Fünf Filme von Gerd Oswald
Gerd Oswald wurde 1919 als Sohn eines berühmten Filmregisseurs in Berlin geboren. Der Vater Richard Oswald (»Anders als die Andern«, »Unheimliche Geschichten«, »Der Hauptmann von Köpenick«) sah sich als Jude nach 1933 seiner Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland beraubt. Die Familie emigrierte über Wien und Paris nach Hollywood. Gerd Oswald, im Filmatelier aufgewachsen, fand schnell Beschäftigung als Regieassistent, zuerst in Poverty-Row-Studios, später bei Meistern wie Billy Wilder, Henry Hathaway und George Stevens. 1956 erhielt er die Möglichkeit, seinen ersten Spielfilm zu inszenieren. In den nächsten beiden Jahren drehte Oswald die Hälfte seiner insgesamt 14 Arbeiten fürs Kino, günstig hergestellte Filme, darunter mehrere Thriller und Western. Der Berliner Produzent Artur Brauner, der schon die Emigranten Robert Siodmak, Fritz Lang und Gottfried Reinhardt unter Vertrag genommen hatte, warb auch Oswald an, der für einige Zeit in seine Heimat zurückkehrte. Später war er überwiegend für das amerikanische Fernsehen tätig, inszenierte Serienfolgen von »Star Trek« und »The Outer Limits«, »Bonanza« und »It Takes a Thief«. Seine letzte Spielfilmregie, die Adaption eines Simmel-Romans, übernahm er 1975, wiederum für einen deutschen Auftraggeber. Gerd Oswald, der stolz darauf war, daß fast in jedem seiner Filme »eine kleine antifaschistische Tendenz« zu finden sei, starb 1989 in Los Angeles. Hans-Christoph Blumenberg nannte ihn einen »exzellenten Handwerker mit einer barocken filmischen Fantasie«, einen »Irrläufer, Grenzgänger, Meister des Genrekinos«.
1956 | »A Kiss Before Dying« (»Ein Kuß vor dem Tode«)
»I'm a man with a shameful, sinister secret.« Bud Corliss (Robert Wagner), Korea-Kriegsheld und Student an einer kleinen Universität in Arizona, hadert mit seiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen. Der kompromißlose Aufstiegswille des attraktiven Ehrgeizlings findet sein Ziel in Dorie Kingship (Joanne Woodward), der Tochter eines reichen Kupfergrubenbesitzers. Eine ungeplante Schwangerschaft und Dories Wunsch, die väterliche Vormundschaft abzustreifen, bringen Buds Vorhaben, sich dem strengen Magnaten als idealer Schwiegersohn zu präsentieren, ernsthaft in Gefahr. Ohne jeden Skrupel räumt der geschmeidige Karrierist daraufhin alles Hindernde aus dem Weg … Gerd Oswalds Debütfilm (nach dem Debütroman von Ira Levin) vermißt mit sachlicher Präzision die (selbst-)zerstörerischen Dimensionen des American Dream, zeigt das Doppelgesicht des einst von Jean de Crèvecœur besungenen »neuen Menschen, der nach neuen Prinzipien handelt«. Die Besetzung des kaltblütigen Psychopathen (»Haven't you heard? Love conquers all.«) mit einem archetypischen boy next door, die emotional beherrschte Erzählung in ungekünstelten CinemaScope-Kompositionen und starken, klaren Farben sowie die Inszenierung schwärzester Momente in hellem Sonnenschein verleihen dem späten Film noir ein hohes Maß an ironischer Distanz. Dazu paßt, daß Buds Streben nach Glück ihn schließlich in eben jene Grube führt, von der er immer geträumt hat.
1957 | »Crime of Passion« (»Das war Mord, Mr. Doyle«)
Ein straffer Thriller über das Scheitern einer Frau »in a world made by men and for men« … Als ambitionierte Journalistin hat Kathy Ferguson (Barbara Stanwyck) erreicht, was sie erreichen kann: eine tägliche Ratgeberkolumne bei der ›San Francisco Post‹ und große Popularität bei den Leser(inne)n. Der lustlose Chefredakteur erwartet von ihr freilich nicht mehr als »a regular dose of schmaltz«, und als der virile police lieutenant Bill Doyle (Sterling Hayden) aus Los Angeles in Erscheinung tritt, läuft die eingeschworene Junggesellin (»For marriage, I read life sentence.«) mit fliegenden Fahnen in den Ehestand über. Bald schon frustriert von der Dumpfheit des Vorstadtlebens (pokernde Männer, tratschende Frauen) und der dickfelligen Genügsamkeit ihres Gatten, sucht Kathy einen Ausweg aus dieser Hölle der Mittelmäßigkeit: In der Absicht, Bills Karriere zu befördern, knüpft sie Kontakt zu dessen Vorgesetztem, Inspektor Pope (Raymond Burr) … Auch wenn manches unverblümt ausgesprochen wird (»Don’t you have any vision?«), deutet Gerd Oswald persönliche Wechselbeziehungen – sexuelle Attraktion und intellektuelle Anziehung – zumeist nur diskret an und studiert, auf welche Art die animalischen Instinkte seiner Hauptfiguren – Kathy erscheint wie eine Raubkatze, Bill wie ein Bär, Pope wie ein Silberrücken – die Handlung an ein schlimmes Ende treiben: Mit einer gewaltsamen Tat provoziert Kathy einen Nachweis von Bills kriminalistischer Befähigung und damit die bittere Pointe des Films.
