Westdeutsche Filme der 1980er Jahre
Die achtziger Jahre in der Bundesrepublik: die Zeit von Helmut Kohl und neonfarbenen Cocktails, die Zeit zwischen Nato-Doppelbeschluß und Mauerfall. Anfang des Jahrzehnts neigte sich die Ära des »Neuen Deutschen Films« dem Ende zu: Wenders, Herzog, Schlöndorff gingen nach Amerika, Australien, Frankreich, mit Fassbinders Tod verlor das westdeutsche Autorenkino sein Kraftzentrum. »Die meisten filmgeschichtlichen Betrachtungen charakterisieren die 1980er Jahre als eine Periode künstlerischen Verfalls.« (Sabine Hake: »Film in Deutschland«) Vielleicht deshalb, weil eine neue Generation von Filmschaffenden anrüchige Begriffe ins Spiel brachte: Unterhaltung und Genre, Professionalität und Handwerk; vielleicht aber auch, weil so manch hochfliegender Anspruch, aus dem Stand routiniert-publikumswirksames deutsches Kinoentertainment zu schaffen, nicht oder nur unvollkommen eingelöst werden konnte. Doris Dörrie und Dominik Graf begannen ihre verhältnismäßig beständigen Karrieren, eine Reihe von Fernsehkomikern eroberte die große Leinwand, für viele andere Regisseure waren Erfolg und/oder Publizität, wenn überhaupt, lediglich von kurzer Dauer: Carl Schenkel und Eckhart Schmidt, Percy Adlon und Peter F. Bringmann (um nur einige Namen zu nennen) verschwanden schnell wieder in der Versenkung oder tauchten ab in den Anstalten des öffentlichen Rechts. Das westdeutsche Kino der achtziger Jahre erscheint wie ein Nebelfeld, aus dem ein paar prominente Spitzen ragen: »Das Boot« und »Otto – Der Film«, »Männer« und »Die Katze«. Im Dunst liegt das Vergessene, das Verlachte, das Verdrängte. Das »Magazin des Glücks« würdigt (unter Berücksichtigung von Vor- und Nachläufern dieser sonderbaren Zwischenzeit) in loser Folge Werke, an die sich die Filmgeschichtsschreibung (noch) nicht erinnern will … Gewidmet ist die Rückschau: Kati, Jenny, Vincent, Frizz und ihrer Hoffnung auf Momente eines schrillen Glücks.
1982 | »Der Fan« von Eckhart Schmidt
»Nur ein Augenblick für ein ganzes Glück.« Simone (Desirée Nosbusch) liebt R (Bodo Staiger). R ist ein Star. Simone ist Rs größter Fan. In Simones Jugendzimmer hängt ein Starschnitt von R. Daneben hängt das Bild einer Masse von Menschen mit ausgestreckten rechten Armen. R macht Musik. Simones Ohren scheinen mit den Kopfhörern des Walkmans, der nichts anderes spielt als Rs Musik, vollkommen verwachsen zu sein. Simone schreibt Briefe an R: Sie wisse, daß sie ihn glücklich machen könnte. R antwortet nicht. Simone ignoriert ihre Eltern, vernachlässigt ihre Freunde, verweigert sich der Schule, entkoppelt sich vom Alltag. Simone trampt von Ulm nach München, um R zu treffen. Sie begegnet ihm vor dem Fernsehzentrum. Er sieht sie – und es liegt so etwas wie Erkennen in seinem Blick. Weiß er um die Gefahr? Akzeptiert er unbewußt sein Schicksal? R nimmt Simone mit: zum Auftritt ins Studio, in seinen Rolls Royce, in eine unbewohntes Apartment. Eckhart Schmidts »Tagebuch einer Sechzehnjährigen« entwickelt in tranceartiger Langsamkeit und sachlichen, fast klinischen Bildern die beklemmend zwangsläufige Annäherung des Fans an das Objekt der totalen Verehrung. Der emotionslosen Optik entspricht der minimalistische, sich in unentrinnbaren Endlosschleifen ergehende Soundtrack der Gruppe »Rheingold«. Es kommt, wie es kommen muß. Der Star nimmt sich, was er will, aber er gibt weniger, als von ihm erwartet wird. Also nimmt sich der Fan, was ihm angenommenerweise zusteht: alles. »Und wenn du alles hast, / dann spürst du die Last, / des Augenblicks.