14. September 2014

In next to no time

Drei Filme von Henry Cornelius

Als Sohn deutsch-jüdischer Eltern 1913 in Südafrika geboren, Schüler von Max Reinhardt in Berlin, über Paris nach England emigriert, Mitarbeiter von René Clair und Alexander Korda, Cutter (»Four Feathers«, 1939), Drehbuchautor (»It Always Rains on Sunday«, 1947) und Produzent (»Hue and Cry«, 1947), debütiert Henry Cornelius 1949 als Regisseur: »Passport to Pimlico«, gedreht für Michael Balcons Ealing Studios, gilt als Komödienklassiker des britischen Nachkriegskinos. Cornelius kann nur fünf Filme inszenieren. Er stirbt, noch keine 45 Jahre alt, 1958 in London. 


1949 | »Passport to Pimlico« (»Blockade in London«)

»We’ll show’em! … Only what?« Im heißen Sommer des Jahres 1947 detoniert im Londoner Stadtteil Pimlico ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Explosion erschließt den Zugang zu einer unterirdischen Schatzkammer. Dort findet sich ein jahrhundertealtes Dokument, das die Gegend von Miramont Place zum exterritorialen Gebiet und Besitz des einst aus seiner Heimat vertriebenen letzten Herzogs von Burgund erklärt. Unter dem Motto »This is Burgundy!« pfeifen die Bewohner der Viertels fürderhin auf gesetzliche Rationierungen von Lebensmitteln und Seidenblusen sowie auf die abendliche Sperrstunde im Pub. Dem örtlichen Bobby fällt es wie Schuppen von den Augen: »Blimey! I’m a foreigner!« Henry Cornelius und Autor T. E. B. Clarke schildern in ihrer liebenswürdig-spleenigen Zwergstaatskomödie den zähen Kleinkrieg zwischen den verknöcherten britischen Amtsträgern in Whitehall und den stolzen Abtrünnigen, über die zunächst eine Flut windiger Geschäftemacher hereinbricht, bevor sie seitens der britischen Ordnungsmacht mit einer strikten Blockade belegt werden. Angeführt vom burgundischen Prätendenten, dessen Anrechte von einer schrulligen Historikerin (Margaret Rutherford) bestätigt wurden, sowie von einem zum Premierminister avancierten Gemischtwarenhändler (Stanley Holloway) widerstehen die gewitzten Eingeschlossenen der Belagerung: »Plucky little Burgundy!« Parallelen zur zeitgleich stattfindenden Abriegelung Westberlins durch die Sowjets drängen sich auf, und tatsächlich werden auch die tapferen Bürger von Burgund-Pimlico schon bald durch eine Luftbrücke versorgt … Ein ironisch-paradoxes Hohelied auf Souveränität und Widerstandsgeist, auf eine Gemeinschaft, deren höchstes Gut der brüderliche Eigensinn ist: »It’s just because we are English, that we’re sticking out for our right to be Burgundians.«

1953 | »Genevieve« (»Die feurige Isabella«)

»I don’t know what it is about these silly old cars. The moment people get into them, they start behaving like idiots.« Alle Jahre wieder findet der Veteran Car Run des königlich Automobilclubs statt: von London nach Brighton und zurück. Und wie immer nehmen zwei alte Freunde (und Konkurrenten) mit ihren betagten Fahrzeugen (beide Jahrgang 1904) und jungen Frauen an der Traditionsrallye teil: Alan McKim (John Gregson) mit seinem Darracq (genannt ›Genevieve‹) und Ehefrau Wendy (Dinah Sheridan) sowie Ambrose Claverhouse (Kenneth More) mit seinem Spyker und Freundin Rosalind (Kay Kendall) … Ein Wochenende im Herbst: frische Luft und Abgasgestank, Sonne und Regen, Kameradschaft und Rivalität, Zärtlichkeit und Niedertracht, Streit und Versöhnung. »Genevieve« nimmt das Rennen – das eigentlich keine Wettfahrt ist, aber, aufgrund einer Wette, in eine solche ausartet – zum Anlaß, den verschiedenen Charakteren (wozu auch die beteiligten Oldtimer zählen) freien Lauf zu lassen, ihre Beziehungen zu erkunden, ihre Stärken und Schwächen auszuloten. Henry Cornelius entwickelt die erzbritische Exzentrik dieser von einem Amerikaner (William Rose) geschriebenen Komödie mit französischer Ungezwungenheit – spielerisch bewegt sich das Roadmovie von einer vergnüglichen Situation zur nächsten; und Larry Adlers Mundharmonikaklänge verbinden virtuos die fein abgestuften Stimmlagen dieser überaus charmanten (in bilderbogenbuntem Technicolor fotografierten) romantischen Farce: Nostalgie und Naturalismus, Klamauk und Ironie, schrille Übertreibungen und lyrische Zwischentöne.

1955 | »I Am a Camera«

»I saw him in a café in Berlin, / The kind of place where love affairs begin.« Basierend auf John Van Drutens Theaterstück, das Teile aus Christopher Isherwoods autobiographisch inspiriertem Roman »Goodbye to Berlin« verarbeitet, beschreibt »I Am a Camera« – der Titel zitiert den ersten Satz des Buches – die innig-spannungsvolle Freundschaft zwischen dem zurückhaltend-selbstzweiflerischen Schriftsteller Chris (»Well, I’m sort of working on a general idea.«) und der naiv-übermütigen Bohemienne Sally Bowles (»I was a future film star but in present I’m singing in a night club, at least I was.«) im grauen Berlin des Jahres 1931 (»when the banks close down and the knackwurst is one mark and fifty«). Wirtschaftlicher Niedergang und Aufstieg der Nazis bilden den unscharfen historischen Hintergrund für eine mehr oder weniger turbulente Beziehungsdramödie, die alleine vom furiosen Spiel der Hauptdarstellerin Julie Harris über atmosphärische Unstimmigkeiten und inszenatorische Schwächen getragen wird. Laurence Harveys pralle Haartolle paßt eher zu einem angry young man der Nachkriegsjahre als zum schüchternen (zudem sexuell desorientierten) Intellektuellen Chris, während Henry Cornelius (der Anfang der 1930er selbst in Berlin lebte) erstaunlich wenig geistiges und visuelles Gespür für die Melange aus tiefer Erschütterung und hysterischer Vergnügungssucht zeigt, die das gesellschaftliche Klima der Zeit bestimmte (und die Bob Fosse in »Cabaret«, der Musical-Fassung des Stoffes, so brillant einfangen wird). Auch die gelungenen Momente, etwa eine phantastisch überkandidelte Party-Szene, stimmen weniger froh denn melancholisch, verweisen sie doch vor allem auf die verschenkten Möglichkeiten dieses durchaus ambitionierten Films. »I can’t forget him, I never met him, / I only saw him in a café in Berlin.«

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