Kino | »Was heißt hier Ende?« von Dominik Graf (2015)
Dominik Graf würdigt seinen 2011 im Alter von nur 48 Jahren verstorbenen Freund, den Kritiker Michael Althen, der ein Vierteljahrhundert lang über Filme schrieb, zunächst für die »Süddeutsche Zeitung«, später für die »Frankfurter Allgemeine«, aber auch für (mittlerweile legendäre) Zeitschriften wie »Tempo« oder »steadycam«. Graf, der mit Althen zwei dokumentarische Filmprojekte realisierte (eines über Dominiks Vater, den Schauspieler Robert Graf, das andere über die gemeinsame und geliebte Heimatstadt München) bringt mit seiner leidenschaftlich-näselnden Stimme Texte des Journalisten zum Klingen, verleiht so den Worten, die – mit Emphase, mit Zartgefühl, mit hohem Perfektionsanspruch – für den Augenblick geschrieben wurden, einen bewegenden Nachhall. Immer wieder zitiert Graf aus Nachrufen, die Althen verfaßt hat, über Audrey Hepburn, über Michelangelo Antonioni, über den Schriftsteller Paul Bowles, immer wieder rekurriert er auf das Thema Tod, das sich in Althens Lieblingsfilmen »Le feu follet« und »Le samouraï« ebenso wiederfindet, wie in dessen anhaltender Beschäftigung mit dem Maler Nicolas de Staël, der sich, kaum 40jährig, durch einen Sprung aus dem Atelierfenster das Leben nahm. Die Erinnerung an den lebenden, liebenden Althen setzt Graf aus den Aussagen seinen Gesprächspartnern zusammen: Familie – Eltern, Ehefrau und Kinder –, vor allem aber Freunde und Kollegen des Toten – Claudius Seidl, Stephan Lebert und viele andere. Aus den Reminiszenzen der Weggefährten entwickelt sich so etwas wie ein Nekrolog auf die Filmkritik als solche, eine leicht sentimentale Suche nach der verlorenen Zeit, als Kino und Schreiben über Kino noch eine Ganzheit bildeten, als dem gedruckten Feuilleton noch Deutungsmacht zukam. Es ist nicht nur die Sehnsucht nach einer Ära, in der publizistische Öffentlichkeit die Übersichtlichkeit einer Zeitungsseite hatte, die aus den Interviews spricht, es ist auch das Verwundern darüber, daß keine jungen Wilden mehr nachwachsen, die, wie es im redaktionellen Verdrängungswettbewerb seit jeher Usus war, die alten Säcke in die Wüste schicken wollen, sondern ein Fliegenschwarm von, oftmals anonymen, Meinungen aufsteigt, der sich um die wohlformulierten Standpunkte der sogenannten Qualitätsmedien schlichtweg nicht mehr kümmert – und es ist die teils bittere, teils heitere Erkenntnis, dieser Entwicklung nichts entgegensetzen zu können. »Die Bühne leert sich langsam, die Schweinwerfer gehen aus, und nur die Musik spielt weiter. Bald sind auf dem großen Friedhof der Erinnerung nur noch die Geister unterwegs.« (Michael Althen in seinem Nachruf auf Robert Mitchum)
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