« Mit kalter Distanz erforscht Schmidt die unheimliche Wechselwirkung von Ruhm und Huldigung und damit einen verrückten Teufelskreis von Angebot und Nachfrage, der nichts anderes ist als ein gegenseitiges Verschlingen, Verbrauchen, Verwerten. Das große Fressen hinterläßt zwei Sorten von Leichen: Die einen sind tatsächlich tot, die anderen leben weiter und tragen den süßen Wahn in die Zukunft. »Nur ein Augenblick, / dann bleibt nichts zurück.«
1985 | »Alpha City« von Eckhart Schmidt
»It was falling so hard all the sky became closed and the day was night.« Drei in einer großen Stadt: Frank, Raphaela und ein namenloser Amerikaner – der verliebte Berserker, die unnahbare Schöne und der coole Killer. »Alpha City« – der Name der Stadt (und des Films) erinnert wohl nicht ganz zufällig an »Alphaville«, und so wie Jean-Luc Godard das nächtliche Paris der 1960er Jahre als phantasmagorischen Raum einer lieblosen Zukunft gezeigt hat, präsentiert Eckhart Schmidt das nächtliche Westberlin der 1980er Jahre als Stätte einer außerzeitlichen Allgegenwart. Wo Godard mit dem pulpigen Lemmy-Caution-Mythos spielte, um die Mechanismen einer entmenschten Überwachungsgesellschaft darzustellen, zieht Schmidt alle Register von Melodram und Gangsterfilm, um die Verlockungen und Gefahren einer ewigen Metropolennacht zu beschwören. Beim Intellektuellen Godard siegte die Liebe, dieses seltsame Spiel, beim Romantiker Schmidt triumphiert der Tod, das letzte Ziel des Lebens. Schmidts Notturno erzählt von der verzehrenden Leidenschaft eines bulligen Pianisten (Claude-Oliver Rudolph) zu einer abweisenden Verführerin (Isabelle Gutzwiller), deren kaltes Herz für einen stylisch-mysteriösen Fremden (Al Corley) entbrennt, der in Travis-Bickle-Manier (aber mit besseren Manieren) der Hure Babylon den Kampf angesagt hat. Wiewohl Schmidt das klischee- und sagenhafte Bild der archetypischen Großstadt zu zeichnen sucht, gerät sein neonglänzendes Nachtstück (nicht eine einzige Szene wurde bei Tageslicht gedreht!) zur akkuraten Vermessung eines konkreten Ortes zu einer bestimmten Zeit: »Alpha City« spielt unter dem rotierenden Mercedes-Stern des Europa-Centers und im ›Metropol‹ am Nollendorfplatz, im Restaurant ›Bovril‹ am Kurfürstendamm und im Olympiastadion, in der Maisonettewohnung eines Baller-Baus und im ›New Eden‹ während einer (vom Chef höchstpersönlich moderierten) Striptease-Show. Immer wieder wird die Stadt in kurzen, im Rhythmus eines erhöhten Herzschlags geschnittenen Sequenzen zur eigentlichen Hauptdarstellerin des Films, der so artifiziell daherkommt wie die begleitende Synthpop-Musik von Trio, Yello, Boytronic und anderen. Das fatale Ende antizipiert das Schicksal des Schauplatzes Westberlin, dessen Rolle als geheimnisvolle Hauptstadt einer dunklen Zwischenzeit bald schon Geschichte sein wird: »I'm burning in the morning sun.«
Sehr schön. DIE STORY als bayerische Befindlichkeitsstudie und LOFT als urbanes Entfremdungssystem "Neuwelt" integrierten sich in Schmidts Vision perfekt. Nach ALPHA CITY waren wir leider zum Stehen gekommen.
AntwortenLöschenDanke. :-) Mit »Die Story« und »Loft« wird sich die Reihe sicherlich noch beschäftigen. »Das Gold der Liebe« würde mich auch interessieren, aber der ist ja leider nur sehr schwer aufzutreiben.
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