Kino | »Rudolf Thome – Überall Blumen« von Serpil Turhan (2016)
Die Cahiers du cinéma bezeichneten ihn 1980 als »le plus important des cinéastes allemands encore inconnus« – das Wort vom wichtigsten unbekannten deutschen Filmemacher entwickelte sich zum beliebten Rudolf-Thome-Klischee, das bis heute fleißig (und unoriginellerweise nun auch an dieser Stelle) reproduziert wird. Thome, Jahrgang 1939, hat zwischen 1964 und 2012 28 Spielfilme und sechs Kurzfilme gedreht; er hat mit Hanns Zischler und Bruno Ganz gearbeitet; Uschi Obermaier und Hannelore Elsner standen vor seiner Kamera; Marquard Bohm war bei Thome so cool wie Belmondo bei Godard und Iris Berben so sexy wie Elsa Martinelli bei Howard Hawks. Warum ist Thome, dessen Werk ein halbes Jahrhundert umspannt, der so kontinuierlich produzieren konnte wie wenige andere seiner Altersgenossen, jenseits einer überschaubaren Gruppe bewundernder Kritiker und Fans, letztlich ein, wenn auch wichtiger, Unbekannter geblieben? Zu lakonisch? Zu märchenhaft? Zu kompromißlos? Man weiß es nicht. Man versteht es nicht. Es ist, wie es ist. Nun also ein Film über ihn. Einen weiteren Film von ihm wird es vermutlich nicht geben. Nach einem Personalwechsel bei der ARD-Tochter Degeto, die lange Zeit die Herstellung seiner schmal budgetierten Filme ermöglichte, ist Thomes Finanzierungsmodell praktisch von heute auf morgen weggebrochen. Im Frühjahr 2014 will er einen letzten Versuch unternehmen: noch einmal ein Drehbuch schreiben, vielleicht ein Crowfunding-Projekt wagen. Anlaß für Serpil Turhan (die als Schauspielerin und Regieassistentin mehrfach mit Thome zusammenarbeitete), ein seit längerem geplantes Filmporträt des Regisseurs in Angriff zu nehmen. Turhan besucht Thome auf seinem Bauernhof in Brandenburg, sie filmt ihn beim Schreiben des Drehbuchs, führt Gespräche mit ihm, über das Leben, die Liebe, das Älterwerden, das Filmemachen, vor allem aber begleitet sie ihn bei alltäglichen Verrichtungen: beim Rasieren und beim Radfahren, beim Beobachten von Rotschwänzchen (»Das begeistert mich!«) und beim Stibitzen von Schneeglöckchen (»Ich fühle mich wie ein Schuljunge, der etwas Verbotenes tut.«), beim Skypen mit seiner Tochter und beim regelmäßigen Befüllen seines Blogs, der über die Jahre von der begleitenden Arbeitsdokumentation peu à peu zum Hauptwerk wurde. In diesen zärtlich-insistierenden Blicken auf das Gewöhnliche, das ja bei genauer Betrachtung immer auch das Besondere ist, kommt Turhan nicht nur dem Menschen Rudolf Thome, seinem Eigensinn, seiner Ironie, seiner Begeisterungsfähigkeit, bemerkenswert nahe, sie fängt damit auch etwas vom inneren Wesen seines Schaffens ein. Den Filmemacher Thome wird sie mit ihrer (sehr konsequenten) Herangehensweise dennoch wohl nicht bekannter machen: Bis auf zwei kurze Ausschnitte spart Turhan Thomes (umfang-)reiches Œuvre radikal aus; eingehend setzt sie dagegen jene Scheune ins Bild, wo in einem melancholisch stimmenden Durcheinander Filmklappen, Requisiten, Kostüme und rostende Filmdosen lagern. Der Film endet im Spätherbst 2014 mit Thomes Entschluß, sein letztes Drehbuch »Überall Blumen« nicht zu realisieren. Eine gewisse Traurigkeit liegt in der Schneeluft, aber auch eine Art Zufriedenheit darüber, eine vernünftige Entscheidung souverän treffen zu können. Es ist, wie es ist.