1958 | »Screaming Mimi« (»Die blonde Venus«)
Ein psychopathischer Messerstecher attackiert eine Blondine, die im Begriff steht, eine Dusche zu nehmen. Anders als Alfred Hitchcock, der eine ähnliche Situation zwei Jahre später zum fulminant durchkomponierten Mittel- und Höhepunkt eines Horrorthrillers formen wird, knallt Gerd Oswald die Szene in brutaler Kürze an den Anfang seines nachtschwarzen Pulp-Reißers. Tänzerin Virginia Wilson (Anita Ekberg) überlebt den Anschlag äußerlich unverletzt (ihr Stiefbruder erschießt den Angreifer), doch verwirrt sich ihr Geist über das schreckliche Erlebnis. »Screaming Mimi« verknüpft die Geschichte der Traumatisierten und des Nervenarztes Dr. Greenwood, der in manischer Liebe zu seiner Patientin entbrennt und ihr sein weiteres Leben widmet, mit den journalistischen Recherchen zu einer seltsamen Mordserie im Umfeld des (von Burlesque-Legende Gypsy Rose Lee geführten) Amüsierschuppens »El Madhouse« (!), wo die genesene (?) Virginia unter dem Namen Yolanda in einer spektakulären Show-(off)-Nummer auftritt. Burnett Guffeys schmuddlig-kontrastreiche Schwarzweiß-Bilder verleihen der exaltierten Noir-Fantasie die Aura eines leicht unterbelichteten Klassikers; Ekberg (»the stripper who went to far«) bewegt sich (häufig in Begleitung einer imposanten Dogge namens ›Devil‹) wie eine Schlafwandlerin durch die spukhaft-grelle Erzählung, in die tödliche Obsessionen wie dunkle Schatten fallen, und wo die kitschige Porzellanfigur einer schreienden Frau von altem und von neuem Unheil kündet.
1959 | »Am Tag, als der Regen kam«
»Charlie Brown, der hat nur immer Unsinn im Sinn.« Eine Jugendbande in (West-)Berlin: Unter Führung des herrischen, dabei höchst verletzbaren Werner (trinkt nur Milch: Mario Adorf), überfallen manierliche Rowdys (alle gehen – der Tarnung halber – ordentlichen Berufen nach) lüsterne Autofahrer oder mürrische Geldboten (ausnahmslos unsympathische, bezasterte Kleinbürgertypen), planen schließlich einen bewaffneten Coup auf die Abendkasse eines Autobusdepots; sie wollen alles und zwar sofort, das schöne Leben heute und nicht später – schließlich weiß niemand, ob es nicht vielleicht morgen schon den großen (atomaren) Knall gibt. Einer der Jungs, Bob (Christian Wolff), der sich verliebt hat (in ein nettes Mädchen aus dem Osten), einer, der weiter denkt als an den Kick, an den Augenblick, will aussteigen, was natürlich nicht erlaubt ist, weswegen sein verzweifeltes Befreiungsmanöver in einer Tragödie enden muß … Der gebürtige Berliner Gerd Oswald nutzt die äußerlich und innerlich kaputte Stadt (die schäbigen Wohnlauben, die schuttigen Brachen, die Katakomben des zerstörten Reichstags) als Schauplatz eines dichten, visuell pointierten Noir-Krimis, der von Verlangen und Verbrechen erzählt, von abgewirtschafteten Vätern (schmierig-suberb: Gert Fröbe als versoffener Arzt ohne Approbation) und skeptischen Söhnen, die nicht so taff sind, wie sie glauben – und auch (metaphorisch) vom Regen, vom lang ersehnten, heiß erflehten, der eines Tages die Bäume erblühen, die Träume erwachen, die Glocken erklingen, von Liebe sie singen lassen wird.
1960 | »Schachnovelle«
Das Schicksal eines Wiener Aristokraten, der den Nazis nicht zu Diensten sein will: Werner von Basil (Curd Jürgens) half der katholischen Kirche, Kunstschätze in Sicherheit zu bringen, Kostbarkeiten, auf die sich nach dem »Anschluß« das Interesse der neuen Machthaber richtet. Einer von ihnen ist der platinblonde Gestapo-Karrierist Hans Berger (Hansjörg Felmy), der die Persönlichkeit des stolzen Basil zu brechen gedenkt, indem er ihn in strenge Einzelhaft sperrt: kein Gespräch, kein gedrucktes Wort, keinerlei geistige Anregung – Bedingungen, unter denen ein Kulturwesen die Willenskraft früher oder später verlieren muß … Gerd Oswald, als Jugendlicher aus der Heimat vertrieben, hat Entwurzelung und Unmenschlichkeit am eigenen Leib erlebt: Sicherlich auch aufgrund ganz persönlicher Erfahrungen gelingt ihm das eindringliche Porträt eines zwangsweisen Widerständlers, dem ein zufällig ergattertes Schach-Lehrbuch (»150 Meisterpartien«) den isolierten Intellekt einerseits vor Austrocknung bewahrt, andererseits vollends zu zerrütten droht. Das Schachbrett wird für den Gefangenen gleichermaßen zum erlösenden Freiraum wie zum beschränkenden Gitternetz, aus dem er sich kaum mehr zu retten weiß. Indem er Stefan Zweigs Erzählung um eine ambivalente Frauenfigur bereichert, die zwischen den rivalisierenden Männern steht, verschiebt Oswald die poltisch-ideelle Thematik zusehends ins Melodramatische und beschert dem harten Kampf von Schwarz und Weiß eine eher zuckrige Auflösung.
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