Kino | »Cosmopolis« von David Cronenberg (2012)
Vor ungefähr 30 Jahren, mit dem neoliberalen Siegeszug von Thatcherism und Reaganomics, löste sich die Finanz- von der Realwirtschaft: Spekulanten, Firmenjäger, Investoren wie Ivan Boesky oder George Soros wurden die heimlich bewunderten Schreckgespenster des durchstartenden Turbokapitalismus; auf der Leinwand und im Roman, wo der von ihnen repräsentierte amoralische Materialismus postwendend mißbilligende Verarbeitung fand, hießen sie Gordon Gecko, Sherman McCoy oder Patrick Bateman. Heute, ein paar Systemabstürze, platzende Blasen und Staatspleiten später, sind die Zahlen, die bewegt werden, um einige Nullen angeschwollen, haben vollends ihre (Be-)Greifbarkeit verloren – als virtuelle Datenströme rauschen sie ununterbrochen um den Globus, so gewaltig wie ein Jetstream, so unfaßbar, so bedrohlich wie Radioaktivität. Einer, der diese Zahlen im Griff hat (oder im Griff zu haben glaubt), ist Eric Packer, 28. Im Gegensatz zu den eitel-exponierten Vorgängern betreibt er seine geschäftlichen Transaktionen philosophisch-emotionslos in abgepufferter Anonymität, wie ein lebensfernes Ritual, wie einen abstrakten Kult um eine wesenlose Substanz. David Cronenberg porträtiert den jungen Magnaten (gemütsarm: Robert Pattinson) als Prototypen der digitalen Epoche, zeigt ihn auf dem Hochpunkt der Karriere, von dem es – in der spezifischen Geometrie seiner Sphäre – nur ein Schritt zum Tiefpunkt ist, verfolgt seine Strech-Limo-Irrfahrt durch ein glamourös-apokalyptisches New York. Die Odyssee – eine Kette von kurzen Begegnungen, schnappschußhaft eingefangenen Ereignissen, kalten Kopulationen, eine zu einem gleichnishaften Tag zusammengedrückte Lebensreise auf der verzweifelten Suche nach spürbarer Ver-Körperung im Hier und Jetzt, nach einer Erfahrung, die anscheinend nur mehr in der Zerstörung der eigenen physischen Existenz zu machen ist – führt, vorbei an karnevalesk-brutalen kapitalismuskritischen Demonstrationen, ins schmuddlige Herz der Finsternis … Wohl nicht ganz zufällig beschwört die additive Dramaturgie von »Cosmopolis« mit ihrem Rückgriff auf Yuppie-in-distress-Filme wie »Into the Night«, »After Hours« oder »Something Wild« eine Erinnerung an die geldgeilen 1980er Jahre herauf, doch die damalige launige Verhackstückung des Zeitgeistes ist einer zeremoniellen Zergliederung gewichen. Dabei wird ohne Pause geredet und sinniert – über Gott und Geld, Zukunft und Gegenwart, Leben und Tod, Gier und Gesellschaft, Gesetzmäßigkeit und Asymmetrie, indes der Erkenntniswert trotz geschliffener Dialoge eher bescheiden bleibt. Zudem klebt Cronenbergs Adaption eines Romans von Don DeLillo über weite Strecken der Fahrt gestalterisch recht unfrei am fortwährend gesprochenen Wort, bleibt in der Summe fast ebenso blaß wie der seelisch vereiste Protagonist. Man mag darin die künstlerische Konsequenz des Films erkennen.
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