Kino | »Carol« von Todd Haynes (2015)
Winter 1952/53: Dwight D. Eisenhower ist gerade zum US-Präsidenten gewählt worden, als die wohlhabende Carol Aird (Cate Blancett), (noch) verheiratet und Mutter einer vierjährigen Tochter, in der Spielwarenabteilung eines New Yorker Warenhauses der jungen Verkäuferin (und angehenden Fotografin) Therese Belivet (Rooney Mara) begegnet. Schon der erste Blickwechsel zwischen den beiden Frauen verrät die starke gegenseitige Anziehung … Wie sein offenkundiges Vorbild Douglas Sirk erzählt Todd Haynes (nach einem Roman von Patricia Highsmith) über die Liebe in den Zeiten des gesellschaftlichen Konformismus – doch wo Sirk seine seifenoperigen Melodramen emotional extrem aufputschte und gestalterisch radikal überhöhte (wodurch er ihnen eine paradoxe Wahrhaftigkeit verlieh), taucht Haynes das Geschehen in eine elegische, fast somnambule Stimmung. Blanchetts Spiel ist von frostiger Gesuchtheit, die Kamera (inspiriert möglicherweise von den Straßenfotos des Künstlers Saul Leiter) blickt immer wieder durch beschlagene, nasse, spiegelnde Scheiben, die gezeigte Welt und alle in dieser Welt herrschenden Gefühle wirken wie mit Rauhreif überzogen. Der ebenso schmerzliche wie befreiende Prozeß einer doppelten Identitätsfindung wird mit größter Distanziertheit betrachtet, wobei Haynes den dekorativen Oberflächen des beengenden Konservativismus der Ära fortwährend gefällige Schauwerte abgewinnt. »Entweder man heult, oder man kotzt«, schrieb Frieda Grafe einst über die Filme von Sirk. »Carol« ist weit davon entfernt, so heftige Reaktionen zu provozieren: Entweder man seufzt, oder man gähnt.
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