John Brahm (eigentlich Hans Julius Abrahamson) wurde 1893 in Hamburg geboren. Seit Vater war Schauspieler, sein Onkel Otto Brahm leitete (als Vorgänger von Max Reinhardt) das Deutsche Theater in Berlin. John Brahm inszenierte in den 1920er Jahren an deutschen und österreichischen Bühnen, bevor er als Assistent zum Film wechselte. 1933 emigrierte er mit seiner zweiten Frau, der Schauspielerin Dolly Haas, über Frankreich nach England, wo er als Filmregisseur debütierte. 1937 ging Brahm in die USA. In Hollywood arbeitete er zunächst erfolgreich für Columbia, später für 20th Century-Fox. Mit dem Niedergang des Studiosystems geriet Brahms Karriere ins Stocken. Er kehrte vorübergehend nach Europa zurück und wechselte Mitte der 1950er Jahre zum Fernsehen. Brahm, der als Spezialist für Mystery- und Thriller-Stoffe galt, drehte bis 1967 etwa 170 Serienepidosen, unter anderem für »The Twilight Zone«, »Alfred Hitchcock Presents«, »Naked City« und »The Man from U.N.C.L.E.«. Er starb 1982 in Malibu.
1944 | »The Lodger« (»Scotland Yard greift ein«)
»Mine, too, are the problems of life and death.« Seit dem Herbst des Jahres 1888, als bei Nacht und Nebel in kurzer Abfolge etwa ein halbes Dutzend Prostituierte aufgeschlitzt wurden, fasziniert der Fall des Londoner Serienmörders ›Jack the Ripper‹ Kriminologen ebensosehr wie Historiker, Künstler und nicht zuletzt eine lustvoll schaudernde weltweite Öffentlichkeit – zumal die nie geklärte Identität des Killers bis heute Anlaß zu immer neuen Spekulationen gibt. Nachdem bereits Alfred Hitchcock, noch zu Stummfilmzeiten, den um diese mythische Figur der Moderne kreisenden Roman »The Lodger« der britischen Autorin Marie Belloc Lowndes auf die Leinwand gebracht hatte, liefert auch John Brahm seine kinematographische Fantasie über die historischen Vorfälle. In der Verkörperung durch Laird Cregar erscheint der legendäre Gewaltverbrecher als kultivierter Koloß mit traurigen Augen und sanfter Stimme, der davon besessen ist, das Böse aus der Schönheit herauszuschneiden, und mit seinen blutigen Taten den unverwundenen Tod des innigst geliebten Bruders rächt. »It’s such lovely women as you who drag men down!« sagt Mr. Slade, wie sich der Ripper bei seiner gutmütigen Vermieterin vorgestellt hat, zu deren Nichte Kitty, einer attraktiven Sängerin (Merle Oberon), die den geheimnisvollen Hausgenossen mit ihren Reizen bestrickt. Brahms Version des Geschehens, von Lucien Ballard in expressivem Helldunkel fotografiert, bereichert die mit Motiven des Horrorfilms ausgestaltete Thrillerhandlung um eine melancholische Reflexion über die unstillbare Sehnsucht nach Reinheit und Frieden: »Have you ever held your face close to the water? Deep water is dark and restful and ... full of peace.«
1945 | »Hangover Square« (»Scotland Yards seltsamster Fall«)
»You must hear the concerto to the end.« Eine Geschichte von Musik und Feuer, das Schicksal einer gespaltenen Persönlichkeit: Wenn er dissonante Töne hört, wird der begabte junge Komponist George Harvey Bone (voluminös: Laird Cregar) zum absenten Killer. »All my life I’ve had black little moods«, bekennt Bone, in der unheimlichen Ahnung befangen, ein horrendes Doppelleben zu führen. »The mind is a delicate mechanism«, erklärt ihm der von George Sanders gespielte (überraschend einfühlsame) Polizeiarzt, »if a man upsets the normal balance between work and play ... the mind may rebel.« Hin und hergerissen zwischen der fordernd-fördernden (blonden) Tochter seines Mentors, die ihn mit sanftem Druck zur Fertigstellung eines Klavierkonzerts bewegt, und der berechnend-fatalen (brünetten) Tingeltangeldiseuse Netta (Linda Darnell), die ihm fortwährend sentimentale Songs ablistet, während sie anderen Männern nachsteigt, geht der schizophrene Musiker schließlich seiner selbst verloren ... Die von der Vorlage, einem Roman des Londoner Schriftstellers Patrick Hamilton, deutlich abweichende Adaption verlegt das Geschehen von »Hangover Square« aus der bedrückenden Zeit kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in die pittoreske Welt der Jahrhundertwende. Vermittelst des kraftvollen Ausmalens viktorianischer Atmosphäre – Kutschen und Gaslicht, Vornehmheit und Getümmel, Abendgesellschaften und Volksvergnügen – wie auch durch die Besetzung desselben Darstellers in der (Haupt-)Rolle eines geisteskranken Serienmörders knüpft John Brahm unverblümt an den Vorgängerfilm »The Lodger« an. Vor allem dank Joseph LaShelles delikater Chiaroscuro-Bilder, in denen beständig die Flammen des Wahnsinns auflodern, und Bernard Herrmanns furiosem »Concerto Macabre«, das die Psychose des Protagonisten klanglich erfahrbar macht, verschmelzen Melodram und Psychothriller zu einer aufregend-bewegenden Einheit.
1947 | »The Brasher Doubloon«
Philip Marlowe wird nach Pasadena in das Haus der reichen Witwe Murdock gerufen und beauftragt, eine gestohlene Goldmünze wiederzubeschaffen. Die Suche nach der ›Brasher Doubloon‹, einem ebenso seltenen wie wertvollen Stück aus der Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, das seinen zahlreichen Besitzern nichts anderes als Unglück brachte, konfrontiert den hartgesottenen Privatdetektiv, wie auch in anderen Raymond-Chandler-Erzählungen, mit einer Vielzahl zwielichtiger Existenzen, deren Handlungsmotive bis zur Auflösung der verwickelten Intrige weitgehend im Dunkeln liegen ... George Montgomery spielt den Protagonisten mit (ziemlich unpassendem) Menjoubärtchen und der (nicht unsympathischen) ironischen Lässigkeit eines Taschenspielers, der die Schwächen seiner Mitmenschen kennt und ertragreich auszunutzen weiß. John Brahm inszeniert die leichenreiche Familiensache um Schulden, Erpressung und Mord routiniert, jedoch ohne das visuelle und psychologische Furore seiner period noirs. Für schauspielerische Glanzpunkte sorgt immerhin Florence Bates als herrische alte Dame, die es mühelos mit der abgefeimtesten Hitchcock-Matrone aufnehmen könnte.
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