22. Februar 2016
21. Februar 2016
Mädchen, Rocker, Supermarkt
Kino | »Verfluchte Liebe deutscher Film« von Dominik Graf und Johannes F. Sievert (2016)
Vielleicht ist das unterhaltsame Kuddelmuddel, das Dominik Graf und Johannes F. Sievert in »Verfluchte Liebe deutscher Film« anrichten, dem Thema ihrer Dokumentation vollkommen angemessen, denn die Schöpfungen des (bundes-)deutschen Genrekinos, für die sich die beiden Regisseure interessieren (besser gesagt: haltlos begeistern), sind kaum in einen konsistenten filmhistorischen Zusammenhang zu bringen. Anders als in Hollywood oder Italien, wo die diversen Gattungen des Unterhaltungskinos über Jahrzehnte hinweg gediehen und in serieller Produktion üppige (Sumpf-)Blüten trieben, waren es in Deutschland (neben altgedienten Kämpen wie Alfred Vohrer oder Rolf Olsen) vor allem Außenseiter und Querköpfe, die in entschlossenen Alleingängen versuchten, Dynamik, Action und Körperlichkeit auf Zelluloid zu bannen. Mit der schieren Physis, so Graf und Sievert, habe der deutsche Film seit jeher ein ganz grundsätzliches Problem: Unsinnlichkeit, Reinlichkeit, Sittsamkeit seien ihm ins Erbgut eingeschrieben; zwischen der artifiziellen Glätte des Nachkriegskinos und der intellektuellen Aseptik des Autorenfilms gebe es diesbezüglich keinen Unterschied, der Schmuddelfaktor tendiere jeweils gegen null. In gestalterischer Hinsicht nicht sonderlich innovativ, kombiniert »Verfluchte Liebe deutscher Film« Filmausschnitte und Standfotos mit Gesprächen und Interviews. Zu Wort kommen Filmkritiker und -historikerInnen (Olaf Möller, Rainer Knepperges und (etwas zu ausführlich) Grafs Kölner Professorenkollegin Lisa Gotto) sowie Schauspieler, Produzenten und, vor allem, die drei Regisseure Klaus »Brandstifter« Lemke (ungehemmte Dampfplauderei), Roland »Deadlock« Klick (ironisch sublimierte Enttäuschung), Roger »Mädchen mit Gewalt« Fritz (stilvolle Gelassenheit). Auch wenn Graf und Sievert für ihre engagierte und anregende Erinnerungsarbeit rundheraus zu loben sind, ist es ein wenig schade, daß sie sich für Erkundungsfahrten in die (durchaus vorhandenen) exploitativ-trivialen Untiefen von »Papas Kino« (etwa im Spätwerk von Rudolf Jugert) ebenso wenig Zeit nehmen wie für das Erforschen von Verbindungen zwischen vermeintlichen Antipoden (siehe zum Beispiel den Auftritt von Alexander Kluges Lieblingsschauspieler Alfred Edel in Klicks »Supermarkt«). Am Ende bleibt die ernüchternde Erkenntnis, daß von einem deutschen Genrekino im eigentlichen Sinne gar nicht gesprochen werden kann: Es existiert keine Traditionslinie sondern lediglich ein Assortiment von mitunter exzentrischen, oft spektakulären, bisweilen meisterlichen Einzelstücken. (Ein zweiter Teil, der dieses trümmerhafte Kapitel deutscher Filmgeschichte – mutmaßlich bis in die 1980er Jahre – fortschreiben soll, wurde von Dominik Graf nach der Premiere der Dokumentation angekündigt.)
Vielleicht ist das unterhaltsame Kuddelmuddel, das Dominik Graf und Johannes F. Sievert in »Verfluchte Liebe deutscher Film« anrichten, dem Thema ihrer Dokumentation vollkommen angemessen, denn die Schöpfungen des (bundes-)deutschen Genrekinos, für die sich die beiden Regisseure interessieren (besser gesagt: haltlos begeistern), sind kaum in einen konsistenten filmhistorischen Zusammenhang zu bringen. Anders als in Hollywood oder Italien, wo die diversen Gattungen des Unterhaltungskinos über Jahrzehnte hinweg gediehen und in serieller Produktion üppige (Sumpf-)Blüten trieben, waren es in Deutschland (neben altgedienten Kämpen wie Alfred Vohrer oder Rolf Olsen) vor allem Außenseiter und Querköpfe, die in entschlossenen Alleingängen versuchten, Dynamik, Action und Körperlichkeit auf Zelluloid zu bannen. Mit der schieren Physis, so Graf und Sievert, habe der deutsche Film seit jeher ein ganz grundsätzliches Problem: Unsinnlichkeit, Reinlichkeit, Sittsamkeit seien ihm ins Erbgut eingeschrieben; zwischen der artifiziellen Glätte des Nachkriegskinos und der intellektuellen Aseptik des Autorenfilms gebe es diesbezüglich keinen Unterschied, der Schmuddelfaktor tendiere jeweils gegen null. In gestalterischer Hinsicht nicht sonderlich innovativ, kombiniert »Verfluchte Liebe deutscher Film« Filmausschnitte und Standfotos mit Gesprächen und Interviews. Zu Wort kommen Filmkritiker und -historikerInnen (Olaf Möller, Rainer Knepperges und (etwas zu ausführlich) Grafs Kölner Professorenkollegin Lisa Gotto) sowie Schauspieler, Produzenten und, vor allem, die drei Regisseure Klaus »Brandstifter« Lemke (ungehemmte Dampfplauderei), Roland »Deadlock« Klick (ironisch sublimierte Enttäuschung), Roger »Mädchen mit Gewalt« Fritz (stilvolle Gelassenheit). Auch wenn Graf und Sievert für ihre engagierte und anregende Erinnerungsarbeit rundheraus zu loben sind, ist es ein wenig schade, daß sie sich für Erkundungsfahrten in die (durchaus vorhandenen) exploitativ-trivialen Untiefen von »Papas Kino« (etwa im Spätwerk von Rudolf Jugert) ebenso wenig Zeit nehmen wie für das Erforschen von Verbindungen zwischen vermeintlichen Antipoden (siehe zum Beispiel den Auftritt von Alexander Kluges Lieblingsschauspieler Alfred Edel in Klicks »Supermarkt«). Am Ende bleibt die ernüchternde Erkenntnis, daß von einem deutschen Genrekino im eigentlichen Sinne gar nicht gesprochen werden kann: Es existiert keine Traditionslinie sondern lediglich ein Assortiment von mitunter exzentrischen, oft spektakulären, bisweilen meisterlichen Einzelstücken. (Ein zweiter Teil, der dieses trümmerhafte Kapitel deutscher Filmgeschichte – mutmaßlich bis in die 1980er Jahre – fortschreiben soll, wurde von Dominik Graf nach der Premiere der Dokumentation angekündigt.)
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