerstandes als zu jung abgelehnt, gerät Lucien, eher zufällig, in die Fänge von Mitarbeitern der Gestapo française, die ihn in ihre Reihen aufnehmen. Eine Art unbedarfte Brutalität eignet dem (Anti-)Helden; er wirkt gleichermaßen präpotent und so zerbrechlich wie die Singvögel, die er mit der Zwille abschießt. Das Gemisch aus Grausamkeit und Unschuld, das im Zwischenraum von Jugend und Erwachsensein herrscht, bestimmt die Erzählung des Films. Lucien erfüllt ohne weiteres seine Rolle als Hilfspolizist, genießt die daraus entsprießende Macht, fügt sich wie selbstverständlich in die zynisch-vulgäre Gesellschaft der Kollaborateure ein, drängt sich ohne Scham der versteckt lebenden Familie eines kultivierten jüdischen Herrenschneiders auf, dessen Tochter France (!) (Aurore Clément) er offen begehrt, linkisch umschwärmt, ehrlich liebt, schlußendlich rettet. Louis Malle und sein Koautor Patrick Modiano (der die schummerlichtigen Landschaften der Okkupation schon in seinen brillanten ersten Romanen beschrieb) suchen nicht, das Verhalten ihres Protagonisten zu beschönigen, sie enthalten sich allerdings jeder moralischen Bewertung, betonen eine Ambivalenz, die sich einfachen Zuschreibungen wie »gut« oder »böse« entzieht. Sie stehen vor Lucien, dieser seltsamen Kreuzung aus Engel und Ungeheuer, wie der Vater von France, der ratlos-fasziniert gestehen muß: »C’est curieux, je n’arrive pas à vous détester tout à fait.«

1980
 | »Le dernier métro« (»Die letzte Metro«) von François Truffaut

1942. Paris ist von den Deutschen besetzt. Im théâtre Montmartre wird ein neues Stück geprobt. Lucas Steiner (Heinz Bennent), jüdischer Intendant und Besitzer der Spielstätte, ist untergetaucht. Seine Frau Marion (Catherine Deneuve), umschwärmter Star des Hauses, bemüht sich nach Kräften, den Betrieb am Laufen zu halten. Der hitzköpfige Nachwuchsschauspieler Bernard Granger (Gérard Depardieu) ist ihr dabei nicht nur eine Hilfe … Eine delikate Dreieckskonstellation als Aufhänger eines atmosphärischen Zeitbildes: François Truffaut, der die Okkupation seiner Geburtsstadt als Kind erlebte, erinnert (sich) an Schwarzmarkt und Sperrstunde, an Widerstand und Kollaboration, gestaltet seinen Film jedoch nicht als düsteres Panorama, eher als schillerndes Divertimento, als Aufeinanderfolge schlaglichtartiger (Alltags-)Beobachtungen. Ein geschmuggelter Schinken im Cellokasten, aufgemalte Seidenstrümpfe oder Autoscheinwerfer, die als Bühnenbeleuchtung dienen, haben die gleiche erzählerische Relevanz wie antisemitische Hetzreden im Rundfunk, nächtliche Besuche der Gestapo oder das Leben im Kellerversteck. Daß »Le dernier métro« über besinnliches Qualitätskino dennoch weit hinausgeht, verdankt sich neben Truffauts tiefem Humanismus und dem differenzierten Spiel der Darsteller insbesondere der dramaturgischen Idee, einen der Handelnden aus dem Spiel zu nehmen, das er gleichwohl lenkt: Lucas Steiner, der zwangsweise »Verschwundene«, inszeniert das Drama »La disparue«, von seinem heimlichen Zufluchtsort unter der Bühne aus – so wird er zum Symbol des Geächteten, das eben nicht verschwindet, das sich nicht sang- und klanglos vernichten läßt, das fortbesteht und weiterwirkt.

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