Kino | »Clouds of Sils Maria« von Olivier Assayas (2014)
Dichte Wolken steigen über eine Paßhöhe bei Sils und ergießen sich in schlangenartiger Bewegung talwärts. Vor beinahe einem Jahrhundert hat der Bergfilmer Arnold Fanck das Naturschauspiel mit der Kamera für die Ewigkeit (des Zelluloids) festgehalten. Viel später gab »Das Wolkenphänomen von Maloja« einem hochberühmten Schriftsteller den Titel eines Dramas ein: »Maloja Snake« erzählt die Geschichte einer Frau um die 40, die mit Haut und Haaren einer 18jährigen verfällt und an ihr kaputt geht (wenn sie es nicht schon längst war). Vor gut zwei Jahrzehnten hat Maria Enders (Juliette Binoche) auf der Bühne und im Film den Part der Heranwachsenden gespielt und ist zum Star geworden, nun soll sie in einer spektakulären Neuinszenierung die Ältere verkörpern. Gemeinsam mit ihrer (jungen) Assistentin Valentine (Kristen Stewart) reist Maria nach Sils: Im Haus des mittlerweile verstorbenen Dramatikers will sie sich auf ihre (neue) Rolle vorbereiten – und begegnet dort ihrem früheren (auch von der skandalumwitterten Nachwuchsschauspielerin Jo-Ann Ellis (Chloë Grace Moretz) personifizierten) Ich, einer hartnäckigen Persona, die Maria (= sich selbst und gleichzeitig eine andere) mit eisernem Griff gefangen hält. Mit Anklängen an Filme wie »All About Eve« oder »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« (und liebevoller Aufmerksamkeit für seine drei erstklassigen Hauptdarstellerinnen) überblendet Olivier Assayas peu à peu die Ebenen – und Antinomien – der Erzählung: die Fiktion eines Stückes und die Lebenswirklichkeit(en) verschiedener Generationen, Vergangenheit und Gegenwart, die Jugend und das Altern, radikale Öffentlichkeit und splendid isolation, das Streben nach Zeitlosigkeit und die Verhaftung in der Zeit. »Wir steigen in denselben Fluß und doch nicht in denselben, wir sind es, und wir sind es nicht«, sagt Heraklit, und Goethe ergänzt: »Denn alles muß in Nichts zerfallen, / Wenn es im Sein beharren will.« Über dem Malojapaß aber sammeln sich wieder die Wolken »… und wundervolles Licht leuchtet noch über den Seen des Engadin.«
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